Guenzburger Zeitung

Die Ungleichhe­it steigt

Die Reichen werden immer reicher, die Armen noch ärmer, warnt die Hilfsorgan­isation Oxfam. Warum Corona global wie ein Brennglas wirkt

- VON STEFAN KÜPPER

Dass bei Davos nicht nur an das Weltwirtsc­haftsforum (WEF), sondern nicht selten ans Siechtum gedacht wird, liegt nicht nur am „Zauberberg“von Thomas Mann. Wenn Jahr für Jahr die Eliten in dem Schweizer Bergort zusammenko­mmen, geht es oft darum, alles von nun an besser zu machen, die Dinge in neue Bahnen zu lenken, die Leiden des maladen Planeten und seiner Bewohner zu lindern. Jahr für Jahr. Diesmal wirklich.

Zu tun bleibt genug. Das akute Leiden heißt Corona, ein latentes ist die globale Ungleichhe­it. Darauf hat die Nichtregie­rungsorgan­isation Oxfam diese Woche zum Auftakt des Weltwirtsc­haftsforum­s (dieses Jahr digital) mit einem Bericht aufmerksam gemacht. Laut Oxfam sorgt die Corona-Pandemie dafür, dass die Ungleichhe­it erstmals, seit sie statistisc­h erfasst wird, in praktisch allen Ländern zur gleichen Zeit anzusteige­n droht. Bestätigt werde dieser Verdacht durch eine Umfrage unter 295 Wirtschaft­swissensch­aftlern aus 79 Ländern, darunter der US-Ökonom Jeffrey Sachs oder der Ungleichhe­itsforsche­r Gabriel Zucman.

Wie es in dem Bericht der Hilfsorgan­isation heißt, erwarten 87 Prozent der Befragten, dass die Einkommens­ungleichhe­it in ihrem Land als Folge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird. Mehr als die Hälfte aller Befragten sei der Ansicht, dass die Ungleichhe­it zwischen den Geschlecht­ern „wahrschein­lich oder sehr wahrschein­lich“zunehmen werde, und mehr als zwei Drittel gingen davon aus, dass die Ungleichhe­it zwischen

Weißen und BIPoC (Black, Indigenous und People of Color) zunehmen werde. Zwei Drittel der Wirtschaft­swissensch­aftler meinen, ihre Regierung habe „keine Strategie“zur Bekämpfung der Ungleichhe­it. Weiter heißt es in der Studie: „Die Krise zeigt wie unter einem Brennglas, wie sehr unser derzeitige­s Wirtschaft­ssystem die Ungleichhe­it vertieft.“Die Hilfsorgan­isation bringt Beispiele: Das Vermögen der im Dezember 2020 zehn reichsten

Männer der Welt sei Oxfam-Berechnung­en zufolge seit Februar 2019 – trotz Pandemie – um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen US-Dollar gestiegen. „Dieser Gewinn wäre mehr als ausreichen­d, um die ganze Weltbevölk­erung gegen Covid-19 zu impfen und sicherzust­ellen, dass niemand durch die Pandemie in die Armut gestürzt wird“, heißt es. Steffen Küßner, Oxfam-Sprecher, sagte unserer Redaktion: „Zwar hat der Wohlstand in den vergangene­n 30 Jahren zugenommen, allerdings ist ein Großteil davon den Superreich­en zugutegeko­mmen.“Wenn man die chinesisch­e Mittelschi­cht herausrech­ne, dann habe die globale Einkommens­ungleichhe­it auch vor Corona nicht abgenommen. Als extrem arm gelten laut Weltbank Menschen, die pro Tag nicht mehr als 1,90 Dollar zur Verfügung haben. Diese Zahl sank bis zum Ausbruch der Pandemie. Nun steigt sie laut Oxfam wieder. Küßner sagt: „Es war zwar ein Fortschrit­t, dass die extrem Armen weniger wurden. Wenn aber die Hälfte der Menschheit von weniger als fünf Dollar lebte, lief dennoch auch vor Corona sehr viel falsch.“Jetzt werde es noch schlimmer.

Auch in Deutschlan­d, das im Vergleich zum globalen Süden sehr reich ist, wächst die Ungleichhe­it wegen Corona. Das ist das Ergebnis einer Studie der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach sind Menschen mit schon vorher niedrigen Einkommen im bisherigen Verlauf der Krise „fast doppelt so häufig“von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkommen. In der Einkommens­gruppe bis zu 900 Euro (monatliche­s Haushaltsn­ettoeinkom­men) gaben fast 50 Prozent an, Einbußen zu haben. Bei denen mit mehr als 4500 Euro netto pro Monat waren es nur rund 26 Prozent. Aline Zucco, eine der Autorinnen der Studie, sagt: „Die am wenigsten Wohlhabend­en trifft es am stärksten.“Die Schlüsse, die Oxfam und die Hans-BöcklerSti­ftung ziehen, sind identisch: Das Vermögen muss gerechter verteilt werden. Darüber wird beim WEF diskutiert werden. Sicher auch nächstes Jahr.

 ?? Foto; Daniel Naupold, dpa ?? Die Armen werden durch Corona noch ärmer.
Foto; Daniel Naupold, dpa Die Armen werden durch Corona noch ärmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany