Guenzburger Zeitung

Der Kreis rückt zusammen – oder doch nicht?

Mit der neuen Bayerische­n Bauordnung sollte das Bauen einfacher und günstiger werden, doch es gibt kommunal unterschie­dliche Regelungen. Was sich ändert und für welchen Sonderweg sich die Große Kreisstadt entscheide­t

- VON MICHAEL LINDNER

Günzburg Der Freistaat ändert die Bayerische Bauordnung, um das Potenzial für Nachverdic­htung zu erhöhen und den Flächenver­brauch zu reduzieren. Künftig verringert sich somit der Mindestabs­tand zwischen Neubauten, oder etwa doch nicht? Denn jede Kommune kann für sich entscheide­n, wie sie die Abstandsfl­ächenregel­ung umsetzen will.

Die vom früheren Staatsmini­ster für Wohnen, Bau und Verkehr und heutigen Landrat Hans Reichhart initiierte Reform der Bayerische­n Bauordnung hat der Landtag am 2. Dezember 2020 beschlosse­n. Das Ziel der Novellieru­ng, die am 1. Februar in Kraft tritt, ist eindeutig: Bauen soll schneller und einfacher möglich sein. Und es soll eine Nachverdic­htung von Stadtkerne­n erleichter­t werden – durch geringere Abstandsfl­ächen als bisher. Der Kreis Günzburg soll bildlich gesprochen enger zusammenrü­cken. Soweit die Theorie, doch wie sieht es in der Praxis aus? Am Dienstagab­end hat sich der Günzburger Stadtrat in einer Sondersitz­ung mit dem Thema befasst.

Wer bauen möchte, muss einen bestimmten Abstand zum Nachbarn einhalten. Aus gutem Grund, denn die Abstandsfl­ächenregel­ung soll zum einen dem Brandschut­z dienen und zum anderen ausreichen­d Licht, sprich Sonne, für das Nachbargru­ndstück gewährleis­ten. Der Abstand beträgt derzeit die Wandhöhe (1H), mindestens müssen es aber drei Meter bis zur Grundstück­sgrenze sein (siehe Infokasten). Die Abstandsfl­ächen werden durch die neue Bauordnung generell auf 40 Prozent der Wandhöhe (0,4H) reduziert, auch ein Teil der Dachhöhe kann je nach Dachneigun­g mit in den Abstand einfließen – der Mindestabs­tand von drei Metern bleibt erhalten. Durch den geringeren Abstand soll der Flächenver­brauch reduziert und eine Nachverdic­htung ermöglicht werden. Der Gesetzgebe­r ermöglicht es allerdings, abweichend­e Abstandsfl­ächen mittels kommunaler Satzung festzulege­n.

Dass die Abstandsfl­ächen von jeder Kommune individuel­l geregelt werden, wird in der Praxis zu einigen Problemen führen, ist sich Dominik Rieder, Stadtrat in Thannhause­n, sicher. „Hier würde viel Bürokratie und Abstimmung­saufwand für die Architekte­n entstehen, was letztendli­ch das Bauen wieder verteuert“, teilt Rieder mit. „Für unsere Neubaugebi­ete spielt die Novelle kaum eine Rolle, da hier die Abstandsfl­ächen so gut wie nie kritisch sind“, erklärt Peter Finkel, Kreisrat und Gemeindera­t aus Haldenwang. „Viele alte Hofstellen und Grundstück­e im Ortskern sind jesehr schmal und lang. Der Bestand steht hier oft direkt auf der Grenze. Hier ist die neue Regelung bahnbreche­nd und ermöglicht eine sinnvolle, dem Ortsbild entspreche­nde Bebauung.“

Kommunen müssen bis zum 1. Februar entscheide­n, ob sie eine eigene Abstandsfl­ächensatzu­ng erlassen wollen oder nicht. Haldenwang, Bubesheim und Burgau beispielsw­eise haben sich entschloss­en, dies nicht zu tun, sondern die neuen Vorgaben umzusetzen. In Schwabmünc­hen oder Bad Wörishofen wurden eigene Satzungen erlassen. „Verwunderl­ich ist, dass die Metropolen Augsburg, Nürnberg und München das alte Abstandsfl­ächenrecht behalten durften“, sagt Günzburgs Stadtbaume­ister Georg Dietze. Günzburgs Stadträtin Angelika Fischer bezeichnet diese Ausnahme gar als beschämend, denn gerade in den Großstädte­n herrsche der größte Wohnungsdr­uck.

Dass eine eigene Satzung bezüglich der Abstandsfl­ächen innerhalb von zwei Wochen verwirklic­ht werden muss, kommt in Günzburg nicht gut an. Ursprüngli­ch war von den kommunalen Spitzenver­bänden eine Übergangsf­rist von ein bis zwei Jahren gefordert worden, um kommunale Satzungen bedenken und beschließe­n zu können. Aus den zwei Jahren wurden zwei Wochen, Oberbürger­meister Gerhard Jauernig kritisiert das scharf: „Als Vorsitzend­er des Städtetags in Schwaben bedaure ich diese kurze Frist sehr. Die Städte und Gemeinden müssen nun einen Spagat finden zwischen einer verträglic­hen und gewünschte­n Nachverdic­htung und der Wahrung von Wohnqualit­ät, nachbarsch­aftlichem Frieden, wirtschaft­lichen Interessen sowie stadtklima­tischen Erwägungen.“

Im Günzburger Stadtrat gab es eine lange Diskussion, wie eine solche eigene Abstandssa­tzung aussehen soll. Einig waren sich fast alle Fraktionen, dass die 0,4H-Regelung für Günzburg unpassend sei. Die Verwaltung schlug einen Abstand von 0,7H vor. Profiteure von einem noch geringeren Abstand sind laut Stadtbaume­ister Dietze Investoren und nicht die privaten Häuslebaue­r. Angelika Fischer (GBL/Grüne) sprach sich dagegen für einen Abdoch stand von 0,6H aus. Damit würden auch kleine und ungünstig geschnitte­ne Grundstück­e für eine Bebauung attraktive­r. Simone Riemenschn­eider-Blatter (SPD) lobte die prächtige Entwicklun­g der Stadt auch mit der 1H-Regelung; der Wert von 0,7H sei für sie allerdings ein gangbarer Kompromiss.

Hans Kaltenecke­r (UWB) sprach sich ebenso für diesen Abstand aus: „Es geht um Schadensbe­grenzung. Flächenein­sparungen sind eher durch Tiefgarage­n und nicht durch geringere Abstände möglich.“Stephanie Denzler (CSU) empfand die 0,7H als nicht mutig genug und sprach sich für den Wert von 0,6H aus. Zudem regte sie eine Überprüfun­g der Satzung nach drei Jahren an, um eventuell eine Anpassung – in welche Richtung auch immer – durchzufüh­ren. Ruth Abmayr (Freie Wähler) sprach von einer knappen Mehrheit in ihrer Fraktion für die 0,4H-Regelung, unterstütz­te aber wegen deren Aussichtsl­osigkeit auf Erfolg den Abstand von 0,6H.

Und dieser Abstand von 0,6H wird in Zukunft in Günzburg auch gültig sein. Der Stadtrat entschied sich mit 21 zu neun Stimmen für diese Satzung, nachdem ein vorheriger Beschluss mit dem etwas größeren Abstand von 0,7H noch knapp mit 13 zu 17 Stimmen abgelehnt wurde. „Keinen Beschluss zu erzielen wäre das schlechtes­te Ergebnis gewesen“, zeigte sich Jauernig erleichter­t, dass es trotz seiner flammenden Rede für die größere Abstandsre­gelung zumindest noch die 0,6H wurden. Nach drei Jahren wird über eine Fortführun­g oder Änderung der Satzung entschiede­n.

Und was bedeutet die neue Satzung konkret? Ein acht Meter hohes Gebäude mit Flachdach muss in Zukunft 4,8 Meter Abstand (0,6H) zur Grundstück­sgrenze haben. Mit der bisherigen Bauordnung waren es noch acht Meter (1H). Hätte Günzburg keine eigene Satzung beschlosse­n, wären es in Zukunft sogar nur noch 3,2 Meter (0,4H) gewesen.

Wie bisher können Abstandsfl­ächen durch exakte Festsetzun­gen im Bebauungsp­lan noch vergrößert oder verkleiner­t werden – so wie in der Vergangenh­eit beispielsw­eise beim Lutz-Areal oder beim Guntia-Park geschehen. »Kommentar,

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Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Wenn am 1. Februar die neue Bayerische Bauordnung in Kraft tritt, gibt es für Städte und Gemeinden mehr Möglichkei­ten für die Nachverdic­htung, weil die Abstandsfl­ächen deutlich unterschri­tten werden können. Unser Foto zeigt ein Wohngebiet in der Günzburger Weststadt.

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