„Eine Impfpflicht finde ich unproblematisch“
Tourismusforscher Martin Lohmann über Urlaub in Zeiten von Corona, Reiselust und Klimawandel
Vor einem Jahr hätte sich noch niemand vorstellen können, dass Skigebiete geschlossen bleiben und ganze Länder ihre Grenzen dichtmachen. Werden die Menschen nach über einem Jahr Corona wieder Lust auf Reisen haben, Herr Lohmann?
Martin Lohmann: Ja, die Reiselust ist da. Die positive Antwort ist allerdings nicht selbstverständlich. Die Urlauber könnten sich auch in einer Höhle verkriechen und auf bessere Zeiten warten wollen. Unsere Befragungen deuten darauf hin, dass es großes Interesse an Reisen gibt, kaum geringer als vor einem Jahr.
Weltweit oder doch nur lieber innerhalb der eigenen Grenzen?
Lohmann: Beides. Die Präferenzen für Urlaubsziele haben sich nicht geändert. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Das fließt in die Überlegungen mit ein. So wird es eher Urlaub in Deutschland und in den Nachbarländern werden. Aber wenn Reisen wieder unbeschränkt und weltweit möglich ist, dann werden viele auch wieder in die Ferne reisen.
Hilft da der Impfstoff weiter? Und was halten Sie von der Diskussion um eine Impfpflicht etwa für Flugpassagiere? Oder den europäischen Impfpass, den der griechische Ministerpräsident Mitsotakis angeregt hat?
Lohmann: Der Impfstoff hilft natürlich. In erster Linie direkt, weil die Menschen nicht mehr erkranken. Und dann auch indirekt, weil er zur Beruhigung beitragen kann und aufzeigt, wie man der Pandemie Herr werden kann. Eine Impfpflicht für Reisende halte ich für unproblematisch. Wir haben das doch schon bei Gelbfieber. Ob da im Impfausweis auch Covid-19 drinstehen darf, ist für mich eine eher überraschende Diskussion.
Corona hat ja nicht nur das soziale und kulturelle Leben fast zum Stillstand gebracht. Weil niemand weiß, wie lange der Zustand andauert, lähmt das Virus auch die Planungsfreudigkeit vor allem bei Reisen. Wer weiß denn schon, wann welche Urlaubsländer neue Einreisebeschränkungen erlassen oder alte aufheben?
Lohmann: Die meisten wissen, wohin sie wollen. Die konkrete Planung oder gar Buchung aber schieben viele noch auf.
Viele Deutsche werden trotz aller staatlichen Hilfen damit rechnen müssen, weniger Geld zur Verfügung zu haben. Das könnte dazu führen, dass auch bei Reisen gespart wird. Oder? Lohmann: Es wird dazu führen, dass manche gar nicht reisen. Das vertieft die Kluft in der Gesellschaft noch. Während die einen von Arbeitslosigkeit oder wirtschaftlichem Niedergang bedroht sind, können die anderen reisen wie „Gott in Frankreich“. Das ist bedenklich, weil vor allem die ohnehin Schwachen die Last der Pandemie tragen.
Die Veranstalter haben den Sommer bereits geplant. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass manche Ziele wegen Corona ausfallen könnten. Das bedeutet auch eine Verknappung des Angebots. Werden Reisen teurer werden? Lohmann: Mittelfristig schon. Bei Flugreisen wird das Angebot knapper, was die Flüge verteuern wird und damit auch das Reisen. Aber für den Sommer 2021 erwarten wir auch einen Kampf um Marktanteile. Die Veranstalter werden vorsichtig mit den Preisen sein, auch weil ihr Image nicht unbedingt an Verlässlichkeit gewonnen hat. Da wäre es wagemutig, die Preise zu erhöhen.
Gerade jetzt warnen Experten davor, Reisen zu Schleuderpreisen anzubieten.
Lohmann: Wenn ein Markt darniederliegt, sind Preissenkungen eine probate Möglichkeit, den Verkauf anzukurbeln. Aber bei der bestehenden Reiselust sind Preissenkungen völlig überflüssig. Da ist es schon besser, die Storno- und Umbuchungsbedingungen anzupassen.
Der Tourismus war ja schon länger in Verruf geraten, Stichwort Klimawandel oder auch Overtourismus. Dass sich in Corona-Zeiten beides erledigt hat, das ist doch mal eine positive Nachricht?
Lohmann: Jein. Overtourism hat sich auch nicht erledigt. Temporäre Belastungen durch zu viel Menschen gibt es immer noch – in den Bergen oder am Meer. Zuviel Nachfrage zur selben Zeit an einer Stelle, das hatten wir auch 2020. Auch die Inlandsurlauber waren vermehrt an den schönsten Stellen des Landes zu finden. Overtourism ist also nicht aus der Welt, er hat sich nur verlagert. Von Venedig an die Nordsee oder ins Allgäu. Allerdings leiden die meisten Feriengebiete den größten Teil des Jahres eher unter Undertourism.
Und der Klimawandel?
Lohmann: Schädliche Effekte waren tatsächlich 2020 deutlich geringer, aber das ist nur pandemiebedingt und nicht nachhaltig. Wenn die Menschen wieder reisen wie vorher, machen sie auch so viel Dreck wie vorher. Man wird sich weiter darum kümmern müssen, Tourismus klimaund umweltfreundlich zu gestalten. Bis 2019 wurde jedes Jahr mehr und weiter geflogen. Aber gutes Urlaubsleben ist auch möglich, wenn wir weniger fliegen – so wie etwa 2010.
Die Kreuz- und die Luftfahrt stehen besonders in der Kritik. Wie können sie Vertrauen zurückgewinnen? Lohmann: Kreuzfahrt-Enthusiasten werden sich nicht abschrecken lassen. Tatsächlich sind Passagiere, die mit Impfpass oder Corona-Test an Bord gehen, dort auch weitgehend sicher. Das bedeutet freilich nicht, dass einige Reedereien aufgrund des 2020er Einbruchs keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben. Viele der großen Schiffe liegen immer noch still – und kosten. Ähnlich ist es bei den Airlines. Letztendlich wird es darauf hinauslaufen, dass es weniger Flugkapazitäten gibt und Flüge zu kostendeckenden Preisen. Unter Umweltgesichtspunkten ist das gar nicht so schlecht.