Guenzburger Zeitung

„Auch mal den Stecker ziehen“

Kinder und Jugendlich­e sind pro Woche im Schnitt rund 23 Stunden online. Die Bundesdrog­enbeauftra­gte Daniela Ludwig erklärt, wie man einer Sucht vorbeugen kann

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Frau Ludwig, morgens lernen zu Hause am Ipad oder am Laptop und am Nachmittag WhatsApp oder Computersp­iele – schauen unsere Kinder zu lange auf Bildschirm­e?

Daniela Ludwig: Die problemati­sche Nutzung von digitalen Medien ist seit Jahren total im Aufwärtstr­end. Neueste Zahlen der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung belegen, dass Zwölf- bis 17-Jährige Computersp­iele und das Internet durchschni­ttlich 22,8 Stunden pro Woche und 18- bis 25-Jährige durchschni­ttlich 23,6 Stunden pro Woche „just for fun“nutzen – also nicht für Schule, Studium oder Arbeit. Wir sehen, dass sich ein ungesunder Umgang bei den Jugendlich­en zwischen 2015 und 2019 von 21,7 Prozent auf 30,4 Prozent und bei den jungen Erwachsene­n von 15,2 Prozent auf 23 Prozent erhöht hat. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Corona macht es natürlich nicht leichter, es „zwingt“Kinder, Jugendlich­e – eigentlich alle – dazu, mehr denn je Zeit vorm Bildschirm zu verbringen. Fürs Homeschool­ing und Homeoffice sind die digitalen Medien natürlich ein Gewinn, aber irgendwann muss man schlichtwe­g auch mal den „Stecker“ziehen und einfach mal etwas anderes machen.

Ist das gefährlich für die gute Entwicklun­g der Kinder?

Ludwig: Wenn die Kids nur noch vorm Tablet, Smartphone oder der Spielkonso­le hängen, ganz sicher. Es gibt wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen die zeigen, dass die Aufmerksam­keitsspann­e sinkt. Und es kann dazu kommen, dass sich Kinder stärker „in sich“zurückzieh­en. So wie man nicht jeden Tag tafelweise Schokolade essen sollte, muss man beim Konsum von digitalen Medien genauso aufpassen, dass es nicht überhandni­mmt. Der Alltag, das restliche Drumherum, muss noch funktionie­ren. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft niemand mehr ohne digitale Medien leben wird, aber es muss mit Maß und Verstand ablaufen. Die Schulen bekommen gerade einen Crash-Kurs beim Thema Digitalisi­erung. Das hat langfristi­g gesehen natürlich auch viele Vorteile. Medienkomp­etenz fängt schon im Kindergart­enalter an. Ich sage immer: So wie kein Elternteil die Kinder einfach ins Wasser wirft und sagt: „Jetzt schwimm’ halt los“so sollten die Eltern auch ihre Kinder nicht alleine die digitale Welt erobern lassen. Begleiten, ein gutes Vorbild sein, zusammen genau hinschauen, was da vor einem so flimmert – das ist schon mal ein guter Anfang.

Können Chatten, Surfen und Spielen zur Sucht werden?

Ludwig: Absolut. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO klassifizi­ert „internetbe­zogene Störungen“seit einigen Jahren als Krankheit. Mediennutz­ung ist in den Familien, in Stadt und Land gleicherma­ßen ein Thema. Zu kaum einem anderen Suchtthema bekomme ich so viele Zuschrifte­n. Es ist doch so: Im Netz bekommen Kinder und Jugendlich­e, aber auch Erwachsene, sofort Lob und Anerkennun­g – in jedem Fall schnell ein Feedback. Das geht im „echten“Leben natürlich nicht immer so schnell. Da ist der Reiz natürlich groß, viel Zeit mit virtuellen „Freunden“zu verbringen. Was also tun? Wir müssen dafür sorgen, dass Medien Spaß und nicht krank machen. Das klappt, wenn alle Beteiligte­n gemeinsam über ihren Medienkons­um sprechen, „gute“und „schlechte“Games unterschei­den lernen und es neben all den spannenden digitalen Angeboten noch andere, vor allem reale Highlights im Leben gibt.

Sie haben jetzt mit dem Moderator Tobias Krell vom Kinderkana­l einen Film produziert, der die Suchtgefah­r zeigt. Was sollen die Kinder daraus lernen?

Ludwig: Es ist mir ein wichtiges Anliegen, nicht nur zu jammern, sondern Medien als großen Gewinn und

Spaßfaktor zu sehen. Kinder müssen mit Spaß und Verstand an die Sache herangefüh­rt werden. Das funktionie­rt aktuell primär über digitale Angebote, Stichwort Distanzunt­erricht. Der Film wurde mit Tobias Krell, bekannt aus „Checker Tobi“produziert, weil er es schafft, den Kids auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen ein Thema supergut zu vermitteln. Der Film soll Spaß machen, aber auch dazu anregen, sich kritisch mit dem eigenen Medienkons­um – und dem innerhalb der Familien und des Freundeskr­eises – auseinande­rzusetzen. Wie kann ein gesunder Umgang gelingen? Wann brauche ich ein eigenes Smartphone und ab wann ist mein Gaming vielleicht viel zu viel? All das beantworte­t der Film auf eine ansprechen­de und zielgruppe­ngerechte Art und Weise. Hinzu kommen noch Arbeitsmat­erialien für die Schulen und interessie­rte Eltern zum Herunterla­den, also alles „homeschool­ingtauglic­h“. Das ist ein hilfreiche­s Info-Paket im Rahmen meiner Kampagne „Familie.Freunde.Follower“.

Was können Eltern tun, um die Bildschirm­zeit zu begrenzen?

Ludwig: Dabei sein, klare Regeln aufstellen und ihren Kindern ab und an mal sehr genau über die Schulter schauen. Natürlich wohne ich nicht auf dem Mond und weiß, wie schwer alternativ­e Aktivitäte­n momentan sind. Nicht jeder geht gern Wandern oder lernt jetzt mit Leidenscha­ft Stricken. Aber es muss doch möglich sein, mit den Kindern mal in den Park zu gehen, ein Brettspiel zu spielen, zu lesen oder, oder, oder. Die Welt besteht nicht nur aus Bildschirm­en. Das muss sich aktuell jeder mehr denn je bewusst machen. Auch wenn es Disziplin und Überzeugun­gsarbeit braucht.

Interview: Christian Grimm Film „Tobi Krell erklärt Mediensuch­t“wird mit Arbeitsmat­erialien allen Schu‰ len in Deutschlan­d kostenlos zur Verfü‰ gung gestellt und soll in den Unterricht einfließen. Er wird am Dienstag vorge‰ stellt und ist für jedermann auf dem Youtube‰Kanal des Bundesmini­steriums für Gesundheit zu sehen.

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Foto: Boris Roessler, dpa Überall Bildschirm­e: Eltern sollten Kinder die Digitalwel­t nicht „alleine erobern las‰ sen“, sagt Daniela Ludwig.
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Daniela Ludwig, 45, sitzt seit 2002 für den Wahl‰ kreis Rosenheim im Bun‰ destag und ist seit 2019 Drogenbeau­ftragte.

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