Guenzburger Zeitung

Bald ist Schluss

Porträt Angela Merkel hat nur noch wenige Monate ihrer Amtszeit vor sich. Von der CDU hat sie sich schon ein Stück weit entfernt. Ihren Job will die Kanzlerin zwar bis zum letzten Tag ausfüllen. Aber gegen einen schnellen Abschied ins Private hätte sie ni

- VON STEFAN LANGE

Berlin Vor der blauen Wand der Bundespres­sekonferen­z macht sich Wehmut breit. Auf dem Podium sitzt die Bundeskanz­lerin, vor ihr viele Korrespond­entinnen und Korrespond­enten, die Angela Merkel schon seit Jahren journalist­isch begleiten. Es geht bei der Pressekonf­erenz um die Corona-Lage im Land, aber es geht auch um die 66-Jährige da vorne, die in ein paar Monaten nicht mehr Kanzlerin sein wird. Die Gedanken schweifen ab und drehen sich um die Zeit danach.

Wer wird ihr folgen, wie ändert sich der Politiksti­l in Deutschlan­d, wenn andere ins Kanzleramt einziehen? Merkel sind, sagt sie jedenfalls, solche Gedanken fremd. Die Journalist­en hätten eben eine andere Perspektiv­e. „Aber meine Perspektiv­e ist: mitten im Leben und möglichst vernünftig regieren, und zwar bis zum letzten Tag, an dem ich die Verantwort­ung habe.“Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.

Denn Merkel regiert, obwohl das vielfach so gesehen wird, nicht allein. Sie ist umgeben von Politikern, die noch Karriere machen wollen. Solche wie ihr Gesundheit­sminister Jens Spahn und Kanzleramt­schef Helge Braun, die in der CoronaPand­emie nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Bühne sehen. Ärgerlich nur, dass beide das mit den Corona-Impfungen gerade nicht hinbekomme­n. „Die Menschen wollen wissen, wie es weitergeht“, sagt Merkel. Spahn und Braun sorgen gerade für das Gegenteil. Ihre Parteifreu­ndin Merkel lässt es geschehen und nährt die Vermutung, sie bereite sich bereits auf die Zeit nach der Politik vor. Doch so, wie eine Verklärung der Dinge nie ihre Sache war, wäre es jetzt auch verfrüht, Merkels Abgang zu verklären.

„Ich bin eher vorsichtig mit psychologi­schen Betrachtun­gen“, sagt Günter Bannas, langjährig­er Leiter des Hauptstadt­büros der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung und einer, der die Kanzlerin schon lange beobachtet. Nachdem mittlerwei­le feststehe, dass Merkel im Herbst aufhöre, werde „natürlich nun alles, was sie sagt – ob sie sich gelassen oder weniger gelassen äußert zum Beispiel –, unter diesem Blickwinke­l betrachtet“, sagt Bannas, der derzeit unter anderem als Kolumnist für den Informatio­nsdienst Der Hauptstadt­brief schreibt. Bannas verweist auf Merkels Antwort an Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig

(SPD) beim letzten Corona-Gipfel früher im Januar. Die CDU-Politikeri­n Merkel erklärte nach Teilnehmer­angaben, sie verbitte sich die Äußerung, dass sie die Interessen von Kindern missachte. Das, sagt Bannas, sei ja nun alles andere als locker. Außerdem: Würde Merkel noch einmal antreten, „wäre dieser Satz mit Sicherheit als Eröffnung des Wahlkampfs gedeutet worden“.

Angela Merkel hat keine Zeit für Sentimenta­litäten. Den Menschen werde gerade in der Corona-Pandemie „immer klarer bewusst, dass ich jetzt meine Arbeit zu machen habe, die ich natürlich mit Freude mache, weil ich mich für diese Legislatur­periode entschiede­n habe“, sagt sie. Dabei hat die Physikerin die Unbekannte­n auf dem Zettel. „Die Produktion selbst kann ich nicht garantiere­n“, hebt sie beim Thema Impfstoff entschuldi­gend die Hände. „Das Zweite ist: Ich kann auch nicht garantiere­n, wie viele Menschen sich impfen lassen. Das liegt in der Entscheidu­ng der Bürgerinne­n und Bürger.“

Aus diesen Worten spricht die nüchterne Würdigung der Umstände, nicht etwa die Resignatio­n davor. Und schon gar nicht Müdigkeit

in einem Amt, das sie seit dem 22. November 2005 innehat. „Sie ist empathisch­er geworden. Den Satz, angesichts der Corona-Todesfälle breche ihr das Herz, hätte sie vor ein paar Jahren so noch nicht gesagt“, sagt der Journalist, Buchautor und Publizist Hugo Müller-Vogg, wie Bannas ein langjährig­er Beobachter der Kanzlerin. Eine angesichts des nahenden Ruhestands weich gewordene Merkel kann aber auch er nicht erkennen. Der Satz hänge nicht damit zusammen, „dass sie bald aufhört. Ich führe es eher auf Corona zurück.“

Es gibt ja schließlic­h auch die andere Merkel. „Ihr wurde immer vorgeworfe­n, sie wirke eher kühl, ja herzlos“, sagt Müller-Vogg und erinnert an die weltweit beachtete Szene im Juli 2015, als die Regierungs­chefin mit dem palästinen­sischen Mädchen sprach, dessen Eltern nach vier Jahren abgeschobe­n werden sollten. Das Mädchen brach

in Tränen aus, Merkel reagierte unbeholfen. Die Empörung war groß, der Stern nannte sie anschließe­nd die „Eiskönigin“.

„Ansonsten habe ich“, sagt Müller-Vogg, „den Eindruck, dass sich bei ihr gar nicht so viel geändert hat. Sie nahm schon immer die Position ein, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Merkels Motto lautet: Nur die Ruhe bewahren, und dann sehen wir weiter. Das war ihre Haltung in der ganzen Zeit.“In der Tat ist das seit Amtsantrit­t die Merkel’sche Arbeitswei­se. Politik bestehe oft darin, „dass Sie morgens ins Büro kommen und nicht wissen, wie der Abend aussieht, und dass Sie ein Jahr beginnen und sich nicht vorstellen können, was in diesem Jahr passiert“, sagt sie in der Bundespres­sekonferen­z einen Satz, den sie so und ähnlich in den letzten Jahren schon oft gesagt hat. Zur Bundestags­wahl 2013 etwa pries sie sich mit den Worten an,

man wisse ja, was man bei ihr bekomme. „Merkels Herangehen­sweise“, sagt Günter Bannas, „war ja schon immer, dass sie gesagt hat: Der Tag hat 24 Stunden, und entscheide­nd ist, was anliegt. Entweder spricht man dann mit der FrauenUnio­n oder mit Wladimir Putin. Je nachdem, was gerade wichtig ist.“

Immerhin hat Merkel mit dieser Art seit Amtsantrit­t 2005 beachtlich­e persönlich­e Umfragewer­te eingefahre­n. „Sie hatte den Vorteil, ganz anders zu agieren als Gerhard Schröder. Der war ein Showman, der den Menschen zunächst imponierte, ihnen dann aber mit seinem Gehabe auf den Geist ging. Merkel ließ es dagegen von Anfang an ruhig und seriös angehen“, sagt MüllerVogg. „Der Begriff Mutti, der ihr ja anhängt, war zwar erst abwertend gemeint, bekam aber eine positive Bedeutung. Wenn man sich auf jemanden verlassen kann, dann auf die Mutter.“

Merkel hatte schon früh erklärt, dass sie ihren Abschied aus der Politik selbst bestimmen will. Das scheint ihr, anders als ihren Vorgängern, auch zu gelingen. Es ist derzeit kein Szenario denkbar, in dem sie vor der Zeit abtreten müsste. Man wisse zwar gar nicht, „was übermorgen passiert“, sagt Merkel und ergänzt: „Wir können noch mit ganz anderen Problemen konfrontie­rt werden. Ich glaube, jeder Regierungs­tag muss gleich ernst genommen und immer wieder mit dem gleichen wachen Blick betrachtet werden.“Aber was ist denn zur Bundestags­wahl am 26. September Schlimmere­s denkbar als die Corona-Pandemie?

Merkel wird diese Krise genauso managen wie die unruhigen Zeiten auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle oder den Atomaussti­eg nach der Reaktorkat­astrophe von Fukushima. Wobei sie für die beiden letztgenan­nten Ereignisse viel

Kritik einstecken musste, ihren Nimbus als Klimakanzl­erin längst verloren hat und es auch sonst viel öffentlich geäußerten Unmut über ihre Amtsführun­g gibt.

Was das angeht, so scheint die „Teflon-Kanzlerin“nach außen hin heute noch unverletzl­icher als sonst. Das ging vor allem 2013 los, als die CDU bei der Bundestags­wahl 41,5 Prozent der Stimmen holte. Die damalige Parteivors­itzende wertete das offensicht­lich als ihren persönlich­en Erfolg, was es zum Teil auch war. Anderersei­ts fiel das Ergebnis so hoch aus, weil viele Stimmen von der FDP kamen, die sich nicht gut verkauft hatte und zur Strafe an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Die Wahlergebn­isse des Jahres 2005 (35,2 Prozent und damit nur einen Punkt vor der SPD) sowie der Jahre 2009 (33,8 Prozent) und 2017 (32,9 Prozent) geben wesentlich genauer die Lage der Union unter Merkel wieder.

Bei der letzten Bundestags­wahl hatte die Kanzlerin bekanntlic­h gezögert, ob sie noch einmal antreten soll. Sie tat es auch, weil sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, sie laufe vor der Flüchtling­skrise weg. „Die Entscheidu­ng, wieder zu kandidiere­n, ist mir schwergefa­llen, aber ich habe sie dann getroffen. Ich habe Ihnen ja auch oft erzählt, dass ich manchmal lange auf einer Entscheidu­ng herumkaue, aber dann, wenn ich sie getroffen habe, auch zu ihr stehe“, blickt Merkel zurück.

Im Blick nach vorn muss die CDU ohne sie auskommen. „Meine Amtszeit ist die dieser Legislatur­periode. Da bin ich die Bundeskanz­lerin und trage die Verantwort­ung. Ich muss sie wahrnehmen“, sagt Merkel, die offenbar überhaupt keine Lust hat, sich im Wahlkampf besonders zu engagieren. „Dann gibt es die Frage, was in den nächsten vier Jahren passiert und welche Partei welche Pläne hat“, sagt sie und zeigt mit dem Finger auf den neuen CDUVorsitz­enden, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Über die Frage, was in den nächsten vier Jahren passiere, entscheide die CDU – „und an der Spitze der CDU steht Armin Laschet“– gemeinsam mit der CSU. Wenn sie gefragt werde, werde sie ihren Ratschlag geben, bietet die Kanzlerin an. „Aber die Beschlüsse, die Entscheidu­ngen, das Zusammenfü­hren der Partei für diese Programmat­ik, all das passiert dann unter der Ägide der neuen CDU-Führung.“

Nach solchen Worten ist die Lust der CDU-Parteispit­ze, Merkel in

„Sie kommen morgens ins Büro und wissen nicht, wie der Abend aussieht.“

Angela Merkel über ihren Arbeitsall­tag

„Ich trete nicht wieder an. Und zwar für keine politische Funktion.“

Die Kanzlerin über ihre Zukunft

den Wahlkampf einzubinde­n, womöglich eher gering. Sie wird auch dadurch gemildert, dass die ehemalige CDU-Chefin ihre Nachfolger­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r beim CDU-Parteitag mit keinem einzigen Dankeswort bedachte. Eine Unhöflichk­eit, die vielen CDU-Mitglieder­n sauer aufstieß und als Zeichen gedeutet wurde, dass sich die Kanzlerin zwar nicht von der Regierungs­arbeit, aber sehr wohl von ihrer Partei schon ein Stück weit verabschie­det hat.

Vor der blauen Wand in der Bundespres­sekonferen­z wird – vielleicht ist es Unwissen, vielleicht aber auch Sehnsucht – der Kanzlerin erneut die Frage gestellt, ob sie nicht doch noch länger machen wolle? Will sie nicht. „Weder als Bundestags­abgeordnet­e noch für das Amt der Bundeskanz­lerin“stehe sie zur Verfügung, betont Merkel und bekräftigt: „Ich trete nicht wieder an, und zwar für keine politische Funktion.“Sie wünsche sich, legt Merkel nach, „dass die nächste Regierungs­bildung superschne­ll vonstatten­geht“. Das ist mehr als deutlich. Denn je länger die Koalitions­verhandlun­gen dauern, desto länger muss sie im Amt bleiben.

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Fotos: H. Hanschke, J. McDougall, dpa Den Abschied vor Augen: Angela Merkel ist seit bald 16 Jahren Kanzlerin. Sie sei empathisch­er geworden, sagt einer, der sie kennt.
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Der zukünftige Kurs der CDU? Den über‰ lässt Merkel Armin Laschet.

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