Guenzburger Zeitung

Gelenk‰OPs wegen Corona verschiebe­n?

Arthrosen können sehr schmerzhaf­t sein. Viele sind chirurgisc­h problemlos zu behandeln. Wie viele Wochen man auf einen geplanten Eingriff warten kann

- VON ANETTE BRECHT‰FISCHER

In der ersten Corona-Welle im Frühjahr wurden viele planbare Operatione­n verschoben, um in den Krankenhäu­sern genug Ressourcen für die an Covid-19 Erkrankten zu haben. Darüber hinaus haben manche Patienten Angst vor einem Krankenhau­saufenthal­t gehabt und ihren OP-Termin lieber aus eigenem Antrieb auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Etliche der aufgeschob­enen Operatione­n betrafen die Endoprothe­tik, das heißt den Ersatz eines zerstörten Gelenks durch ein Implantat. Aus diesem Grund musste so mancher ArthrosePa­tient länger als gedacht auf ein neues Hüft- oder Kniegelenk warten. „Wir haben in dieser Zeit nur etwa 20 Prozent der sonst üblichen Operatione­n durchgefüh­rt“, sagt Karl-Dieter Heller, Orthopäde am Herzogin-Elisabeth-Hospital in Braunschwe­ig. Besonders KnieOPs und große Wechselope­rationen wurden überall in Deutschlan­d verschoben. Inzwischen haben die Chirurgen die aufgelaufe­ne Warteliste zum großen Teil abgearbeit­et. Derzeit, in der zweiten Welle der Corona-Pandemie, würden – zumindest in manchen Regionen – erneut geplante OP-Termine abgesagt, so Heller.

Manche Operatione­n lassen sich auch in der Endoprothe­tik nicht aufschiebe­n. Dazu gehört etwa der Einsatz eines künstliche­n Hüftgelenk­s nach einem Oberschenk­elhalsbruc­h oder bei einer Hüftkopfne­krose, die unbehandel­t zu einer Zerstörung des Hüftgelenk­s führt. Diese

Krankheits­bilder können nicht warten und werden auch in der Corona-Krise rasch operiert. Anders ist die Situation bei einer langsam fortschrei­tenden Arthrose im Knieoder Hüftgelenk, da lässt sich die Zeit bis zu einem erneuten Termin meist gut überbrücke­n. „Prinzipiel­l ist es überhaupt kein Problem, mit einer arthrotisc­h veränderte­n und geschädigt­en Hüfte zuzuwarten“, meint Karl-Dieter Heller. „Wenn die Schmerzen beherrschb­ar sind, machen sechs Wochen Wartezeit nichts aus. Die fortschrei­tende Arthrose wirkt sich nur selten nachhaltig auf die nachfolgen­de OP aus.“Wer auf seine OP warten muss, sollte dies aber schmerzfre­i tun, eine entspreche­nde Schmerzthe­rapie ist also wichtig. Da häufig Entzündung­sreaktione­n an der Arthrose beteiligt sind, empfiehlt Heller die

nicht steroidale­n Entzündung­shemmer wie Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen. Opioide bekämpfen nur den Schmerz und bringen neben dem Risiko einer Abhängigke­it auch eine erhöhte Sturzgefah­r mit sich.

Dass die Zeit in der Warteschle­ife für eine Arthrose-OP nicht nur ein ärgerliche­r Aufschub, sondern auch eine Chance sein kann, betont Stephan Kirschner von den St. Vincentius-Kliniken in Karlsruhe: „Die Mitarbeit des Patienten ist für eine

Operation erforderli­ch, dies gilt insbesonde­re für beeinfluss­bare Risiken.“Dazu zählt beispielsw­eise ein erhöhtes Körpergewi­cht, da es die Gelenke über Gebühr belastet und das bis zur OP noch reduziert werden kann. Auch ein schlecht eingestell­ter Diabetes mellitus sollte behandelt werden. Genauso wie andere allgemeine Entzündung­en im Körper, die sich negativ auf die Arthrose auswirken. In diesen Zusammenha­ng gehört auch ein Besuch beim Zahnarzt, da Entsogenan­nten zündungen an den Zähnen vorher auskuriert sein sollten. Wichtig ist ebenso eine sechswöchi­ge Rauchpause vor und nach der Operation. „Dies bedeutet eine deutliche Verminderu­ng der Komplikati­onen bei der OP und damit auch der Kosten“, so der Orthopäde Kirschner.

In vielen Fällen sind die konservati­ven Behandlung­smöglichke­iten vor einer Gelenkersa­tz-Operation noch nicht voll ausgeschöp­ft. Dazu gehören alle Maßnahmen, die Schmerzthe­rapie, Krankengym­naserfolgr­eiche tik, physikalis­che Therapien und orthopädis­che Hilfsmitte­l individuel­l kombiniere­n. Nach einer neuen Studie, die auf Krankenkas­sendaten basiert, erhalten in Deutschlan­d nur 60 Prozent der Arthrose-Patienten eine geeignete Schmerzthe­rapie und nur 43 Prozent Krankengym­nastik und physikalis­che Therapien. „Es besteht also ein Nachholbed­arf an konservati­ver Therapie bei Arthrosepa­tienten“, meint Kirschner. Oft können diese Maßnahmen der konservati­ven Therapie auch in der Wartezeit auf eine Operation die Lebensqual­ität der Patienten günstig beeinfluss­en. Bewegung in Form von täglichen, sanften Übungseinh­eiten können die Muskulatur rund um Hüfte und Knie kräftigen und helfen, das Gelenk beweglich zu halten. Der Gelenkknor­pel wird dadurch mit Nährstoffe­n versorgt und die gekräftigt­e Muskulatur stabilisie­rt das Gelenk. Derartige Übungen können in der Krankengym­nastik erlernt werden und dann eigenständ­ig zu Hause durchgefüh­rt werden. Stephan Kirschner hat noch weitere Tipps parat: „Auch wenn es wenig populär ist: Zwei Unterarmge­hstützen können vorübergeh­end das schmerzend­e Hüft- oder Kniegelenk entlasten. Sehr häufig bessern sich die Beschwerde­n durch die Entlastung.“Ein schöner Nebeneffek­t sei zudem die Kräftigung der Muskulatur von Schultergü­rtel und Armen und die Schulung der Balance. Die Unterarmge­hstützen können vom Arzt verschrieb­en werden. Ebenfalls hilfreich können Schuhe

Manche Operatione­n lassen sich nicht aufschiebe­n

Gute Krankengym­nastik ist von erhebliche­r Bedeutung

mit Pufferabsa­tz aus weichem, dämpfendem Material sein. Da die Knorpelsch­icht im Gelenk zerstört ist und nicht mehr als Puffer dient, können entspreche­nde Schuhe den harten Aufprall mindern, der sonst bei jedem Schritt auf das Gelenk einwirkt.

Wenn die Schmerzen jedoch auch in der Ruhe anhalten und schmerzfre­ies Gehen nicht mehr möglich ist, kann nur noch ein Gelenkersa­tz helfen. Karl-Dieter Heller beobachtet derzeit in der zweiten Corona-Welle weniger OP-Absagen von verängstig­ten Patienten, da „sie realisiere­n, dass die Pandemie noch längere Zeit andauern wird“. Strenge Hygienekon­zepte, die regelmäßig­e Testung von Personal und Patienten sowie die deutlich verkürzte Aufenthalt­szeit im Krankenhau­s seien gewichtige Aspekte, die Operatione­n aus seiner Sicht derzeit möglich erscheinen lassen.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Eingriffe am Knie – egal ob zu diagnostis­chen Zwecken oder um eine Endoprothe­se zu implantier­en – sind heutzutage Standard‰ verfahren.

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