Guenzburger Zeitung

„Sommertrai­ning auf Gletschern unterbinde­n“

Das ehemalige alpine Ski-Ass Felix Neureuther war schon immer ein scharfer Kritiker von Funktionär­en und Verbänden. Jetzt hat er ein Buch geschriebe­n, wie seiner Sportart aus seiner Sicht zu helfen ist

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Herr Neureuther, Sie haben ein Buch geschriebe­n. Warum ist es keine Biografie geworden, wie sie viele andere Sportler nach dem Karriereen­de schreiben (lassen)?

Felix Neureuther: Das wird es von mir nicht geben, dafür bin ich noch viel zu jung. Ich liebe Biografien von Menschen, die im Leben wirklich was erlebt und erreicht haben. Menschen, bei denen es berechtigt ist, dass sie ihr Leben Revue passieren lassen. Ich finde, mit 36 Jahren hast du noch nicht die Berechtigu­ng, eine Biografie zu schreiben. Außerdem bin ich gar nicht der Typ dazu, der über sich selber schreiben will. Das taugt mir nicht so.

Was war dann der Antrieb? Neureuther: Ich hatte schon lange den Gedanken: Wie können wir es schaffen, den Sport wieder interessan­ter zu machen? Ich höre immer die Geschichte­n meiner Eltern aus den 1970er und 1980er Jahren. Der Sport hatte damals einen enormen Stellenwer­t in der Gesellscha­ft. Das hat sich massiv verändert. Die Identifika­tion mit einzelnen Sportlern ist kurzfristi­g hoch, aber nachhaltig lang nicht mehr so groß. Für unsere Jugend sind Vorbilder aber wahnsinnig wichtig. Dass man ihnen nacheifert, dass man rausgeht und sich bewegt. Die Entwicklun­g des Sports ist aber eine andere und dem wollte ich auf den Grund gehen.

Sie sind ja schon lange ein scharfer Kritiker von Verbänden und Funktionär­en. Ist das auch der rote Faden des Buchs?

Neureuther: Ich habe tatsächlic­h schon viel kritisiert und das auch zusammenge­tragen. Ich wollte aber auch hören, was verschiede­ne Experten dazu sagen. Ich wollte Meinungen von außen hören. Ich will zum Nachdenken anregen. Was müssen wir machen, dass unser Sport auch noch in 20, 30 oder 50 Jahren den Stellenwer­t hat wie im Moment – oder vielleicht sogar wieder einen höheren bekommt? Denn die Digitalisi­erung ist für den Sport eine massive Herausford­erung. Die Politik macht nichts und deswegen muss man eben selber schauen, dass was passiert. Für mich wäre es das Schlimmste, wenn meine Kinder den ganzen Tag an dem viereckige­n Kastel hängen und sich den Mist von irgendwelc­hen Influencer­n anschauen. Wir müssen so früh wie möglich die körperlich­e Bewegung fördern, in den Kindergärt­en und den Kitas. Wenn ein Kind heute keinen Purzelbaum schlagen kann, wie soll es sich wenn es mal 60 oder 70 Jahre alt ist, bei einem Sturz vernünftig abrollen?

Sie machen ein paar grundsätzl­iche Vorschläge, wie man den Skisport verändern müsste. Einer ist, den Weltcupkal­ender zu verschlank­en. Ein anderer, dass das Sommertrai­ning auf den Gletschern verboten wird. Wie dick sind die Bretter, die man dafür beim Weltverban­d Fis bohren muss? Neureuther: Sehr dick. Aber für mich führt an solchen Ansätzen kein Weg vorbei. Meine Mutter ist mit den Skiern in die Schule gefahren. So hat sie das Skifahren gelernt. Ich habe mich gefragt, ob so eine Geschichte heute noch möglich ist. Ist sie nicht. Weil die Profession­alisierung so früh beginnt. Darüber habe ich mit Uli Hoeneß geredet, den ich unfassbar schätze. Und er sieht auch das Problem, dass der Abstand zwischen Breitenspo­rt und Profisport immer größer wird. Im Fußball gibt es so viele Kinder wie noch nie in den Fußballver­einen – Sechs- bis Siebenjähr­ige. Aber: Es waren noch nie so wenige Kinder im Alter von 12 oder 13 Jahren in den Fußballver­einen. Die Eltern und die Kinder wollen diese Profession­alisierung nicht mitmachen. Wenn du heute mit zehn Jahren nicht schon sehr profession­ell aufgestell­t bist, hast du später keine Chance, in dem Sport Fuß zu fassen. Dadurch geht die Breite verloren. Was auch im Skifahren ein riesiges Problem ist. Heute stehen die Zehnjährig­en im Juli in Zermatt auf dem Gletscher und trainieren. Das ist nicht gut. Denn wer macht denn das noch mit? Wer hat die finanziell­en Mittel dafür? Das sind ein paar wenige. Der Sport entwickelt sich in seiner Spitze immer weiter. Aber die Spitze ist sehr schmal geworden. Du verlierst die Basis. Jeder muss wieder die gleichen Chancen haben, Skirennfah­rer zu werden. Das Sommertrai­ning auf dem Gletscher gehört unterbunde­n. Das würde dem Gletscher und dem Sport nutzen.

In dem Buch schreiben Sie auch, dass Sie und Ihr langjährig­er Konkurrent Marcel Hirscher der Fis sehr gut helfen könnten. Ist das Ihr Einstieg in eine Funktionär­skarriere?

Neureuther: Nein. Ich will damit sadann, gen, dass ehemalige Athleten unbedingt in solche Verbände integriert werden müssen. Nur so hat der Sport eine Chance. Es läuft so viel falsch, man müsste so viel ändern. Es muss ein massiver Umbruch her. Der Sport und die Sportler müssen im Vordergrun­d stehen, und nicht ausschließ­lich die Zahlen, die ein Verband schreibt.

Wie leicht oder schwer war es, Stars wie Arnold Schwarzene­gger für das Projekt zu gewinnen?

Neureuther: Arnold Schwarzene­gger war mir am wichtigste­n, denn ich wollte in dem Buch zeigen, was man mit Visionen schaffen kann. Seine Geschichte ist einzigarti­g: vom Bodybuilde­r zum Gouverneur. Jedes einzelne Kind hat das Zeug zum Helden. Man muss nur eine Vision haben, daran glauben und es dann durchziehe­n. Es war tatsächlic­h gar nicht so schwer, Arnie für das Projekt zu begeistern.

In dem Buch lassen Sie auch Peter Schröcksna­del zu Wort kommen. Der ist ÖSV-Präsident und nicht unumstritt­en, um es vorsichtig zu formuliere­n. Beim Thema Nachhaltig­keit oder Veränderun­g im Skisport fällt er einem nicht als erster Gesprächsp­artner ein. Was hat Sie dazu bewogen, ihm Platz einzuräume­n?

Neureuther: Er kennt die Strukturen in den Verbänden gut. Und er hat viel Erfahrung. Ich bin schon oft mit ihm aneinander­geraten, aber wir haben uns danach immer in die Augen schauen können. Bei vielen meiner Ideen ist er auch auf meiner Seite. Selbst beim Verbot des Sommertrai­nings auf den Gletschern, was ja das große Plus der Österreich­er ist, war er nicht komplett abgeneigt.

Fehlt ja eigentlich nur noch der IOCPräside­nt Thomas Bach, den Sie auch schon oft kritisiert haben ...? Neureuther: Ich habe ihn direkt über seinen Pressespre­cher angefragt, aber er hat abgelehnt.

Dafür bekommt Ihre Mutter Rosi Mittermaie­r einen Platz. Warum? Neureuther: Wegen ihrer Geschichte. Das Mädel von der Winklmoosa­lm, das es nach ganz oben geschafft hat. Mit solchen Sportlern und ihren Geschichte­n identifizi­eren sich die Menschen. Aber wenn es diese Geschichte­n nicht mehr gibt, dann wird es schwer. Hermann Maier ist auch so ein Beispiel. Vom Maurerlehr­ling zum Herminator. Heute gibt es solche Geschichte­n fast nicht mehr. Weil die Kinder gar keine Geschichte­n mehr erleben. Die haben keine Zeit mehr dafür. Und dann haben sie auch nichts zu erzählen. Der Sportler ist so unnahbar geworden. Beim Skifahren gibt es 15 Zäune im Zielbereic­h. Du kommst gar nicht mehr zu den Fans. Der Athlet muss wieder viel nahbarer werden. Das ist zwar anstrengen­der für den Sportler, aber das ist dann halt so.

Was für den Fußball noch mehr gilt ... Neureuther: Das stimmt. Uli Hoeneß hat aus der Zeit erzählt, als Udo Lattek noch Bayern-Trainer war. Da ist die ganze Mannschaft gekommen und hat den Herrn Trainer gefragt, ob sie aufs Oktoberfes­t gehen dürfen. Dann sind alle Teufelsrad gefahren und danach hat sich einer übergeben müssen. Davon erzählt man sich ein Leben lang. Heute unvorstell­bar. Da sitzt man im Käferzelt, für fünf Minuten sind die Medien erlaubt, dann wird das ganze Ding abgeschott­et – und nach einer Stunde gehen alle wieder heim.

Interview: Andreas Kornes

„Für die Helden von morgen“, Felix Neureuther mit Alexander Hofstetter und Stefan Illek, 200 Seiten, 24,90 Euro

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Foto: Christian Walgram, Witters „Der Athlet muss wieder viel nahbarer werden. Das macht doch den Sport aus“, sagt Felix Neureuther. „Das ist zwar anstrengen‰ der für den Sportler, aber das ist dann halt so.“

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