Guenzburger Zeitung

Österreich lässt mutmaßlich­e Fluchthelf­er festnehmen

Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek konnte offenbar auf FPÖ-Politiker und Geheimdien­st-Mitarbeite­r zählen

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Wien Im Zusammenha­ng mit dem Wirecard-Skandal ermittelt die Wiener Staatsanwa­ltschaft in Österreich­s Politik und im Geheimdien­stmilieu gegen mutmaßlich­e Fluchthelf­er des untergetau­chten Managers Jan Marsalek. Dabei handelt es sich um einen FPÖ-Politiker, der in anderer Sache bereits unter Betrugsver­dacht geraten war, sowie einen ehemaligen und einen suspendier­ten Mitarbeite­r des österreich­ischen Verfassung­sschutzes. Alle drei wurden festgenomm­en, einer der beiden Ex-Geheimdien­stmänner ist zunächst wieder auf freiem Fuß. Das bestätigte die Staatsanwa­ltschaft Wien am Montag. Die Ermittlung­en gegen alle drei laufen wegen des Verdachts der Begünstigu­ng.

Der Ex-Nationalra­tsabgeordn­ete Thomas Schellenba­cher war vorher schon im Visier der Wiener Justiz und sitzt nun in Untersuchu­ngshaft. Sein Anwalt räumte ein, dass der FPÖ-Politiker dem Wirecard-Manager Marsalek kurz vor der Insolvenz im Juni half, den Flug nach Minsk zu buchen, mit dem sich dieser absetzte. Strafbar habe sich Schellenba­cher damit nicht gemacht, weil damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek vorgelegen habe, sagte Anwalt Farid Rifaat. Der ehemalige Abteilungs­leiter des österreich­ischen Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) soll ebenfalls bei der Flucht nach Minsk geholfen haben, ist aber wieder auf freiem Fuß. Beim dritten Verdächtig­en sei noch unklar, ob Untersuchu­ngshaft verhängt werde, hieß es bei der Staatsanwa­ltschaft.

Österreich­s Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) kündigte eine schonungsl­ose Aufklärung an: „Wir greifen konsequent durch und schaffen Schritt für Schritt durch die Aufklärung dieses Kriminalfa­lls einen sauberen Neustart für den Verfassung­sschutz.“Der ehemalige Wirecard-Vertriebsv­orstand Marsalek ist seit dem Flug nach Minsk untergetau­cht, er gilt als Schlüsself­igur des Skandals. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft lässt internatio­nal nach dem österreich­ischen Manager suchen. Marsalek soll maßgeblich an dem System des „Bandenbetr­ugs“beteiligt gewesen sein, von dem die Münchner Staatsanwa­ltschaft ausgeht. Die WirecardCh­efetage soll die Bilanzen des Konzerns seit 2015 mit erfundenen Gewinnen manipulier­t haben.

Dank der erdichtete­n Profite bekam Wirecard problemlos Kredite, die nun zum größten Teil verloren sind. Der Schaden für Banken und Investoren könnte laut Münchner Staatsanwa­ltschaft bei mehr als drei

Milliarden Euro liegen. Außerdem geht die Münchner Staatsanwa­ltschaft der Frage nach, ob Marsalek und andere Beschuldig­te dreistelli­ge Millionens­ummen aus dem Wirecard-Firmenverm­ögen abzweigten und auf die Seite schafften.

Auch in Deutschlan­d steht die Frage nach Marsaleks österreich­ischen Geheimdien­stkontakte­n im Raum. Im Herbst schloss der Generalbun­desanwalt nicht aus, dass der Ex-Manager ein V-Mann des österreich­ischen Verfassung­sschutzes war, wie es in einer Antwort des Bundesjust­izminister­iums in Berlin auf eine Anfrage des Bundestags­abgeordnet­en Fabio De Masi (Linke) hieß. Inzwischen geht das Bundesinne­nministeri­um davon aus, dass Marsalek aber zumindest nicht gegen Deutschlan­d spionierte. „Es haben sich keine zureichend­en tatsächlic­hen Anhaltspun­kte dafür ergeben, dass die im Raum stehenden Kontakte Jan Marsaleks zum Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g den Tatbestand einer gegen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d gerichtete­n geheimdien­stlichen Agententät­igkeit oder eines sonstigen in die Verfolgung­szuständig­keit des GBA fallenden Straftatbe­stands erfüllen könnten“, hieß es im Dezember auf eine Anfrage des Linken-Abgeordnet­en Michael Leutert.

Aus Sicht der österreich­ischen Grünen sind die Festnahmen ein weiterer Puzzlestei­n in den Beziehunge­n zwischen Verfassung­sschützern, Wirecard, FPÖ und Jan Marsalek. Der Verdacht einer besonderen Nähe der Beteiligte­n werde erhärtet, so der Abgeordnet­e der Grünen, David Stögmüller. „Marsalek hat Politiker mit Macht und Beamte mit Zugang zu klassifizi­erten Unterlagen gebraucht, gesucht und auch gefunden. Und welche Rolle hatte dabei Russland und der russische militärisc­he Geheimdien­st, mit dem Marsalek ja äußerst gute Verbindung­en pflegte?“, fragt er.

Das 2002 gegründete BVT ist einer von drei Nachrichte­ndiensten in Österreich. Das Amt geriet in den vergangene­n Jahren durch Affären in Misskredit. Matthias Röder

und Carsten Hoefer, dpa

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Foto: Daniel Bockwoldt, dpa Seit Sommer noch immer gesucht: Jan Marsalek.

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