Bald ist Schluss
Porträt Angela Merkel hat nur noch wenige Monate ihrer Amtszeit vor sich. Von der CDU hat sie sich schon ein Stück weit entfernt. Ihren Job will die Kanzlerin zwar bis zum letzten Tag ausfüllen. Aber gegen einen schnellen Abschied ins Private hätte sie ni
Berlin Vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz macht sich Wehmut breit. Auf dem Podium sitzt die Bundeskanzlerin, vor ihr viele Korrespondentinnen und Korrespondenten, die Angela Merkel schon seit Jahren journalistisch begleiten. Es geht bei der Pressekonferenz um die Corona-Lage im Land, aber es geht auch um die 66-Jährige da vorne, die in ein paar Monaten nicht mehr Kanzlerin sein wird. Die Gedanken schweifen ab und drehen sich um die Zeit danach.
Wer wird ihr folgen, wie ändert sich der Politikstil in Deutschland, wenn andere ins Kanzleramt einziehen? Merkel sind, sagt sie jedenfalls, solche Gedanken fremd. Die Journalisten hätten eben eine andere Perspektive. „Aber meine Perspektive ist: mitten im Leben und möglichst vernünftig regieren, und zwar bis zum letzten Tag, an dem ich die Verantwortung habe.“Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.
Denn Merkel regiert, obwohl das vielfach so gesehen wird, nicht allein. Sie ist umgeben von Politikern, die noch Karriere machen wollen. Solche wie ihr Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun, die in der CoronaPandemie nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Bühne sehen. Ärgerlich nur, dass beide das mit den Corona-Impfungen gerade nicht hinbekommen. „Die Menschen wollen wissen, wie es weitergeht“, sagt Merkel. Spahn und Braun sorgen gerade für das Gegenteil. Ihre Parteifreundin Merkel lässt es geschehen und nährt die Vermutung, sie bereite sich bereits auf die Zeit nach der Politik vor. Doch so, wie eine Verklärung der Dinge nie ihre Sache war, wäre es jetzt auch verfrüht, Merkels Abgang zu verklären.
„Ich bin eher vorsichtig mit psychologischen Betrachtungen“, sagt Günter Bannas, langjähriger Leiter des Hauptstadtbüros der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und einer, der die Kanzlerin schon lange beobachtet. Nachdem mittlerweile feststehe, dass Merkel im Herbst aufhöre, werde „natürlich nun alles, was sie sagt – ob sie sich gelassen oder weniger gelassen äußert zum Beispiel –, unter diesem Blickwinkel betrachtet“, sagt Bannas, der derzeit unter anderem als Kolumnist für den Informationsdienst Der Hauptstadtbrief schreibt. Bannas verweist auf Merkels Antwort an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
(SPD) beim letzten Corona-Gipfel früher im Januar. Die CDU-Politikerin Merkel erklärte nach Teilnehmerangaben, sie verbitte sich die Äußerung, dass sie die Interessen von Kindern missachte. Das, sagt Bannas, sei ja nun alles andere als locker. Außerdem: Würde Merkel noch einmal antreten, „wäre dieser Satz mit Sicherheit als Eröffnung des Wahlkampfs gedeutet worden“.
Angela Merkel hat keine Zeit für Sentimentalitäten. Den Menschen werde gerade in der Corona-Pandemie „immer klarer bewusst, dass ich jetzt meine Arbeit zu machen habe, die ich natürlich mit Freude mache, weil ich mich für diese Legislaturperiode entschieden habe“, sagt sie. Dabei hat die Physikerin die Unbekannten auf dem Zettel. „Die Produktion selbst kann ich nicht garantieren“, hebt sie beim Thema Impfstoff entschuldigend die Hände. „Das Zweite ist: Ich kann auch nicht garantieren, wie viele Menschen sich impfen lassen. Das liegt in der Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger.“
Aus diesen Worten spricht die nüchterne Würdigung der Umstände, nicht etwa die Resignation davor. Und schon gar nicht Müdigkeit
in einem Amt, das sie seit dem 22. November 2005 innehat. „Sie ist empathischer geworden. Den Satz, angesichts der Corona-Todesfälle breche ihr das Herz, hätte sie vor ein paar Jahren so noch nicht gesagt“, sagt der Journalist, Buchautor und Publizist Hugo Müller-Vogg, wie Bannas ein langjähriger Beobachter der Kanzlerin. Eine angesichts des nahenden Ruhestands weich gewordene Merkel kann aber auch er nicht erkennen. Der Satz hänge nicht damit zusammen, „dass sie bald aufhört. Ich führe es eher auf Corona zurück.“
Es gibt ja schließlich auch die andere Merkel. „Ihr wurde immer vorgeworfen, sie wirke eher kühl, ja herzlos“, sagt Müller-Vogg und erinnert an die weltweit beachtete Szene im Juli 2015, als die Regierungschefin mit dem palästinensischen Mädchen sprach, dessen Eltern nach vier Jahren abgeschoben werden sollten. Das Mädchen brach
in Tränen aus, Merkel reagierte unbeholfen. Die Empörung war groß, der Stern nannte sie anschließend die „Eiskönigin“.
„Ansonsten habe ich“, sagt Müller-Vogg, „den Eindruck, dass sich bei ihr gar nicht so viel geändert hat. Sie nahm schon immer die Position ein, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Merkels Motto lautet: Nur die Ruhe bewahren, und dann sehen wir weiter. Das war ihre Haltung in der ganzen Zeit.“In der Tat ist das seit Amtsantritt die Merkel’sche Arbeitsweise. Politik bestehe oft darin, „dass Sie morgens ins Büro kommen und nicht wissen, wie der Abend aussieht, und dass Sie ein Jahr beginnen und sich nicht vorstellen können, was in diesem Jahr passiert“, sagt sie in der Bundespressekonferenz einen Satz, den sie so und ähnlich in den letzten Jahren schon oft gesagt hat. Zur Bundestagswahl 2013 etwa pries sie sich mit den Worten an,
man wisse ja, was man bei ihr bekomme. „Merkels Herangehensweise“, sagt Günter Bannas, „war ja schon immer, dass sie gesagt hat: Der Tag hat 24 Stunden, und entscheidend ist, was anliegt. Entweder spricht man dann mit der FrauenUnion oder mit Wladimir Putin. Je nachdem, was gerade wichtig ist.“
Immerhin hat Merkel mit dieser Art seit Amtsantritt 2005 beachtliche persönliche Umfragewerte eingefahren. „Sie hatte den Vorteil, ganz anders zu agieren als Gerhard Schröder. Der war ein Showman, der den Menschen zunächst imponierte, ihnen dann aber mit seinem Gehabe auf den Geist ging. Merkel ließ es dagegen von Anfang an ruhig und seriös angehen“, sagt MüllerVogg. „Der Begriff Mutti, der ihr ja anhängt, war zwar erst abwertend gemeint, bekam aber eine positive Bedeutung. Wenn man sich auf jemanden verlassen kann, dann auf die Mutter.“
Merkel hatte schon früh erklärt, dass sie ihren Abschied aus der Politik selbst bestimmen will. Das scheint ihr, anders als ihren Vorgängern, auch zu gelingen. Es ist derzeit kein Szenario denkbar, in dem sie vor der Zeit abtreten müsste. Man wisse zwar gar nicht, „was übermorgen passiert“, sagt Merkel und ergänzt: „Wir können noch mit ganz anderen Problemen konfrontiert werden. Ich glaube, jeder Regierungstag muss gleich ernst genommen und immer wieder mit dem gleichen wachen Blick betrachtet werden.“Aber was ist denn zur Bundestagswahl am 26. September Schlimmeres denkbar als die Corona-Pandemie?
Merkel wird diese Krise genauso managen wie die unruhigen Zeiten auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle oder den Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Wobei sie für die beiden letztgenannten Ereignisse viel
Kritik einstecken musste, ihren Nimbus als Klimakanzlerin längst verloren hat und es auch sonst viel öffentlich geäußerten Unmut über ihre Amtsführung gibt.
Was das angeht, so scheint die „Teflon-Kanzlerin“nach außen hin heute noch unverletzlicher als sonst. Das ging vor allem 2013 los, als die CDU bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent der Stimmen holte. Die damalige Parteivorsitzende wertete das offensichtlich als ihren persönlichen Erfolg, was es zum Teil auch war. Andererseits fiel das Ergebnis so hoch aus, weil viele Stimmen von der FDP kamen, die sich nicht gut verkauft hatte und zur Strafe an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Die Wahlergebnisse des Jahres 2005 (35,2 Prozent und damit nur einen Punkt vor der SPD) sowie der Jahre 2009 (33,8 Prozent) und 2017 (32,9 Prozent) geben wesentlich genauer die Lage der Union unter Merkel wieder.
Bei der letzten Bundestagswahl hatte die Kanzlerin bekanntlich gezögert, ob sie noch einmal antreten soll. Sie tat es auch, weil sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, sie laufe vor der Flüchtlingskrise weg. „Die Entscheidung, wieder zu kandidieren, ist mir schwergefallen, aber ich habe sie dann getroffen. Ich habe Ihnen ja auch oft erzählt, dass ich manchmal lange auf einer Entscheidung herumkaue, aber dann, wenn ich sie getroffen habe, auch zu ihr stehe“, blickt Merkel zurück.
Im Blick nach vorn muss die CDU ohne sie auskommen. „Meine Amtszeit ist die dieser Legislaturperiode. Da bin ich die Bundeskanzlerin und trage die Verantwortung. Ich muss sie wahrnehmen“, sagt Merkel, die offenbar überhaupt keine Lust hat, sich im Wahlkampf besonders zu engagieren. „Dann gibt es die Frage, was in den nächsten vier Jahren passiert und welche Partei welche Pläne hat“, sagt sie und zeigt mit dem Finger auf den neuen CDUVorsitzenden, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Über die Frage, was in den nächsten vier Jahren passiere, entscheide die CDU – „und an der Spitze der CDU steht Armin Laschet“– gemeinsam mit der CSU. Wenn sie gefragt werde, werde sie ihren Ratschlag geben, bietet die Kanzlerin an. „Aber die Beschlüsse, die Entscheidungen, das Zusammenführen der Partei für diese Programmatik, all das passiert dann unter der Ägide der neuen CDU-Führung.“
Nach solchen Worten ist die Lust der CDU-Parteispitze, Merkel in
„Sie kommen morgens ins Büro und wissen nicht, wie der Abend aussieht.“
Angela Merkel über ihren Arbeitsalltag
„Ich trete nicht wieder an. Und zwar für keine politische Funktion.“
Die Kanzlerin über ihre Zukunft
den Wahlkampf einzubinden, womöglich eher gering. Sie wird auch dadurch gemildert, dass die ehemalige CDU-Chefin ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim CDU-Parteitag mit keinem einzigen Dankeswort bedachte. Eine Unhöflichkeit, die vielen CDU-Mitgliedern sauer aufstieß und als Zeichen gedeutet wurde, dass sich die Kanzlerin zwar nicht von der Regierungsarbeit, aber sehr wohl von ihrer Partei schon ein Stück weit verabschiedet hat.
Vor der blauen Wand in der Bundespressekonferenz wird – vielleicht ist es Unwissen, vielleicht aber auch Sehnsucht – der Kanzlerin erneut die Frage gestellt, ob sie nicht doch noch länger machen wolle? Will sie nicht. „Weder als Bundestagsabgeordnete noch für das Amt der Bundeskanzlerin“stehe sie zur Verfügung, betont Merkel und bekräftigt: „Ich trete nicht wieder an, und zwar für keine politische Funktion.“Sie wünsche sich, legt Merkel nach, „dass die nächste Regierungsbildung superschnell vonstattengeht“. Das ist mehr als deutlich. Denn je länger die Koalitionsverhandlungen dauern, desto länger muss sie im Amt bleiben.