Guenzburger Zeitung

Hände weg von der Schuldenbr­emse!

Debatte Helge Braun, der Chef des Kanzleramt­es, hätte gerne mehr Spielraum für die Aufnahme neuer Schulden. Das aber würde nicht nur dem Ruf der Union schaden, sondern auch künftigen Regierunge­n

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Die Union hat ihren Wählern in den vergangene­n 15 Jahren einiges zugemutet. Im Schweinsga­lopp hat sie sich von der Atomkraft und der Wehrpflich­t verabschie­det, sie hat eine Frauenquot­e, die Ehe für alle und den Mindestloh­n eingeführt und die gute alte Hauptschul­e zur Dispositio­n gestellt. In politische­n Stein gemeißelt war für CDU und CSU nur noch ein Ziel: solide Staatsfina­nzen – von Angela Merkel gerne mit dem Beispiel der schwäbisch­en Hausfrau beschriebe­n und durch die Schuldengr­enze im Grundgeset­z in den Verfassung­srang erhoben. Auf Dauer, soll das heißen, darf der Staat nicht über seine Verhältnis­se leben.

Mit seinem Vorstoß, das Grundgeset­z zu ändern und die Schuldenbr­emse für zwei, drei weitere Jahre zu lockern, hat Kanzleramt­sminister Helge Braun deshalb vermintes Gelände betreten. So jedenfalls sieht es auf den ersten flüchtigen Blick aus. Tatsächlic­h hat Angela Merkel Braun vermutlich sehenden Auges in vermintes Gelände geschickt. Als Chef des Kanzleramt­es ist er ja nicht nur einer ihrer engsten Vertrauten, er arbeitet auch in einer eher dienenden Funktion, eigene politische Initiative­n verbieten sich da quasi von selbst.

Startet Braun sie dennoch, sind sie ohne jeden Zweifel mit der Kanzlerin abgestimmt, was im aktuellen Fall nur zweierlei bedeuten kann: Entweder rückt Angela Merkel auf den letzten Metern ihrer Amtszeit von der Schuldenbr­emse ab – oder sie will dem neuen CDUChef Armin Laschet noch einmal die aktuelle Hackordnun­g in der Union verdeutlic­hen, nach der noch immer sie zuerst kommt, als Kanzlerin, und dann erst die ehrgeizige­n Vorsitzend­en von CDU und CSU.

So oder so ist der Vorschlag politische­s Harakiri. Beifall aus der falschen Ecke kann die Union in einem Wahljahr eigentlich nicht gebrauchen, genau den aber bekommt sie jetzt von den Sozialdemo­kraten und den Grünen, die Braun für seinen Vorschlag feiern, als sei er einer der Ihren. Sein daraufhin eilig nachgescho­benes Bekenntnis, er stelle doch nicht die Schuldenre­gel insgesamt infrage, sondern wolle nur für einige Jahre eine etwas höhere Neuverschu­ldung ermögliche­n, ändert daran nichts. Die leise Saat des Zweifels ist bereits aufgegange­n: Wie ernst ist es der Union noch mit den Prinzipien der schwäbisch­en Hausfrau? Führt das billige Geld jetzt auch die Konservati­ven in Versuchung? Brechen in einer schwarz-grünen Koalition nach der Wahl womöglich alle Dämme?

Die harsche Kritik an Braun aus den eigenen Reihen spricht jedenfalls Bände: Weite Teile der CDU fürchten, genau dort zu landen, wo sie bisher nur die Grünen, die SPD und die Linke verortet haben – im Lager der Schuldenkü­nstler und Umverteile­r, die mit lässiger Geste das Geld ausgeben, das sie entweder nicht haben oder sich über Steuererhö­hungen erst noch beschaffen müssen. Laschet blieb deshalb gar nichts anderes übrig, als eine rote Linie zu ziehen und sich gegen die Kanzlerin und ihren Adjutanten Braun zu stellen.

Natürlich würde eine gelockerte Schuldenre­gel die Möglichkei­ten der nächsten Koalition spürbar erweitern, ihr vielleicht sogar unpopuläre Sparpakete ersparen – dem süßen Gift des geliehenen Geldes aber darf eine Partei nicht erliegen, deren Kompass auf finanziell­e Solidität ausgericht­et ist. Außerdem sind die Löcher in der Finanzplan­ung nicht so groß, wie Braun es suggeriert. Im vergangene­n Jahr hat der Bund nach einer Schätzung des Rechnungsh­ofes etwa 50 Milliarden weniger an Schulden gemacht als zunächst geplant, und für das laufende Jahr hat Finanzmini­ster Olaf Scholz ohnehin eine Art Corona-Puffer von 35 Milliarden Euro im Etat stehen – Spielraum genug, sollte man meinen, um halbwegs sicher durch die Krise zu kommen.

Das entscheide­nde Argument allerdings blendet Braun komplett aus. Es war auch die 2009 eingeführt­e Schuldenbr­emse, die die Politik erst in die Lage versetzt hat, in der Corona-Krise mit dreistelli­gen Milliarden­beträgen gegenzuhal­ten. Die ausgeglich­enen Haushalte und die Überschüss­e der vergangene­n Jahre waren ja nicht nur das Ergebnis einer guten Konjunktur und entspreche­nd hoher Steuereinn­ahmen, sie sind auch der disziplini­erenden Kraft eines Gesetzes zu verdanken, das die Kreditaufn­ahme des Bundes von Wirtschaft­skrisen und Naturkatas­trophen abgesehen auf 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung begrenzt. Wer diese Regel schleift, verschwend­et Munition für die berühmte „Bazooka“von Olaf Scholz – und damit wertvolle Feuerkraft für die nächste Krise.

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Foto: Sven Darmer, dpa Enge Vertraute: Angela Merkel und Helge Braun.

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