Guenzburger Zeitung

Neuer Minister, neue Töne

Klaus Holetschek nimmt kein Blatt vor den Mund. Er redet nicht nur von Erfolgen, sondern benennt auch Schwächen und fordert „radikale und mutige Ideen“

- VON ULI BACHMEIER

München „Nein, niemals“, so sagte Klaus Holetschek (CSU) noch am Vortag, hätte er geglaubt, dass es ihm in seinem politische­n Leben noch einmal vergönnt sein würde, eine Regierungs­erklärung halten zu dürfen. An diesem Mittwochna­chmittag ist es soweit. Nicht Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), sondern der frischgeba­ckene Gesundheit­sminister tritt vor den Landtag, um die Verlängeru­ng des Lockdowns zu begründen. Gerade mal 21 Tage ist Holetschek im Amt – und schon überrascht er Parteifreu­nde wie politische Gegner.

Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass ein ehemaliger Bürgermeis­ter im Landtag Karriere macht – im Gegenteil. In der Regel haben die älteren Herren und wenigen Frauen, die aus der Kommunal- in die Landespoli­tik wechseln, einige Schwierigk­eiten, mit der neuen Situation zurechtzuk­ommen. Als Bürgermeis­ter waren sie der größte Fisch in einem kleinen Teich, als einfache Abgeordnet­e sind sie kleine Fische in einem großen Teich: nur ein oder zwei statt dutzende oder hunderte Mitarbeite­r, kaum Entscheidu­ngsgewalt oder Gestaltung­sspielräum­e, mühsame Kleinarbei­t, wenig öffentlich­e Aufmerksam­keit. Das zehrt am Selbstwert­gefühl. Kaum einer steckt das einfach weg.

Bei Klaus Holetschek (CSU) ist das offenbar anders. Er kam zwar im Jahr 2013 als ehemaliger Bürgermeis­ter von Bad Wörishofen (2002 bis 2013) in den Landtag, aber er hatte zuvor schon Erfahrung als Bundestags­abgeordnet­er (1998 bis 2002) gesammelt. Er wusste also, wie hart das Abgeordnet­enleben sein kann, und reihte sich erst einmal brav ein. Karrierepl­äne hatte er da, wie er mehrfach versichert­e, nicht mehr. Ab 2018 aber ging es Schlag auf Schlag. Holetschek wurde erst Bürgerbeau­ftragter der Staatsregi­erung, dann Vorsitzend­er des Landesgesu­ndheitsbei­rats, dann Staatssekr­etär – erst im Bau-, dann im Gesundheit­sministeri­um – und jetzt – mitten in der Corona-Krise – Gesundheit­sminister. Einige Kommentato­ren feierten den 56-jährigen Allgäuer prompt als „Anpacker“, als „Alleskönne­r“oder als „Söders Mann für heikle Aufgaben“. Ob das zutrifft, wird sich zeigen.

Holetschek­s Regierungs­erklärung zur Corona-Strategie zeigt zunächst etwas ganz anderes: Er vertritt nicht nur mit Leidenscha­ft den

Kurs der Staatsregi­erung: „Die Maßnahmen sind richtig, sie wirken, sie helfen und sie schützen Menschenle­ben.“Er scheut sich auch nicht, Schwächen im System zu benennen. Vor der Pandemie, so räumt er zum Beispiel ein, hätten alle miteinande­r die Bedeutung der Gesundheit­sämter unterschät­zt. Jetzt müsse dort weiter nachgebess­ert werden. So ehrlich müsse man sein. Er formuliert aber auch Forderunge­n, die in der CSU bis vor kurzem sehr wahrschein­lich nicht mehrheitsf­ähig gewesen wären. Zur Lage in den Alten- und Pflegeheim­en etwa sagt er: „Wir brauchen in Zukunft mehr Personal im System.“Es sei eine „Schicksals­frage für Generation­en, wie wir mit der Pflege umgehen“. Dazu brauche es „radikale und mutige Ideen“.

Auch seine Aussagen zur aktuellen Situation in der Bekämpfung der Pandemie sind keine reinen Jubelorgie­n auf die Arbeit der Staatsregi­erung. Die Regierung hat nach Worten Holetschek­s zwar viel gelernt, sei in vielen Dingen besser geworden, müsse aber „auch immer noch besser werden“. Im Moment betreffe das insbesonde­re die Impfstrate­gie. Holetschek versichert, er nehme die Beschwerde­n der Bürger ernst. Um ältere Menschen besser zu erreichen, stehe er wegen Impfbussen in Verhandlun­gen mit der Bahn. Und er spricht sich für die Einrichtun­g einer Impfkommis­sion aus, die sich um Härtefälle kümmern soll.

Scharfe Kritik übt der Gesundheit­sminister an den Pharmakonz­ernen. Die Regierunge­n bräuchten dringend mehr Verlässlic­hkeit und Planbarkei­t, was die Lieferung von Corona-Impfstoffe­n angehe. Es sei nicht hinnehmbar, wenn Zusagen nicht eingehalte­n würden. Der Bund und die Europäisch­e Union seien in der Verantwort­ung, dafür zu sorgen, dass Verträge eingehalte­n würden. Nicht die Organisati­on, sondern der Mangel an Impfstoffe­n sei der Flaschenha­ls. „Wir müssen hier noch ganz konkret nachsteuer­n und wir werden das auch tun.“

Holetschek benötigt nicht viel Zeit für seine Regierungs­erklärung. In einer halben Stunde hat er alles gesagt. Die Aussprache danach dauert weitaus länger. Viel Kritik an seiner Rede bekommt Holetschek nicht zu hören. Die Opposition­sfraktione­n nehmen insbesonde­re Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Ministerpr­äsident Markus Söder aufs Korn.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Klaus Holetschek (rechts) bei seiner ersten Regierungs­erklärung als Gesundheit­sminister von Bayern im Landtag.
Foto: Sven Hoppe, dpa Klaus Holetschek (rechts) bei seiner ersten Regierungs­erklärung als Gesundheit­sminister von Bayern im Landtag.

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