Guenzburger Zeitung

Südafrikas Furcht vor der Mutation

Lange wurde Afrika von der Corona-Pandemie weitgehend verschont. Inzwischen steigt die Zahl der Infizierte­n genau wie die der Toten. Besondere Sorge macht den Menschen das sich verändernd­e Virus. Was heißt das für den Kontinent?

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Es ist eine der schon gewohnt technische­n Beschreibu­ngen für Mutationen des Coronaviru­s. „E484K“verdankt ihren Namen einer Veränderun­g von Glutamat (E) und Lysin (K) an Stachelpro­teinStelle 484. Die sperrige Bezeichnun­g erlangt derzeit traurige Berühmthei­t, bereitet sie Wissenscha­ftlern doch zunehmend Sorge, dass Impfstoffe bei Virusforme­n mit dieser Mutation weniger wirksam sein werden. Sie findet sich in den hochanstec­kenden Varianten, die in Südafrika und Brasilien grassieren.

„E484K“ist offenbar in der Lage, dem Immunschut­z gegen den Eintritt des Virus in die Zelle zumindest teilweise zu entkommen. Eine entspreche­nde Studie wurde erst Mitte Januar veröffentl­icht. Doch zu den Ergebnisse­n passen die zuletzt exponentie­ll steigenden Infektions­zahlen in Brasilien und Südafrika. Am Kap waren die Zahlen seit Oktober sprunghaft angestiege­n, obwohl bei 40 Prozent der Schwangere­n und HIV-Patienten nach dem Höhepunkt der ersten Infektions­welle im Juli Antikörper gegen das Coronaviru­s festgestel­lt worden waren, was ebenfalls für eine gewisse Durchseuch­ung sprach. Anfang Januar wurden dennoch über 20000 Infektione­n täglich registrier­t, erst seitdem sind die Zahlen wieder rückläufig. Eine wahrschein­liche Erklärung: die E484K-Mutation.

Die Nachrichte­nagentur AP zitierte Wissenscha­ftler, die darauf hinwiesen, dass die Studie keinesfall­s eine komplette Wirkungslo­sigkeit der Impfstoffe bedeute. „Wir wollen nicht, dass die Leute denken, dass der aktuelle Impfstoff bereits veraltet ist. Das ist absolut nicht wahr“, sagte der Immunologe Edward John Wherry von der Universitä­t Pennsylvan­ia mit Verweis auf die zahlreiche­n Mechanisme­n, mit denen der Impfstoff eine Abwehrreak­tion auslöse. Es gebe „trotzdem Immunität“und ein „gutes Schutznive­au“. Aber die Mutation reduziere die Fähigkeit des Immunsyste­ms, das Virus zu erkennen.

Der deutsche Wissenscha­ftler Wolfgang Preiser war als Leiter der Abteilung für Medizinisc­he Virologie an der Universitä­t Stellenbos­ch an der Entdeckung der neuen Variante beteiligt. „Nicht alles ist repräsenta­tiv für das, was im Pa

passiert“, sagt er, „es gibt einige beunruhige­nde Veränderun­gen in dieser neuen Variante, aber ich gehe davon aus, dass es allenfalls eine vermindert­e Wirksamkei­t gibt.“In Südafrika werde man nun prüfen, wie Teilnehmer an den im Land laufenden Impfstoffs­tudien gegen die Mutante geschützt seien.

Insgesamt sei zu loben, wie systematis­ch Südafrika nach neuen Varianten forsche, so der Wissenscha­ftler. „Jetzt entdecken mehr und mehr Länder ihre eigenen Varianten“, sagt Preiser, „die haben ja vorher nicht gesucht, zumindest nicht so systematis­ch und landesweit wie in Südafrika.“Die Entwicklun­g zeige aber auch, dass es weltweit auf eine rasche Impfung ankomme. Je länger das Virus zirkuliere, umso mehr werde es sich verändern. „Das ist nun einmal, was Viren tun.“

In Deutschlan­d wurde die südafrikan­ische Variante bisweilen vereinzelt nachgewies­en. Weltweit ist das in 23 Nationen der Fall. Zu den betroffene­n Ländern im südlichen Afrika zählen auch Sambia und Botswana, wo die meisten der betroffene­n Patienten länger nicht gereist waren – was dafür spricht, dass die Mutation auch dort in der lokalen Bevölkerun­g bereits einen gewissen Verbreitun­gsgrad hat. In Simbabwe, Südafrikas Nachbarlan­d, starben in der vergangene­n Woche im Abstand von drei Tagen der Außenund Verkehrsmi­nister. Insgesamt hat das Virus damit vier Kabinettsm­inister des Landes getötet, keine Regierung weltweit ist stärker betroffen.

Auch im Bergkönigr­eich Eswatini (früher: Swasiland) starben innerhalb weniger Wochen drei Kabitiente­n nettsmitgl­ieder – zuletzt Arbeitsmin­ister Makhosi Vilakati. Wenige Tage zuvor war der Minister für den Öffentlich­en Dienst, Cristian Ntshangase, an Covid-19-Komplikati­onen gestorben. Premiermin­ister Ambrose Dlamini war Mitte Dezember als einer der weltweit ersten Staatslenk­er überhaupt den Folgen einer Corona-Infektion erlegen. Der von Importen abhängige Binnenstaa­t ist von Engpässen geprägt, nachdem Nachbarlan­d Südafrika alle Landesgren­zen geschlosse­n hat. In den hoffnungsl­os überfüllte­n Krankenhäu­sern gehen die Sauerstoff­vorräte zur Neige – ein Problem, vor dem die zur Afrikanisc­hen Union (AU) gehörende Gesundheit­sbehörde Africa CDC zuletzt gewarnt hat. „Der Engpass entstand wegen der Verknappun­g der (Sauerstoff-)Zylinder, die aus Südafrika kommen“, sagte der Leiter der Gesundheit­sbehörde von Eswatini, Vusi Magagula.

Afrika hat mit 3,44 Millionen registrier­ten Fällen und 85200 Toten weiterhin deutlich niedrigere Zahlen als in anderen Regionen. Doch über ein Drittel der Fälle und knapp die Hälfte der Toten gab es in Südafrika. Mit einer Sterberate von inzwischen 2,5 Prozent liegt der Kontinent – anders als noch während der ersten Infektions­welle – inzwischen über dem weltweiten Durchschni­tt von 2,2 Prozent.

England hat sogar ein Einreiseve­rbot für 13 afrikanisc­he Länder ausgesproc­hen, auch wenn in nicht allen die neue Variante nachgewies­en wurde. Dafür fehlen vielerorts die technische­n Möglichkei­ten der Genomanaly­se, teilweise – etwa in Tansania – aber auch der politische Wille. In Deutschlan­d galt ab dem 21. Dezember ein Beförderun­gsverbot für Reisende aus dem als „Virusvaria­nten-Gebiet“eingestuft­en Südafrika. Am 13. Januar wurde dieses Verbot aufgehoben. Einreisend­e müssen neben der Quarantäne­pflicht auch einen negativen Corona-Test vorweisen.

Im April 2020 hatte Südafrika noch mit einem der schärfsten Lockdowns der Welt auf die Bedrohung durch das Coronaviru­s reagiert. Die daraus resultiere­nden wirtschaft­lichen Schäden lassen die klamme Regierung aber nun trotz der neuen Variante jede Maßnahme sehr genau abwägen – obwohl die neue Variante mindestens 50 Prozent ansteckend­er ist und bei einer großen Mehrheit der analysiert­en Proben festgestel­lt wurde. Die Landesgren­zen zu den Nachbarlän­dern wurden für den Personenve­rkehr geschlosse­n, wie auch Strände und viele Parks. Einreisen mit Flügen aber bleiben möglich. Und auch die Restaurant­s sind offen.

Gleichzeit­ig gab Südafrikas Regierung zuletzt ein dürftiges Bild bei seiner Impfstrate­gie ab. Das Land will bis zum Jahresende 40 Millionen Menschen impfen, das sind zwei Drittel der Bevölkerun­g. Doch Fristen für die Anzahlung an die Impfstoffp­lattform Covax wurden verpasst, nennenswer­te bilaterale Verhandlun­gen mit Hersteller­n laufen erst seit Ende 2020. Auch über die Finanzieru­ng der Kosten von umgerechne­t mindestens einer Milliarde Euro besteht weiter Unklarheit.

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Foto: Kopano Tlape, South African Government Communicat­ions, dpa Ein südafrikan­ischer Minister wird von Sargträger­n mit Schutzanzu­g zu seiner letzten Ruhestätte gebracht. Die Virus‰Mutation sorgt offenbar dafür, dass sich Genesene erneut anstecken können.

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