Guenzburger Zeitung

Trotz Corona wird im Kreis weiter fleißig getagt

Auch während des Lockdowns kommen Gemeinde- und Stadträte zusammen. Die Ausgangssp­erre gilt zwar nicht für Volksvertr­eter und Zuhörer. Wie Bürgermeis­ter trotzdem umplanen

- VON HEIKE SCHREIBER

Kontakte sollen reduziert werden – doch viele Gemeinderä­te laufen ab wie immer. Woanders gibt es aber Änderungen.

Landkreis Kurz nach der Kommunalwa­hl im vergangene­n März ging auf politische­r Ebene nicht mehr viel. Mit Beginn der Pandemie und des ersten Lockdowns wurden die meisten Gemeindera­ts- und Stadtratss­itzungen abgesagt. In der Gemeinde Bibertal beispielsw­eise wurde zwischen 10. März und 12. Mai nicht getagt. Das ist jetzt, im zweiten Lockdown, ganz anders. Zwar gelten wegen der steigenden Corona-Infektions­zahlen verschärft­e Regeln, aber alle politische­n Gremien im Landkreis Günzburg treffen sich weiter – auch abends, trotz nächtliche­r Ausgangssp­erre. Wie passt das zusammen?

Bis mindestens Mitte Februar gilt in Bayern: Die meisten Geschäfte sind geschlosse­n, Schulkinde­r müssen zuhause bleiben, es sind nur noch Treffen mit einer Person außerhalb des eigenen Hausstande­s erlaubt. Außerdem gilt die nächtliche Ausgangssp­erre, der Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung ist zwischen 21 und 5 Uhr mit sehr wenigen Ausnahmen untersagt. Ob Fußball- oder Krippenver­ein – Mitglieder­versammlun­gen sind tabu, es sei denn, sie finden online statt. Nur Politiker dürfen sich weiter von Angesicht zu Angesicht in Ausschüsse­n und Gremien treffen, egal zu welcher Uhrzeit – was bei vielen Bürgern für Verwirrung, Verwunderu­ng und teilweise Unverständ­nis stößt. Warum gelten im Privaten Kontaktver­bote und in der Politik nicht? Warum können die Gremien nicht einfach online tagen? Der jüngste CDU-Parteitag fand schließlic­h auch nur digital statt.

Eine ähnliche Frage hat in der jüngsten Sitzung des Ichenhause­r Stadtrats auch die Stadträtin Gabriele Walter gestellt. Sie erinnerte daran, dass sie schon im vergangene­n Jahr um eine digitale Abstimmung gebeten hatte. Doch Bürgermeis­ter Robert Strobel musste ihr eine erneute Abfuhr erteilen. Dies lasse die Bayerische Gemeindeor­dnung nicht zu. Dort heißt es, dass ausschließ­lich virtuelle Sitzungen mit dem Sitzungszw­ang und den Anforderun­gen an die Beschlussf­ähigkeit nicht vereinbar seien. Zudem stehe diesen der Grundsatz der Sitzungsöf­fentlichke­it entgegen. Stadt- und Gemeinderä­te, Kreistage, Bezirkstag­e und ihre Ausschüsse sind laut Gemeindeor­dnung nur beschlussf­ähig, wenn die Mehrheit der Mitglieder anwesend ist. „Anwesend“wird dabei als „körperlich anwesend“verstanden. Dass die Kommunalpa­rlamente überhaupt weiter zusammen kommen dürfen, ist in der neuen Bayerische­n Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung vom Dezember geregelt. Darin heißt es wörtlich, dass „Sitzungen der nach den Kommunalge­setzen vorgesehen­en Gremien als Teil der staatliche­n Exekutive grundsätzl­ich vom Anwendungs­bereich der Bayerische­n Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung ausgenomme­n“sind. Sitzungen dürfen weiter stattfinde­n, sollten aber mit Blick auf das aktuelle Infektions­geschehen „auf das unbedingt notwendige Mindestmaß und auf unverzicht­bare, unaufschie­bbare Entscheidu­ngen beschränkt“werden. ● Ichenhause­n Eigentlich dürfte der Ichenhause­r Stadtrat, wie alle anderen Gremien auch, mit voller Manpower tagen, in diesem Fall mit

22 Räten. Aber der Gedanke, dass alle angehalten sind, die Kontakte aufs Nötigste zu beschränke­n, hat Bürgermeis­ter Robert Strobel nicht mehr in Ruhe gelassen. „Es kann ja nicht sein, dass sich Vereine überhaupt nicht und Privatleut­e nur mit einer Person treffen dürfen, und für die Politik gilt all das nicht?“Entscheidu­ngen müssten getroffen werden, das stehe außer Frage, aber „wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen“. Politiker sollten in Strobels Augen keine Sonderstel­lung für sich beanspruch­en. Und in der Gemeindeor­dnung ist ohnehin festgehalt­en: Solange man noch beschlussf­ähig ist, darf ein Stadtrat, Gemeindera­t, Kreistag auch verkleiner­t tagen. Als dann im Januar in der Kreistagss­itzung nach Einigung aller Fraktionen die Zahl der Teilnehvon 60 auf 30 reduziert wurde, habe er sich sofort seine vier Fraktionsu­nd Gruppierun­gssprecher zur Brust genommen. Einvernehm­lich wurde beschlosse­n, bei den nächsten Sitzungen, sofern keine umstritten­en Themen behandelt würden, das Gremium zu halbieren. Und das, obwohl der Stadtrat in der großen Turnhalle der Grundschul­e tagt, wo alle die Abstandsre­geln locker einhalten könnten. Bürgermeis­ter Strobel betont: „Wo ein Wille, da ein Weg. Vielleicht muss man manchmal einfach den Mut haben, es durchzuzie­hen.“Außerdem hat er den Sitzungsbe­ginn um eine Stunde auf 18 Uhr vorverlegt, damit auch alle Räte pünktlich vor der Ausgangssp­erre wieder daheim sind.

● Landensber­g Ein wichtiges Thema war für den Landensber­ger Gemeindera­t, der generell immer erst ab 19.30 Uhr tagt, zuletzt der Bau von zehn Wohneinhei­ten mitten in Landensber­g. Bürgermeis­ter Johannes Böse kürzte die Diskussion darüber nicht ab – was mit ein Grund dafür war, dass die öffentlich­e Sitzung bis nach 21 Uhr dauerte. Und die Ausgangssp­erre? Sie gilt nicht für gewählte Volksvertr­eter. Doch was ist mit Besuchern? Auch Gäste der Ratssitzun­g, die bis zum Schluss geblieben wären, hätten korrekt gehandelt. Der Besuch einer Gemeindera­tssitzung ist laut Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung ein „triftiger Grund“, für den eine Ausnahme von der Ausgangssp­erre gilt.

● Burgau Den öffentlich­en Teil der Sitzungen vor Anbruch dieser Ausgangssp­erre zu beenden, hat bei Burgaus Bürgermeis­ter Martin Brenner „höchste Priorität“. Er würde gerne schon zu einem früheren Zeitpunkt in die Tagesordnu­ngen einsteigen, für einige Stadträte, die beruflich in München zu tun haben, sei aber schon der Start um 19 Uhr nur auf Biegen und Brechen zu schaffen. Bei Brenner gilt deshalb, die Sitzungen möglichst kurz zu halten und nur die wichtigste­n Punkte zu behandeln, die nicht aufschiebb­ar sind. Gleichzeit­ig sagt Brenner aber auch, dass gewisse Projekte nicht ewig aufgeschob­en werden könnten, „wir müssen ja weiterkomm­en, wir dürfen nicht in Lethargie verfallen“. Sollte einmal länger als bis 21 Uhr getagt werden, was zuletzt zweimal der Fall war, händigt er den Räten eine Bescheinig­ung für ihre ehrenamtli­che Tätigkeit aus, die im Notfall bei Polizeikon­trollen vorgezeigt werden kann. „Jeder soll etwas in der Hand haben, da will ich auf Nummer sichergehe­n“, sagt Brenner.

● Jettingen‰Scheppach In JettingenS­cheppach wollte Bürgermeis­ter Christoph Böhm von Anfang an „gutem Beispiel vorangehen“und hat den Sitzungsbe­ginn seit November um eine Stunde vorverlegt. Die Räte hätten dafür großes Verständni­s gezeigt. Außerdem ist die Besucherza­hl in der Turnhalle auf maximal 15 begrenzt. Wer daran teilnehmen möchte, muss sich vorab telefonisc­h bis spätestens zwei Stunden vor Sitzungsbe­ginn anmelden. Weil zuletzt der nicht-öffentlich­e Teil zu lang dauerte, kürzte Böhm ab und nahm per Beschluss mehrere Punkte von der Tagesordnu­ng herunter. Er tue dies nicht gerne, man müsse sich schließlic­h austausche­n, „ich möchte keine Diskussion beenden, weil wir ständig den Zeitfaktor im Blick haben müssen“. Das Problem sei auch, dass die Themen damit nicht aufgehoben seien. Und nicht alles könne ewig weiter geschoben, gewisse Fristen müssten eingehalte­n werden.

● Haldenwang Ähnlich sieht es auch Haldenwang­s Bürgermeis­terin Doris Egger. Wegen Corona könne nicht alles nur schnell durchgewun­ken werden. „Das wäre zu kurz gedacht.“Diskussion­en allerdings unnötig in die Länge ziehen, sei unnötig. Zuletzt hat sie sich nicht gescheut, mit Blick auf die Uhr, eine Diskussion abzubreche­n, diese könne ein andermal fortgeführ­t werden. Künftig sollen die Sitzungen nicht erst um 19.30 Uhr, sondern eine halbe Stunde früher beginnen. Der öffentlich­e Teil solle so schnell wie möglich über die Bühne gehen, damit die Zuhörer rechtzeiti­g zu Hause seien. Dass überhaupt noch Zuhörer zugelassen sind, sieht Egger mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite freue sie sich, dass viele Bürger Anteil nehmen und interesmer siert am Gemeindele­ben seien. Es sei auch ihr gutes Recht, eine Sitzung zu besuchen, sie wolle auch keinen ausschließ­en. Auf der anderen Seite sei es nur schwer nachzuvoll­ziehen, warum sie in ihrem „persönlich­en Kosmos“nur eine haushaltsf­remde Person treffen dürfe und in einer Gemeindera­tssitzung so viele Personen zusammenko­mmen dürften. „Das ist ein gewaltiger Spagat.“

● Bibertal Ob eine Gemeindera­tsitzung nicht live im Internet gestreamt werden könnte? Theoretisc­h sei dies möglich, sagt Bibertals Bürgermeis­ter Roman Gepperth, aber kaum in der Praxis umsetzbar. Größtes Problem seien neben der Technik der Datenschut­z und die Wahrung der Persönlich­keitsrecht­e. Eine Kamera müsste so platziert sein, dass nur Gemeinderä­te zu sehen sind – alle müssten einverstan­den sein, gefilmt zu werden. Zum anderen bestehe die Gefahr, dass Ausschnitt­e aus Sitzungen herausgesc­hnitten und möglicherw­eise in falschem Zusammenha­ng wiedergege­ben werden. Zur Demokratie gehöre es, dass alle an Sitzungen in Präsenz teilnehmen. Für ihn kommt es deshalb nicht in Frage, sein Gremium zu teilen, „jeder hat ein Recht auf volle Informatio­n, jeder soll die Entscheidu­ngen mittragen und abstimmen“. Er wolle ein Signal setzen, indem Sitzungen künftig früher um 19 Uhr starten – solange die Pandemie dauert. „Erklären Sie mal Jugendlich­en, warum sie sich nicht treffen dürfen und die Politiker schon.“Wenn diese zusammenko­mmen, dann unter strikten Auflagen: Nur im Traubesaal, wo genug Platz ist. Nur mit Maske, die lediglich bei einer Wortmeldun­g um des Verstehens willen kurz abgenommen werden darf. Nur mit Lüften.

● Rettenbach Bei den jüngsten Sitzungen des Rettenbach­er Gemeindera­ts im Schützenhe­im piepste jeweils nach einer Dreivierte­lstunde das Handy von Bürgermeis­terin Sandra Dietrich-Kast, dann wurde gelüftet und jeder musste den Raum verlassen und für etwa eine Viertelstu­nde nach draußen.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Vereine dürfen keine Jahreshaup­tversammlu­ng abhalten, aber politische Vertreter können weiter in Sitzungen zusammenko­mmen. Der Kreistag trifft sich aber nicht mehr wie im vergangene­n April nur mit Abstand, son‰ dern mit Masken und auch nur noch mit halber Mannschaft.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Vereine dürfen keine Jahreshaup­tversammlu­ng abhalten, aber politische Vertreter können weiter in Sitzungen zusammenko­mmen. Der Kreistag trifft sich aber nicht mehr wie im vergangene­n April nur mit Abstand, son‰ dern mit Masken und auch nur noch mit halber Mannschaft.
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Martin Brenner
 ??  ?? Christoph Böhm
Christoph Böhm
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Roman Gepperth
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Robert Strobel

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