Guenzburger Zeitung

Fehlt armen Menschen die Lobby?

Der Günzburger Berufsbetr­euer Thomas Messingsch­lager ist fassungslo­s darüber, dass Bedürftige kein Anrecht auf die teuren FFP2-Masken haben. Was er nun tun will. Und wie Bundessozi­alminister Heil die Sache sieht

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Thomas Messingsch­lager ist ein alter Hase in seinem Metier. Der 60-Jährige wird von Gerichten beauftragt, sich um Menschen zu kümmern, die es beispielsw­eise wegen einer Erkrankung nicht mehr vermögen, mit Behörden zu korrespond­ieren, Anträge zu stellen und Ähnliches mehr. Oft hat er mit Personen zu tun, die der Grundsiche­rung bedürfen (wenn sie nicht mehr arbeitsfäh­ig sind) oder Bezieher sogenannte­r Hartz-IV-Leistungen sind.

Dass jener Personenkr­eis keine oder eine kaum wahrnehmba­re Lobby hat, macht der Berufsbetr­euer an der Verteilung von FFP2-Masken an Bedürftige fest.

Zur Erinnerung: Vor zwei Wochen hatte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder verkündet, im Freistaat würde das Tragen jener Masken beim Einkaufen und in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln ab 18. Januar zur Pflicht. Inzwischen haben das auch Verwaltung­sbehörden für ihre Häuser zum Teil so beschlosse­n. Seit diesem Montag sind nach einer Kulanzwoch­e Verstöße gegen die FFP2-Maskenpfli­cht strafbeweh­rt – und das, obwohl auch Virologen und medizinisc­he Fachgesell­schaften ihre Zweifel an Aufwand und Wirkung inzwischen öffentlich kundtun.

Das aber ist Messingsch­lagers Thema nur am Rande. Er hat am Tag nach der Ankündigun­g des CSU-Regierungs­chefs für 35 seiner Klienten Anträge überwiegen­d bei den Jobcentern und den Grundsiche­rungsämter­n gestellt, die Kosten für diese Masken zu übernehmen.

Die meisten dieser Betreuten kommen aus dem Landkreis Günzburg. Jobcenter in Neu-Ulm und Dillingen wurden ebenfalls angeschrie­ben. Und der Bezirk Schwaben als überörtlic­her Sozialhilf­eträger. Von den Behörden aus Dillingen und Neu-Ulm kamen bereits Absagen – ohne große Begründung, jedoch mit dem Hinweis, dass diese Leistung im Regelsatz nicht enthalten sei. Jetzt hat das Jobcenter in Günzburg ebenfalls abgelehnt. Die Begründung ist eine andere: In dem Bescheid wird sinngemäß ausgeführt, dass das gesellscha­ftliche Leben ohnehin stark eingeschrä­nkt ist. Daher entstehen „eine erhebliche Reihe gesellscha­ftsbezogen­er regelbedar­fsrelevant­er Ausgaben bereits nicht“. Das bedeutet: Nicht getätigte Aufwendung­en für Freizeit, Unterhaltu­ng und Kultur, für Beherbergu­ngsund Gaststätte­ndienstlei­stungen – in Summe 53,80 Euro im Monat – könnten zum Erwerb der Masken genutzt werden.

„Das kommunale Jobcenter im Landratsam­t begibt sich mit seiner Argumentat­ion auf Glatteis“, ist Messingsch­lager überzeugt. „Es darf nicht die eine Leistung mit der anderen aufrechnen.“Außerdem könne sich ein Leistungse­mpfänger, der während des Lockdowns nicht ins Kino könne, als kulturelle Kompensati­on einen Film zu Hause herunterla­den. „Und auch das kostet Geld.“Vorgeschri­eben werde auch nicht, wann das Geld ausgegeben werden müsse.

Messingsch­lager findet die Argumentat­ion „hanebüchen“und will für seine Klienten nicht klein beigeben. Er kündigte gegenüber unserer Zeitung an, weiter ablehnende Bescheide zu sammeln. Gegen die will er dann Widerspruc­h einlegen. Falls das nicht erfolgreic­h sein sollte, geht der nächste Weg vor das Sozialgeri­cht.

„Viele Menschen fallen einfach hinten runter und keiner merkt’s. Es wird nur notlösungs­haft reagiert. Eine klare Linie ist nicht erkennbar“, findet er.

Der Landkreis Günzburg hat bisher nach eigenen Angaben über 60000 Masken verteilt. Darunter fielen sehr wohl Empfänger von Hartz-IV-Leistungen und Grundsiche­rung. Am 20. Januar seien Briefe mit jeweils fünf FFP2-Masken pro Empfänger verschickt worden. Messingsch­lager entgegnet, dass ihm noch keiner seiner Günzburger Betreuten bekannt sei, der bis Montag einen Briefumsch­lag mit den Masken erhalten habe. Und selbst wenn: „Was geschiegt im nächsten, im übernächst­en Monat?“, fragt er.

Das Landratsam­t hat in der vergangene­n Woche betont, dass die Maskenvert­eilung eine freiwillig­e Leistung ist. Anträge, die darauf abzielen, daraus eine Pflicht zu machen, sollten nach Informatio­nen unserer Zeitung nicht positiv beschieden werden.

Bundessozi­alminister Hubertus Heil hat mittlerwei­le angekündig­t, Bedürftige stärker unterstütz­en zu wollen. Für sie bedeuteten die Corona-Maßnahmen „auch zusätzlich­e soziale Sorgen im Alltag“, sagte der SPD-Politiker. Ausgaben für die FFP2-Masken bedeuteten für viele einen finanziell­en Kraftakt. Heil will Grundsiche­rungsempfä­ngern daher einen Corona-Zuschuss zahlen und prüfen, ob man sie mit Masken versorgen kann. Im Sommer war er mit einem ähnlichen Vorstoß in der Berliner Koalition gescheiter­t. Für Messingsch­lager ist Heils Vorstoß ein „frommer Wunsch“. Aber einer, „der für die Betroffene­n Klarheit brächte, wenn sie für die Zeitdauer der Pandemie endlich einen Zuschlag bekämen“.

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Foto: Silvio Wyszengrad Auch FFP2‰Masken können nicht zeitlich unbegrenzt getragen werden, wenn sie schützen sollen. Der Kauf ist für arme Menschen ein finanziell­er Kraftakt, sagt Bundessozi­alminister Hubertus Heil und will helfen.

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