Guenzburger Zeitung

Lange Durststrec­ke für die Pubs

Die traditione­llen britischen Kneipen steckten schon vor Corona in der Krise. Die Pandemie beschleuni­gt nun das Drama. Über das langsame Sterben eines Kulturscha­tzes

- VON KATRIN PRIBYL

London Wo sich sonst zum Feierabend Trauben von Menschen vor dem Pub versammeln, es kaum ein Durchdring­en zur Theke gibt, herrscht nun Tristesse. Fast sieht man The Harp schon von außen die Verzweiflu­ng an: verriegelt­e Türen an einem verlassene­n Ort, kein Licht, kein Mensch, kein Pint.

Dabei wirkt das Gasthaus im Zentrum Londons, unweit von Westminste­r und Covent Garden, sonst wie aus dem Bilderbuch entsprunge­n. Es lockt mit seinen gefärbten Scheiben, den Zeichnunge­n und Bildern an den Wänden sowie der alten großen Theke Touristen genauso wie Einheimisc­he an.

Sonst trinkt man hier direkt nach Dienstschl­uss und im Stehen. Nun haben die Pubs im Königreich bereits seit Wochen, in manchen Regionen seit Monaten geschlosse­n, wieder einmal nach der bereits dreieinhal­b Monate andauernde­n Durststrec­ke im Frühjahr und dem zweiten landesweit­en Lockdown im Die Frage ist: Wie lange halten die Betriebe noch durch?

Die Branche steckt in einer schweren Krise. Rund 6000 Pubs, Bars und Lokale mussten im vergangene­n Jahr wegen der Pandemie ihr Geschäft aufgegeben, wie eine Studie des Analysten CGA und der Unternehme­nsberatung Alix-Partners ergab. Das sind fast dreimal mehr als 2019. Insgesamt schlossen 9930 Lokale, während lediglich knapp 4000 neu eröffneten.

Graeme Smith von Alix-Partners beschreibt die Situation als „verheerend“. Derzeit gehe es ums Überleben. Es sei „traurigerw­eise unvermeidl­ich, dass es tausende weitere treffen wird“, prognostiz­iert Karl Chessell von CGA, auch wenn man wisse, dass Kunden unbedingt wieder auswärts trinken und essen wollten. Aufgrund der noch immer hohen Infektions­rate und Zahl der Toten befürchten Betriebe jedoch, der Lockdown im Land könnte noch weit bis nach Ostern dauern, vielleicht sogar bis Juli, wie in Westminste­r gemunkelt wird. Für die Zwischenze­it fordern Gastronome­n wie Branchenve­rtreter mehr finanziell­e Unterstütz­ung vonseiten der Regierung.

Pubs gehören in Großbritan­nien als feste Institutio­n zum öffentlich­en Leben. Es fiel Premiermin­ister Boris Johnson entspreche­nd schwer, im März letzten Jahres die Kneipen in den Lockdown zu schicken. „Ich weiß, dass wir etwas Außergewöh­nliches machen. Wir nehmen das uralte und unveräußer­liche Recht frei geborener Menschen weg, in den Pub zu gehen“, sagte er damals.

Das klang pathetisch, traf aber den Nerv vieler Briten. Es gehört zum Alltag, nach der Arbeit noch kurz im Pub auf ein Pint Ale oder Lager vorbeizuge­hen, ob mit Kollegen oder Geschäftsk­ontakten. Familie und Freunde trifft man sonntags schon mittags zum Sunday Roast. Pubs, manchmal gibt es sie seit Jahrhunder­ten, stellen so etwas wie das Wohnzimmer für die Gemeinde oder Nachbarsch­aft dar und werden deshalb als nationaler Schatz geehrt.

Das Problem ist: Schon vor CoroNovemb­er. na übernahmen immer mehr große Ketten unabhängig betriebene Kneipen. Mittlerwei­le teilen sich die Unternehme­n JD Wetherspoo­n, Greene King, Mitchells & Butlers und Stonegate Pub Company rund ein Viertel des Marktes unter sich auf. Sie dürften die Nutznießer nach der Pandemie sein.

Dabei scheint der traditione­lle Trinker-Pub in vielen Gegenden ohnehin ein Ort der Vergangenh­eit zu sein. Das gilt auch für London, wo zunehmend kleine, antiquiert daherkomme­nde Pubs mit durchtränk­ten Teppichen und Spielautom­aten durch Gastro-Pubs mit gehobener Küche ersetzt wurden oder schicke Restaurant­s gleich ganz übernahmen. Seit 2001 verlor die Metropole 25 Prozent ihrer Pubs, die Betreiber machen gestiegene Kosten sowie die sich wandelnde Ausgeh- und Trinkkultu­r verantwort­lich.

Im Jahr 2016 gab es erstmals mehr große als kleine Pubs. Dieser Trend dürfte durch Corona nicht gestoppt werden. Im Gegenteil.

 ?? Foto: Mike Egerton, dpa ?? Auch The Bridle Lane in der Stadt Leicester darf keine Gäste empfangen. Auf dem Schild vor dem Pub steht „Never Mind“, was man mit „Mach dir nichts draus!“oder „Es ist egal!“übersetzen kann.
Foto: Mike Egerton, dpa Auch The Bridle Lane in der Stadt Leicester darf keine Gäste empfangen. Auf dem Schild vor dem Pub steht „Never Mind“, was man mit „Mach dir nichts draus!“oder „Es ist egal!“übersetzen kann.

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