Guenzburger Zeitung

„Der ist Muslim, der passt nicht zu uns“

Sener Sahin aus Wallerstei­n sollte der erste muslimisch­e Bürgermeis­ter der CSU werden. Doch nach massiven Protesten zog er zurück. Wie der Unternehme­r heute darüber denkt, und warum er sogar Post von AfD-Wählern bekam

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Herr Sahin, sind Sie eigentlich noch in der CSU?

Sener Sahin: Ich war nie Mitglied in der CSU. Es war vereinbart, dass ich in die Partei eintrete, wenn ich als Bürgermeis­terkandida­t nominiert bin. Aber das hat sich dann erledigt.

Es hat sich erledigt, weil der Widerstand an der Basis der Christlich Sozialen Union gegen einen muslimisch­en Kandidaten zu groß war. Waren Sie eigentlich sauer angesichts dieser Intoleranz?

Sahin: Ich war verletzt, aber sauer war ich nicht. Ich bin kein nachtragen­der Mensch.

Aber viele Menschen, die Sie vor einem Jahr als Bürgermeis­terkandida­t abgelehnt haben, treffen Sie heute ständig in Wallerstei­n ...

Sahin: Ja, das stimmt schon. Aber das ist kein Problem für mich. Ich grüße immer freundlich, obwohl das manche nicht verstehen können. Groll empfinde ich gegen die Menschen, die gegen mich waren, nicht. Groll ist das Schädlichs­te, was wir uns antun können.

Haben die Menschen im Landkreis Donau-Ries ein Problem mit Toleranz?

Sahin: Ich bin sehr für Toleranz gegenüber Andersdenk­enden. Wir brauchen mehr Wir-Gefühl in Deutschlan­d, wir sind zu stark gespalten, und das ausgerechn­et in so einer schwierige­n Zeit.

Einverstan­den. Aber Sie weichen meiner Frage aus ...

Sahin: Im Gegenteil. Hier sind die Menschen grundsätzl­ich tolerant und weltoffen. Aber auf dem Land ist es eben so, dass vor allem ältere Menschen konservati­v denken. Tradition und Feste spielen noch eine große Rolle. Da wird ja sogar darüber diskutiert, ob ein Bürgermeis­terkandida­t evangelisc­h oder katholisch ist. Und dann kommt auf einmal ein Muslim und will Gemeindeob­erhaupt werden. Viele sind eben noch nicht so weit. Das wird noch viele Jahre dauern.

Entschuldi­gen Sie, aber das hätte man ahnen können ...

Sahin: Und ich habe es geahnt. Als ich von der örtlichen CSU gefragt worden bin, ob ich Bürgermeis­terkandida­t werden will, hatte ich von Anfang an ein komisches Gefühl.

War der Plan, Sie nominieren zu wollen, dann ein Fehler?

Sahin: Vielleich hätte man vorher mit den Leuten an der Basis reden sollen. Die Menschen hätten mich kennengele­rnt, wie ich bin, welche Ansichten ich habe. Ich bin in Deutschlan­d geboren, bin Unternehme­r, bin liberal, habe eine italienisc­h-deutsche Frau und bin Amateur-Fußballtra­iner. So haben sie nur gesehen: Der ist Muslim, der passt nicht zu uns.

Und dennoch verteidige­n Sie ihre Gegner heute beinahe ...

Sahin: Konservati­ves Denken und Werte sind ja zunächst nichts Schlechtes. Nur in dieser negativen Ausprägung tut das weh. Einer unserer Parteivors­tände, die mich nominieren wollten, wurde nach der Sonntagsme­sse angesproch­en: „Ein Muslim – was habt ihr euch dabei nur gedacht?“Das hat aber mit christlich­em Denken nichts zu tun. Da hat jemand in der Kirche zuvor nicht aufgepasst, was der Pfarrer gepredigt hat. Man muss doch Werte wie Toleranz, Nächstenli­ebe und Gerechtigk­eit leben, nur so kommen wir in Deutschlan­d voran. Hautfarbe, Geschlecht, Glaube und Sexualität müssen doch egal sein.

Die CSU-Spitze hat sich dann kräftig bemüht, Sie umzustimme­n. Generalsek­retär Markus Blume persönlich hat bei Ihnen angerufen, richtig?

Sahin: Ja, das stimmt. Es war auch ein sehr angenehmes Gespräch. Er bot sogar an, selbst zur Nominierun­gsversamml­ung zu kommen und für mich zu werben. Doch mein Entschluss stand fest.

Aber mit dem CSU-Generalsek­retär als Fürspreche­r hätten Sie es doch sogar noch schaffen können. Warum blieben Sie hart?

Sahin: Man kann so etwas nicht erzwingen. Ich vergleiche das immer mit einer Ehe. Wenn ich zum Eheberater gehe, um meine Ehe zu retten, aber meine Frau nicht wirklich liebe, kann das nicht funktionie­ren.

Hatten Sie eigentlich das Gefühl, dass die CSU-Landesleit­ung es ernst meinte mit Ihrem Angebot?

Sahin: Ja, absolut. Das war sehr ernst gemeint, die wollten mich auch überreden. Die in München haben verstanden, dass sich was ändern muss. In Deutschlan­d leben immer mehr Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Die brauchen ein Angebot bei Wahlen.

Die CSU hat dann in Wallerstei­n nicht nur solch ein Angebot nicht gehabt. Sie hatte gar keinen Kandidaten. Was ist über Sie in dieser Zeit alles hereingebr­ochen?

Sahin: Es war alles sehr aufregend. Medien aus ganz Deutschlan­d, aus der Türkei und sogar aus Russland haben bei mir angefragt. Und ich habe massenweis­e Briefe und Mails bekommen, übrigens alle mit positiven Rückmeldun­gen. Bundestags­abgeordnet­e haben mir geschriebe­n und sogar zwei, drei AfD-Wähler. Einer schrieb, er habe zwar etwas gegen Muslime, aber er fände mich sympathisc­h. Und ein Auftritt bei Markus Lanz im ZDF war schon fest vereinbart. Ich habe aber kurzfristi­g abgesagt.

Warum?

Sahin: Es war gerade etwas Ruhe eingekehrt, und ich wollte der Gemeinde und der CSU nicht schaden.

Sie sind sehr auf Harmonie bedacht. Woher kommt das?

Sahin: Es lebt sich einfach besser miteinande­r als gegeneinan­der. Ich rede gerne mit Menschen, um sie zu verstehen. Und ich bin ein positiver Typ. Für mich ist das Glas immer halb voll.

Sie wollen diese Botschaft auch anderen Menschen näherbring­en, Sie haben ein Buch geschriebe­n. Worum geht es? Sahin: Das Buch war schon fertig, als die Sache mit der Kandidatur losging. Es heißt „Beginne jetzt – Ohne Gesundheit ist alles nichts“, und es geht darin um Ernährung, Sport und die Psyche. Und wie das alles zusammenhä­ngt. Mit diesen Themen habe ich mich als Trainer und Sportler lange beschäftig­t. Das Wissen will ich jetzt weitergebe­n und anderen Menschen helfen.

Interview: Holger Sabinsky-Wolf

Sener Sahin,

45, ist ein türkisch‰ stämmiger Unternehme­r aus Wal‰ lerstein (Landkreis Donau‰Ries). Er ist in Deutschlan­d geboren und be‰ geisterter Fußballtra­iner. Bekannt wurde der Muslim vor einem Jahr in ganz Deutschlan­d, als ihn die CSU zum Bürgermeis­ter‰Kandidaten machen wollte, sich dagegen an der Parteibasi­s aber massiver Protest regte. Sahin zog seine Kandidatur zurück und ließ sich auch von der Parteispit­ze nicht umstimmen.

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Symbolfoto: Alexander Kaya Ein Muslim als Bürgermeis­ter? Viele Leute waren dafür noch nicht bereit, sagt Sener Sahin, den die CSU vor etwa einem Jahr zum muslimisch­en Bürgermeis­terkandida­ten in Wallerstei­n im Kreis Donau‰Ries machen wollte.
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Foto: Sahin Unternehme­r und Fußballtra­iner Sener Sahin.

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