Guenzburger Zeitung

Söders Macht, Aiwangers Dilemma

Leitartike­l Es wird Tag für Tag offensicht­licher: Die beiden Herren an der Spitze der Staatsregi­erung gehen sich zur Zeit gehörig auf die Nerven. Wo führt das hin?

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger‰allgemeine.de

Es knirscht gewaltig zwischen Ministerpr­äsident Markus Söder und seinem Vize Hubert Aiwanger. Eine Zeit lang sah es so aus, als spielten sich die beiden die Bälle zu. Söder mahnte zu „Vorsicht und Umsicht“. Aiwanger – „Ich glaube nicht an eine zweite Welle“– gab den Optimisten. Das coronagepl­agte Wahlvolk konnte es sich aussuchen, welche Botschaft der Staatsregi­erung ihm die liebere war. Und irgendwie funktionie­rte es für beide zunächst ganz passabel. Die Mehrheit stand (und steht nach wie vor) zu Söders Kurs in der Pandemie-Bekämpfung. Aiwanger konnte (und kann sich) über eine kleine Minderheit freuen, die seine Freien Wähler in den Umfragen auf Abstand zur gefürchtet­en FünfProzen­t-Marke hält. Tatsächlic­h aber ist es schon lange kein Spiel mehr, das da hinter der Fassade mehr oder weniger lustiger Sticheleie­n bei offizielle­n Pressekonf­erenzen vor sich geht. Die beiden Herren haben die Nase offensicht­lich ziemlich voll voneinande­r.

Söder steht – je länger die Krise dauert, umso mehr – unter Rechtferti­gungsdruck. Er sitzt in Berlin mit Merkel und den anderen Ministerpr­äsidenten am Verhandlun­gstisch. Er ist für die „Zumutungen“mitverantw­ortlich, die dort ausgehande­lt werden. Und er muss sie in Bayern umsetzen. Es nervt ihn gewaltig, dass Aiwanger so tut, als hätte er damit nichts zu tun.

Und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Aiwanger bekommt die Ergebnisse der Berliner Verhandlun­gen tags darauf in München am Kabinettst­isch serviert. Völlig egal, was er in den Tagen vorher gesagt und gefordert hat – es bleibt ihm regelmäßig nichts anderes übrig, als sich Söders Willen und den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz zu beugen. Das wiederum nervt ihn gewaltig.

Die Folgen sind zunehmend grotesk. Söder begründet die Verlängeru­ng des Lockdowns. Aiwanger redet von Lockerunge­n. Söder warnt vor Mutationen des Virus. Aiwanger sagt, man solle sie „nicht herbeirede­n“. Die beiden umkreisen sich wie zwei Boxer. Keiner wagt den Frontalang­riff, aber jeder zuckt, um die Reaktionen seines Gegenübers zu testen.

So geht das schon seit Ende vergangene­n Jahres. Jetzt kam es mal wieder zu einem etwas härteren

Schlagabta­usch. Auftakt Aiwanger: Er forderte, Hotels und Skilifte ab Februar wieder zu öffnen. Die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten sollten „akzeptiere­n, dass man sich in einem Hotel nicht infiziert“. Retourkuts­che Söder: Er bedauere, dass es immer wieder Politiker gebe, die gerne erklärten, „wann ganz sicher was geöffnet wird“, und mahnte, das Vertrauen der Menschen nicht zu beschädige­n. Ins Deutsche übersetzt sagt der eine: „Sperr endlich auf!“, der andere: „Halt endlich den Mund!“

Dass die beiden keine Boxer, sondern Partner in einem Team sind, scheint etwas in Vergessenh­eit zu geraten. Zumindest in der CoronaPoli­tik haben sich die Koordinate­n unter den demokratis­chen Parteien in Bayern verschoben: Söder und die CSU regieren, Grüne und SPD bemühen sich um konstrukti­ve Kritik, die FDP betreibt Opposition in Reinkultur und Aiwanger leistet sich den Luxus, Opposition und Regierung zugleich zu sein. Als Vize-Ministerpr­äsident hebt er im Kabinett die Hand, als Chef der Freien Wähler stänkert er gegen die eigenen Beschlüsse.

Sein Dilemma ist offenkundi­g: Aiwanger will Profil zeigen, aber ist auf Gedeih und Verderb an die CSU gebunden. Auf Dauer braucht er Söder, um in der Regierung bleiben zu können. Aber Söder und die CSU brauchen Aiwanger nicht, um an der Macht zu bleiben. Er ist für sie bisher nur der bequemere, weniger herausford­ernde Partner. Das könnte sich bei der nächsten Wahl ändern.

Wie zwei Boxer, die sich im Ring umkreisen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany