Lange Durststrecke für die Pubs
Die traditionellen britischen Kneipen steckten schon vor Corona in der Krise. Die Pandemie beschleunigt nun das Drama. Über das langsame Sterben eines Kulturschatzes
London Wo sich sonst zum Feierabend Trauben von Menschen vor dem Pub versammeln, es kaum ein Durchdringen zur Theke gibt, herrscht nun Tristesse. Fast sieht man The Harp schon von außen die Verzweiflung an: verriegelte Türen an einem verlassenen Ort, kein Licht, kein Mensch, kein Pint.
Dabei wirkt das Gasthaus im Zentrum Londons, unweit von Westminster und Covent Garden, sonst wie aus dem Bilderbuch entsprungen. Es lockt mit seinen gefärbten Scheiben, den Zeichnungen und Bildern an den Wänden sowie der alten großen Theke Touristen genauso wie Einheimische an.
Sonst trinkt man hier direkt nach Dienstschluss und im Stehen. Nun haben die Pubs im Königreich bereits seit Wochen, in manchen Regionen seit Monaten geschlossen, wieder einmal nach der bereits dreieinhalb Monate andauernden Durststrecke im Frühjahr und dem zweiten landesweiten Lockdown im Die Frage ist: Wie lange halten die Betriebe noch durch?
Die Branche steckt in einer schweren Krise. Rund 6000 Pubs, Bars und Lokale mussten im vergangenen Jahr wegen der Pandemie ihr Geschäft aufgegeben, wie eine Studie des Analysten CGA und der Unternehmensberatung Alix-Partners ergab. Das sind fast dreimal mehr als 2019. Insgesamt schlossen 9930 Lokale, während lediglich knapp 4000 neu eröffneten.
Graeme Smith von Alix-Partners beschreibt die Situation als „verheerend“. Derzeit gehe es ums Überleben. Es sei „traurigerweise unvermeidlich, dass es tausende weitere treffen wird“, prognostiziert Karl Chessell von CGA, auch wenn man wisse, dass Kunden unbedingt wieder auswärts trinken und essen wollten. Aufgrund der noch immer hohen Infektionsrate und Zahl der Toten befürchten Betriebe jedoch, der Lockdown im Land könnte noch weit bis nach Ostern dauern, vielleicht sogar bis Juli, wie in Westminster gemunkelt wird. Für die Zwischenzeit fordern Gastronomen wie Branchenvertreter mehr finanzielle Unterstützung vonseiten der Regierung.
Pubs gehören in Großbritannien als feste Institution zum öffentlichen Leben. Es fiel Premierminister Boris Johnson entsprechend schwer, im März letzten Jahres die Kneipen in den Lockdown zu schicken. „Ich weiß, dass wir etwas Außergewöhnliches machen. Wir nehmen das uralte und unveräußerliche Recht frei geborener Menschen weg, in den Pub zu gehen“, sagte er damals.
Das klang pathetisch, traf aber den Nerv vieler Briten. Es gehört zum Alltag, nach der Arbeit noch kurz im Pub auf ein Pint Ale oder Lager vorbeizugehen, ob mit Kollegen oder Geschäftskontakten. Familie und Freunde trifft man sonntags schon mittags zum Sunday Roast. Pubs, manchmal gibt es sie seit Jahrhunderten, stellen so etwas wie das Wohnzimmer für die Gemeinde oder Nachbarschaft dar und werden deshalb als nationaler Schatz geehrt.
Das Problem ist: Schon vor CoroNovember. na übernahmen immer mehr große Ketten unabhängig betriebene Kneipen. Mittlerweile teilen sich die Unternehmen JD Wetherspoon, Greene King, Mitchells & Butlers und Stonegate Pub Company rund ein Viertel des Marktes unter sich auf. Sie dürften die Nutznießer nach der Pandemie sein.
Dabei scheint der traditionelle Trinker-Pub in vielen Gegenden ohnehin ein Ort der Vergangenheit zu sein. Das gilt auch für London, wo zunehmend kleine, antiquiert daherkommende Pubs mit durchtränkten Teppichen und Spielautomaten durch Gastro-Pubs mit gehobener Küche ersetzt wurden oder schicke Restaurants gleich ganz übernahmen. Seit 2001 verlor die Metropole 25 Prozent ihrer Pubs, die Betreiber machen gestiegene Kosten sowie die sich wandelnde Ausgeh- und Trinkkultur verantwortlich.
Im Jahr 2016 gab es erstmals mehr große als kleine Pubs. Dieser Trend dürfte durch Corona nicht gestoppt werden. Im Gegenteil.