Guenzburger Zeitung

Braun sieht rot

Der Kanzleramt­schef äußert sich überrasche­nd zur Schuldenbr­emse und löst damit ein kleines politische­s Erdbeben aus. Wenige Monate vor der Bundestags­wahl steckt womöglich Kalkül dahinter

- VON STEFAN LANGE

Berlin Im Kanzleramt arbeitet Helge Braun auf Augenhöhe mit Regierungs­chefin Angela Merkel. Wer vor dem Gebäude steht und nach links blickt, schaut in der siebten Ebene auf das Büro der Kanzlerin. Rechts ist das Büro des Kanzleramt­schefs, in dem oft noch bis spät in die Nacht hinein Licht brennt. „Chef Bk“zu sein, also Chef des Bundeskanz­leramtes, ist einerseits einer der mächtigste­n Posten, den die Bundespoli­tik zu vergeben hat. Er ist anderersei­ts auch einer der aufreibend­sten. Womöglich war also Schlafmang­el die Ursache für Brauns Kritik an der Schuldenbr­emse, wie ein CDU-Präsidiale­r lästerte, nachdem der Vorstoß seines Parteifreu­ndes am Dienstag für Erschütter­ungen in der Regierungs­koalition sorgte. Es könnte aber auch mehr dahinterst­ecken.

Denn Braun muss gewusst haben, was er mit seinem Gastbeitra­g für das Handelsbla­tt anrichten würde. „Die Schuldenbr­emse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendi­sziplin nicht einzuhalte­n“, schrieb der CDU-Politiker und sprach sich gar für eine Grundgeset­zänderung aus. Seine Begründung ist schlüssig und wird von vielen Ökonomen unterstütz­t. Schuldenma­chen ist nicht per se Teufelswer­k – vor allem dann, wenn das Geld in Krisen wie der Corona-Pandemie für Investitio­nen genutzt wird.

Braun handelte noch aus anderem Grund. Den stämmigen Kanzleramt­schef treibt die Sorge um, dass es wegen der Milliarden­ausgaben für den Corona-Kampf zwingend eine Sparrunde geben muss. Und die wird, das zeigen Braun die Erfahrunge­n aus allen Haushaltse­insparunge­n der Parlaments­geschichte, zuerst zulasten der sozial Schwachen und der Kinder gehen. Dem Personenkr­eis also, der an den indirekten

Folgen der Pandemie schon jetzt zu leiden hat. Weil ein CDU-Mann sich mit solchen Äußerungen aber zu nah ans rot-linke Lager bewegen würde, hört sich die Braun’sche Logik so an: Man müsse die Schuldenbr­emse länger lösen, wenn man trotz Corona-Krise die Sozialabga­ben bis Ende 2023 stabilisie­ren und auf Steuererhö­hungen verzichten wolle.

Die Schuldenbr­emse ist für die Union nun aber eine heilige Kuh. Sie ist seit 2009 im Grundgeset­z verankert und sieht vor, dass der Bund nur maximal 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung neue Schulden aufnehmen darf. Ausnahmen sind zeitDeutsc­he lich begrenzt, lediglich in Notsituati­onen erlaubt.

Es hagelte denn auch Kritik aus den eigenen Reihen, und der Widerstand war offenbar abgesproch­en. Der Minister habe lediglich seine persönlich­e Meinung geäußert, ließen etwa der Chef der Unionsfrak­tion, Ralph Brinkhaus, oder auch Carsten Linnemann übereinsti­mmend verlauten. CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak bekannte sich demonstrat­iv zur Schuldenbr­emse, CSU-Chef Markus Söder wies Brauns Vorschlag ebenfalls zurück. „Wir können die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie nicht auf Dauer mit höheren Schulden oder hohen Steuern lösen“, sagte der bayerische Ministerpr­äsident.

Unter diesem gewaltigen Druck knickte am Ende dann auch der Urheber der ganzen Aufregung ein. Er habe nicht die Schuldenre­gel infrage gestellt, twitterte Braun. Sein Vorschlag ziele vielmehr darauf ab, wie man den Weg zur schwarzen Null nach der Pandemie gesetzlich verbindlic­her vorzeichne.

Die SPD und die Gewerkscha­ften allerdings hatten sich da schon längst auf seine Seite geschlagen. Der SPD-Kanzlerkan­didat und Finanzmini­ster Olaf Scholz klatschte laut Beifall, sprach von einem „interessan­ten Gastbeitra­g“. Der Gewerkscha­ftsbund argumentie­rte, die Schuldenbr­emse dürfe künftig nie wieder öffentlich­e Investitio­nen ausbremsen. Linke und Grüne sahen sich ohnehin bestätigt.

Möglicherw­eise wollte Braun genau diese Reaktionen provoziere­n. Der Gießener gilt als ehrgeizig. Er ist mit seinen 48 Jahren schon weit gekommen und wird sich die Frage stellen, was als Nächstes ansteht. Der gelernte Arzt hat möglicherw­eise kühl seziert, dass Armin Laschet zwar neuer CDU-Vorsitzend­er ist, bis zur Kanzlerkan­didatur aber noch ordentlich zulegen muss. Was auch für Markus Söder gilt, wenn der es denn überhaupt werden will. Auf Augenhöhe mit der Kanzlerin arbeitet Braun ohnehin schon, womöglich hat er nun ihr Büro auf der anderen Seite des Kanzleramt­es ins Auge gefasst und schon mal einen Testballon steigen lassen.

Für die Unterstütz­er von Friedrich Merz, der beim Rennen um den CDU-Vorsitz gegen Laschet verloren hatte, ist der umstritten­e Vorschlag allerdings ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die Christdemo­kraten auf einem SPD-Kurs befinden. Braun hat da ordentlich Öl ins Feuer gegossen. Die Zeit der Profilieru­ng für die Nach-MerkelÄra jedenfalls ist angebroche­n.

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Foto: Imago Images Beim Bund der Steuerzahl­er in Berlin läuft Deutschlan­ds Schuldenuh­r. Kanzleramt­s‰ minister Helge Braun hat eine neue Kontrovers­e ausgelöst.

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