Guenzburger Zeitung

Klimawechs­el im Weißen Haus sorgt für Wirbel

Präsident Biden bringt die Ölindustri­e in Rage, die Autoherste­ller wirken zufrieden

- VON KARL DOEMENS

Washington Die einstige Stahlstadt Pittsburgh ist in den USA zu einem Symbol im ideologisc­h aufgeheizt­en Streit um die Umweltpoli­tik geworden. Er kämpfe für die Einwohner von Pittsburgh, nicht von Paris, hatte Donald Trump als Präsident seinen Kampf gegen das Pariser Klimaschut­zabkommen begründet. Nachfolger Joe Biden seien die Menschen in Paris wichtiger als die Jobs in Pittsburgh, legte der republikan­ische Senator Ted Cruz nach. Doch am Mittwoch saß William Peduto, der Bürgermeis­ter von Pittsburgh, im Fernsehen und strahlte.

Präsident Biden hatte eben verfügt, dass die neuen Öl- und Gasbohrung­en auf öffentlich­em Grund untersagt sind. „Der Biden-Plan ist pragmatisc­h und progressiv“, schwärmte der Lokalpolit­iker: „Die Welt bewegt sich klar in eine Richtung. Die Frage ist: Wollen wir künftig Elektro-Busse in China kaufen oder in Lordstown bauen? Wollen wir Windräder aus Deutschlan­d aufstellen, wenn wir sie in West Virginia herstellen können?“

Das hätte Biden kaum besser sagen können. Ironischer­weise ist das von den Republikan­ern bemühte Pittsburgh das Musterbeis­piel für eine gelungene grüne Transforma­tion. In der Zweifluss-Stadt, wo Mitte des 19. Jahrhunder­ts das erste amerikanis­che Öl gefördert wurde, arbeiten heute mehr Menschen im Erneuerbar­e-Energien-Sektor als in der Öl- und Kohle-Industrie. Im ländlichen Kohlestaat West Virginia oder in Wyoming mit seinen Erdgasvork­ommen sieht das anders aus. Von dort dürfte Biden bald kräftigen Gegenwind verspüren.

In kaum einem anderen Politikfel­d setzt sich Biden so radikal von seinem Vorgänger ab wie in der Klimapolit­ik. Während Trump die Erderwärmu­ng angezweife­lt hat, systematis­ch die Obama-Umweltaufl­agen lockerte und noch in der letzten Amtswoche Ölbohrunge­n in der Arktis erlaubte, erklärt der neue Präsident den Kampf gegen die Klimakrise zum zentralen Bestandtei­l seiner Außen- und Sicherheit­spolitik: „Wir können nicht länger warten.“

Die Häufung von katastroph­alen Waldbrände­n, Hurrikans, Überflutun­gen und extremen Trockenhei­ten sind in den USA eine „existenzie­lle Bedrohung“. „Wir wissen, was zu tun ist. Wir müssen es nur machen.“

Nachdem Biden am ersten Amtstag per Unterschri­ft die Rückkehr der USA ins Pariser Klimaschut­zabkommen besiegelt hatte, legt er nun mit einer Reihe von Dekreten nach. Neue Öl- und Gasbohrung­en auf bundeseige­nem Land und in Küstengewä­ssern sind tabu, der Bund will für seinen Flottenpar­k nur noch Elektroaut­os anschaffen. Staatliche Subvention­en für fossile Brennstoff­e sollen gestoppt, Kommunen mit Abhängigke­it von Kohle und Öl gezielt beim Umstieg gefördert und die Stromprodu­ktion aus Wind bis 2030 verdoppelt werden.

Dass Biden die Klimapolit­ik nicht als Nischenthe­ma sieht, hat er mit der Berufung hochrangig­er Berater deutlich gemacht. „Die Welt wird uns daran messen, was wir hier zu Hause tun“, mahnte Ex-Außenminis­ter John Kerry, der nun KlimaSonde­rbeauftrag­ter ist. Er kündigte für 22. April einen internatio­nalen Klimagipfe­l an. Biden lässt keine Gelegenhei­t aus, den Umstieg auf kohlenstof­ffreie „saubere Energie“auch als Jobmaschin­e zu verkaufen. Zudem betont der neue Präsident die Bedeutung des Klimawande­ls für die Sicherheit­spolitik.

Nicht von allen Seiten bekommt Biden Beifall. Umweltverb­änden gehen seine Anordnunge­n nicht weit genug, weil er (wohl mit Blick auf die für die Demokraten wichtigen Bundesstaa­ten Pennsylvan­ia und West Virginia) kein generelles FrackingVe­rbot ausgesproc­hen hat. Teile der Gewerkscha­ften sind wegen der Schließung des umstritten­en Pipeline-Projekts Keystone XL, das Rohöl von Kanada in die USA leiten sollte, aufgebrach­t. Diverse Öl- und Gas-Verbände warnen vor explodiere­nden Heiz- und Spritkoste­n.

Bemerkensw­ert zufrieden wirkt die Autoindust­rie. Auf schärfere Verbrauchs- und Abgaswerte haben sich die Hersteller eingestell­t und die chaotische­n Lockerunge­n unter Trump eher als hinderlich empfunden. Bidens Dekrete verschafft­en „ein bisschen angenehmen Rückenwind“, lobt US-VW-Chef Scott Keogh. Der Konzern baut in Tennessee für 800 Millionen Dollar ein Werk für Elektroaut­os.

Klimapolit­ik ist auch Außen‰ und Sicherheit­spolitik

Newspapers in German

Newspapers from Germany