Die Ungleichheit steigt
Die Reichen werden immer reicher, die Armen noch ärmer, warnt die Hilfsorganisation Oxfam. Warum Corona global wie ein Brennglas wirkt
Dass bei Davos nicht nur an das Weltwirtschaftsforum (WEF), sondern nicht selten ans Siechtum gedacht wird, liegt nicht nur am „Zauberberg“von Thomas Mann. Wenn Jahr für Jahr die Eliten in dem Schweizer Bergort zusammenkommen, geht es oft darum, alles von nun an besser zu machen, die Dinge in neue Bahnen zu lenken, die Leiden des maladen Planeten und seiner Bewohner zu lindern. Jahr für Jahr. Diesmal wirklich.
Zu tun bleibt genug. Das akute Leiden heißt Corona, ein latentes ist die globale Ungleichheit. Darauf hat die Nichtregierungsorganisation Oxfam diese Woche zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums (dieses Jahr digital) mit einem Bericht aufmerksam gemacht. Laut Oxfam sorgt die Corona-Pandemie dafür, dass die Ungleichheit erstmals, seit sie statistisch erfasst wird, in praktisch allen Ländern zur gleichen Zeit anzusteigen droht. Bestätigt werde dieser Verdacht durch eine Umfrage unter 295 Wirtschaftswissenschaftlern aus 79 Ländern, darunter der US-Ökonom Jeffrey Sachs oder der Ungleichheitsforscher Gabriel Zucman.
Wie es in dem Bericht der Hilfsorganisation heißt, erwarten 87 Prozent der Befragten, dass die Einkommensungleichheit in ihrem Land als Folge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird. Mehr als die Hälfte aller Befragten sei der Ansicht, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern „wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich“zunehmen werde, und mehr als zwei Drittel gingen davon aus, dass die Ungleichheit zwischen
Weißen und BIPoC (Black, Indigenous und People of Color) zunehmen werde. Zwei Drittel der Wirtschaftswissenschaftler meinen, ihre Regierung habe „keine Strategie“zur Bekämpfung der Ungleichheit. Weiter heißt es in der Studie: „Die Krise zeigt wie unter einem Brennglas, wie sehr unser derzeitiges Wirtschaftssystem die Ungleichheit vertieft.“Die Hilfsorganisation bringt Beispiele: Das Vermögen der im Dezember 2020 zehn reichsten
Männer der Welt sei Oxfam-Berechnungen zufolge seit Februar 2019 – trotz Pandemie – um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen US-Dollar gestiegen. „Dieser Gewinn wäre mehr als ausreichend, um die ganze Weltbevölkerung gegen Covid-19 zu impfen und sicherzustellen, dass niemand durch die Pandemie in die Armut gestürzt wird“, heißt es. Steffen Küßner, Oxfam-Sprecher, sagte unserer Redaktion: „Zwar hat der Wohlstand in den vergangenen 30 Jahren zugenommen, allerdings ist ein Großteil davon den Superreichen zugutegekommen.“Wenn man die chinesische Mittelschicht herausrechne, dann habe die globale Einkommensungleichheit auch vor Corona nicht abgenommen. Als extrem arm gelten laut Weltbank Menschen, die pro Tag nicht mehr als 1,90 Dollar zur Verfügung haben. Diese Zahl sank bis zum Ausbruch der Pandemie. Nun steigt sie laut Oxfam wieder. Küßner sagt: „Es war zwar ein Fortschritt, dass die extrem Armen weniger wurden. Wenn aber die Hälfte der Menschheit von weniger als fünf Dollar lebte, lief dennoch auch vor Corona sehr viel falsch.“Jetzt werde es noch schlimmer.
Auch in Deutschland, das im Vergleich zum globalen Süden sehr reich ist, wächst die Ungleichheit wegen Corona. Das ist das Ergebnis einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach sind Menschen mit schon vorher niedrigen Einkommen im bisherigen Verlauf der Krise „fast doppelt so häufig“von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkommen. In der Einkommensgruppe bis zu 900 Euro (monatliches Haushaltsnettoeinkommen) gaben fast 50 Prozent an, Einbußen zu haben. Bei denen mit mehr als 4500 Euro netto pro Monat waren es nur rund 26 Prozent. Aline Zucco, eine der Autorinnen der Studie, sagt: „Die am wenigsten Wohlhabenden trifft es am stärksten.“Die Schlüsse, die Oxfam und die Hans-BöcklerStiftung ziehen, sind identisch: Das Vermögen muss gerechter verteilt werden. Darüber wird beim WEF diskutiert werden. Sicher auch nächstes Jahr.