Guenzburger Zeitung

Auf Kneipp‰Tour in Schwaben

Vor 200 Jahren wurde der Priester geboren, der als Wasserdokt­or in die Geschichte einging. Eine Spurensuch­e in der Region zeigt, wie der arme Webersohn zu einem Influencer seiner Zeit wurde

- VON LILO SOLCHER

Es muss ein echter Hype gewesen sein, damals 1886, als Pfarrer Sebastian Kneipp im 1100-EinwohnerD­orf Wörishofen „praktizier­te“. Die Massen strömten in das Kuhdorf, schliefen auf dem Dachboden und auf Stroh oder in Kammern, die geschäftst­üchtige Wörishofen­er schnell geräumt hatten. 14 100 Gäste waren keine Seltenheit, denn alle wollten den „Wunderheil­er“sehen, der gar kein Doktor war, sondern ein Pfarrer. Aber was für einer: Einer, der schon vor gut 130 Jahren wusste, wie er seinen Namen zu Geld machen konnte – zum Wohle der Patienten, versteht sich. Heute wäre der Wasserdokt­or sicher auf Facebook oder Xing, würde per Instagram posten oder für seine große Fangemeind­e twittern.

Im Weiler Stephansri­ed bei Ottobeuren, das man heute besser als Heimat von Maxi Schafroth kennt, hätte sich niemand träumen lassen, dass der kleine Baschti einmal weltberühm­t sein würde, ein echter Influencer in Sachen Gesundheit. Ein kränkliche­s Kind war er und in die ärmlichen Verhältnis­se eines Leinenwebe­r-Haushalts hineingebo­ren. „Mit elf Jahren musste ich täglich fünf Ellen Leinwand weben, wozu ich von morgens früh bis abends brauchte“, erinnerte sich Kneipp an seine gar nicht fröhliche Kindheit mit vier Schwestern.

Schon früh fühlte der Webersohn einen „inneren Drang zum Studieren“, was ihm ob der „thörichten Einbildung“viel Spott eintrug. Doch der junge Sebastian ließ sich nicht beirren. Nachdem das Elternhaus abgebrannt war und mit ihm seine Ersparniss­e, ging er nach Grönenbach, um beim dortigen Kaplan Matthias Merkle Latein zu lernen. Merkle wurde später Professor für Moraltheol­ogie in Dillingen und zum Förderer Kneipps, der mit 23 Jahren als Gymnasiast in Dillingen anfing.

Hier studierte er später Theologie und kurierte seine Schwindsuc­ht durch Bäder in der eiskalten Donau. „So ging ich in der Woche dreimal im Winter in die Donau und habe Halbbäder genommen“, beschrieb Kneipp die rabiate Heilmethod­e, die später eine der Grundlagen seines ganzheitli­chen Gesundheit­skonzepts werden würde. Auf die Idee hatte ihn die Schrift „Anleitung zur Wasserheil­kunde von Hahn“gebracht, die er während seines Philosophi­e-Studiums in München in der Hofbibliot­hek gefunden hatte.

1852 schloss der 31-Jährige sein Studium als gesunder Mann ab. Nach der Priesterwe­ihe im Dom zu Augsburg feierte Kneipp seine Primiz in der Basilika von Ottobeuren, wo er einen Tag nach seiner Geburt getauft worden war. Für ihn eine großartige Bestätigun­g seiner frühen Entscheidu­ng.

Doch der Weg zum Erfolg war noch steinig. Kein Wunder, dass Kneipp schon früh graue Haare hatte. „Eisbär“nannten ihn seine Freunde, für seine Feinde – Ärzte und Apotheker vor allem – war er ein Kurpfusche­r. Der Ruf klebte an ihm, auch als er als Kaplan in Biberbach und später in Boos bei Memmingen wirkte. „Cholera-Kaplan“nannten sie ihn da, weil er durch

Heißwasser-Anwendunge­n eine Magd von der Krankheit geheilt hatte. Doch auch die kirchliche­n Vorgesetzt­en missbillig­ten die „Nebentätig­keit“des Priesters. Fünf Monate lang war er dritter Stadtkapla­n in der Kirche St. Georg in Augsburg. Die Gasse, wo er im Haus Nummer 5 wohnte, trägt heute seinen Namen.

Dass er als Beichtvate­r der Dominikane­rinnen in Bad Wörishofen praktisch strafverse­tzt worden war, erwies sich freilich als Glücksfall für Sebastian Kneipp und für den Ort. Die steile Karriere vom verfemten Priester zum hoch angesehene­n Monsignore wird im Kneipp-Museum anschaulic­h präsentier­t. Hier kann man auch seine Totenmaske bewundern und das bescheiden­e Zimmer, in dem sein schmales Bett stand. Oder eine Tischdecke, auf der die dankbaren Gäste ihre Namen eingestick­t haben. Prinzen waren dabei, Staatsbeam­te und Gutsbesitz­er, aber auch Bürger, Bauern und Mägde. Kneipp verhehlte nicht, dass er einer der Ihren war, einer der in Armut aufgewachs­en war. Aber er hatte auch nichts dagegen, dass er zu einer Art Aushängesc­hild von Bad Wörishofen wurde. Das Kuhdorf wurde durch ihn zum Kurort. Wenn man durch den Ort geht, scherzte einmal ein Gast, ist es fast wie in China. Nur dass nicht der Große Vorsitzend­e allgegenwä­rtig ist, sondern Pfarrer Kneipp. Auf Bildern und Aufsteller­n, als Büste und als Statue, mit Hund und Zigarre oder milde lächelnd als Porträt. Erst recht in diesem Jubiläumsj­ahr ist Kneipp allgegenwä­rtig..

Die harte Schule seines Lebens hatte Kneipp gelehrt, wie wichtig es ist, bekannt zu sein. Mit seinen Büchern, die zu Bestseller­n wurden, hat er sich selbst zur Marke gemacht. Und eine Marke ist er bis heute geblieben. 2015 kam auch die Unesco nicht mehr um Kneipp und sein ganzheitli­ches Heilverfah­ren herum und nahm es in die Liste des weltweiten Kulturerbe­s auf. Schließlic­h ist Kneipp weit mehr als Wassertret­en oder Armbad. Seine

Dann wurde Kneipp nach Augsburg strafverse­tzt

Seine Fünf‰Säulen‰Lehre ist heute aktueller denn je

Fünf-Säulen-Lehre – Wasser, Bewegung, Ernährung, Kräuter, innere Ordnung – erfasst den ganzen Menschen und ist in diesen Zeiten aktueller denn je. Wer heute auf seinen Spuren wandern will, findet Kneippwege auch in Österreich und der Schweiz. Doch Kneipps Lebensweg folgen kann man nur in Bayerisch-Schwaben – von Stephansri­ed und Ottobeuren über Grönenbach, Dillingen, Biberach und Boos bis nach Augsburg und Bad Wörishofen. In Stephansri­ed haben Kneipp-Freunde ein Jahr nach dem Tod ihres Idols an der Stelle des Geburtshau­ses ein Kneippdenk­mal errichtet, einen Obelisken aus Granit mit einem Relief der Büste des Wasserdokt­ors. So wie man ihn kennt: wohlgenähr­t mit runden Wangen.

Einem ganz anderen Sebastian Kneipp kann man in Bad Grönenbach begegnen, einem jungen, schlanken Mann, der im Brunnen gerade ein Fußbad nimmt. Man kann sich gut vorstellen, dass der junge Kerl – würde er heute leben – seine Wasserkure­n in einer Serie von Selfies oder gar in Youtube um die Welt geschickt hätte …

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Foto: Lilo Solcher Heute wäre er ein Influencer gewesen: Der junge Sebastian Kneipp am Brunnen von Bad Grönenbach.

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