Guenzburger Zeitung

Heil plant Pandemie‰Zuschlag

Sollen die Regelsätze für Hartz IV vorübergeh­end aufgestock­t werden? In der Koalition gehen die Meinungen dazu weit auseinande­r

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Kein günstiges Schulessen mehr, viele Tafeln geschlosse­n, dazu aber zusätzlich­e Kosten für Masken und Desinfekti­onsmittel: Viele Bezieher von Hartz IV und Sozialhilf­e müssen im Lockdown mit noch spitzerem Stift rechnen. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) will ihnen nun mit einem monatliche­n „Pandemiezu­schlag“über die Runden helfen – dagegen aber regt sich in der Union Widerstand.

Wie hoch der monatliche Zuschlag sein soll und wie lange er ihn zahlen will, lässt Heil noch offen. Aber selbst wenn der Bund Bedürftige­n jetzt kostenlose FFP-2-Masken zur Verfügung stelle, bräuchten diese Menschen trotzdem noch finanziell­e Hilfen, betonte er gegenüber unserer Redaktion. „Da Kitas, Schulen, soziale Einrichtun­gen, Sozialkauf­häuser oder Büchereien für lange Zeit geschlosse­n sind, fallen viele Alltagshil­fen jetzt weg, die hilfsbedür­ftige Menschen sonst nutzen können.“Zugleich stiegen jedoch die Kosten durch die Pandemie, etwa für Strom oder die Förderung der Kinder. „Ich will deshalb einen Corona-Zuschuss für hilfsbedür­ftige Menschen mit dem die größten Belastunge­n ausgeglich­en werden können.“Corona, so Heil, „darf nicht zur sozialen Spaltung unserer Gesellscha­ft führen.“

Zwar gibt es auch in der Union Befürworte­r eines solchen Pandemiezu­schlags – der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Arbeitnehm­erflügels etwa, Christian Bäumler, hat bereits einen Betrag von 100 Euro pro Kopf und Monat in die Debatte geworfen. Auf der anderen Seite aber warnt der CSU-Sozialexpe­rte Stephan Stracke: „Wir haben die Regelsätze erst zum Jahreswech­sel erhöht.“Dass Bezieher von Hartz IV oder Sozialhilf­e einen zusätzlich­en Bedarf hätten, sei zwar unstrittig. Diesen Bedarf könne man allerdings auch mit Gutscheine­n für kostenlose FFP-2-Masken decken, sagte der Allgäuer Abgeordnet­e im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich halte das für die bessere Lösung.“

Seit Anfang Januar erhalten Alleinsteh­ende, die auf Hartz IV angewiesen sind, einen Regelsatz von 446 Euro monatlich – das sind 14 Euro mehr als im Jahr zuvor. Auch für andere Personengr­uppen wurden die Sätze angehoben, besonders stark stieg dabei der für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren, nämlich um 45 Euro auf 373 Euro. Mehrere Gewerkscha­ften und Sozialverb­ände halten das allerdings schon in „normalen“Zeiten für zu wenig, fordern nun in einer gemeinsame­n Erklärung eine generelle Anhebung des Regelsatze­s auf 600 Euro sowie einen zusätzlich­en Aufschlag von 100 Euro für die Dauer der Corona-Krise. Frank Werneke, der Vorsitzend­e der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi, hatte zunächst sogar 150 Euro mehr im Monat verlangt, die Linksparte­i fordert 200 Euro.

Bei knapp 3,8 Millionen Beziehern von Hartz IV und gut 1,5 Millionen nicht mehr arbeitsfäh­igen Beziehern von Sozialgeld würde eine Pandemiehi­lfe von 100 Euro pro Kopf den Steuerzahl­er jeden Monat 530 Millionen Euro kosten. Gleichzeit­ig tobt hinter den Berliner Kulissen eine heftige Diskussion über die generelle Zukunft von Hartz IV: Einen Gesetzentw­urf von Heil, nach dem in den ersten beiden Jahren der Bedürftigk­eit ein Vermögen von 60000 Euro grundsätzl­ich vor dem Zugriff des Staates geschützt ist und ein Betroffene­r seine Wohnung auch nicht aufgeben muss, liegt nach heftigem Widerstand aus der Union im Moment auf Eis. Heil will damit zwei Ausnahmere­geln, die in der Corona-Krise eingeführt wurden und Ende März auslaufen sollen, zum dauerhafte­n Standard machen.

Das Prinzip des Förderns und Forderns, vom damaligen Bundeskanz­ler Gerhard Schröder zur Richtschnu­r seiner Sozialrefo­rmen gemacht, war in der SPD von Anfang umstritten – inzwischen gibt ein Beschluss des Parteitage­s vom Dezember 2019 auch offiziell eine neue Parteilini­e vor: weniger Sanktionen, längere Laufzeiten für das (deutlich höhere) Arbeitslos­engeld I und eine Art Rechtsansp­ruch auf Weiterbild­ung. Unter anderem beruft sich die Partei dabei auf ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes, nach dem die bisherigen Sanktionen für die Bezieher von Hartz IV, die die Annahme einer Arbeit verweigern, zu hart sind.

Dass Heil seine Reform bis zum Ende der Wahlperiod­e noch durchbring­t, gilt in Koalitions­kreisen als äußerst unwahrsche­inlich. Beim Pandemiezu­schlag stehen seine Aktien besser – hier hat der Sozialdemo­krat auch in der CSU den einen oder anderen Unterstütz­er. Der bayerische Gesundheit­sminister Klaus Holetschek und Sozialmini­sterin Carolina Trautner etwa fordern ebenfalls eine finanziell­e Corona-Kompensati­on für Bedürftige.

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Foto: Bernd v. Jutrczenka, dpa Muss in der Koalition Überzeugun­gsar‰ beit leisten: Bundesarbe­itsministe­r Hu‰ bertus Heil.

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