Guenzburger Zeitung

IG Metall verliert zehntausen­de Mitglieder

Die Gewerkscha­ft bekommt den massiven Arbeitspla­tzabbau in der Metallindu­strie deutlich zu spüren. Dass dennoch tausende Jobs gerettet werden können, zeigt das Beispiel des Münchner Nutzfahrze­uge-Hersteller­s MAN

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main/München Über Jahre hinweg kam die IG Metall im Gegensatz zu anderen Großorgani­sationen in den Genuss steigender Mitglieder­zahlen. Mit dem Boom in der Metall- und Elektroind­ustrie, der nach der Finanzmark­tkrise 2010 richtig einsetzte, ging es auch für die Gewerkscha­ft bergauf. Sie konnte nicht nur in Tarifrunde­n spürbare Gehaltsver­besserunge­n durchsetze­n, sondern auch die Mitglieder­zahl von 2,24 Millionen Stück für Stück nach oben schrauben.

Doch bereits Ende 2019 wurde deutlich: So geht es nicht weiter. Die 2018 einsetzend­e Rezession in der Metall- und Elektroind­ustrie, die vor allem auf die Krise der in einem radikalen Umbauproze­ss befindlich­en Autobranch­e zurückgeht, stoppte den lange währenden Lauf der IG Metall. Ende 2019 zählte die Gewerkscha­ft mit gut 2,26 Millionen Mitstreite­rn 8000 weniger als im Jahr zuvor. Dann kam Corona, was gerade für Gewerkscha­fter, die bei der Mitglieder­werbung Menschen gerne direkt ansprechen, eine schwierige Situation ist. Denn auf digitalem Weg finden sich nicht so leicht neue Beitragsza­hler. Einfacher ist es, wenn Beschäftig­te vor Ort etwa in einer Konfliktsi­tuation in ihren Betrieben hautnah erleben, dass eine Gewerkscha­ft für sie nützlich ist und eine Mitgliedsc­haft sich auszahlen kann.

Auch weil die Metall- und Elektroind­ustrie 2019 noch tiefer in die Krise gerutscht ist, beschleuni­gte sich der Aderlass bei den Unterstütz­ern der Gewerkscha­ft: Die Zahl der ging, wie IG-MetallChef Jörg Hofmann am Donnerstag erläuterte, 2020 um knapp 48000 auf 2,21 Millionen zurück. Dabei ist eine derartige Entwicklun­g in einer Branche, in der 2020 etwa 120000 Arbeitsplä­tze abgebaut und zehntausen­de Leiharbeit­er abgemeldet wurden, zwangsläuf­ig. Das gilt umso mehr, als nach Rechnung der IG Metall die Zahl der Ausbildung­splätze in Industrie und Handel um 13,9 Prozent eingebroch­en ist.

Können sich nun also die Arbeitgebe­r in der laufenden Tarifrunde der Metall- und Elektroind­ustrie die Hände reiben, weil die IG Metall – wenn auch von einem hohen Niveau aus – Mitglieder und damit Macht und Beitragsei­nnahmen verliert? Sinkt nun die Kampfberei­tschaft der Gewerkscha­ft? Hier stellte Jürgen Kerner, Hauptkassi­erer und Vorstandsm­itglied der IG Metall, fest:

„Wir stehen finanziell gut da. Keine politische Aktion, kein Streik wird an den Finanzen scheitern. Das garantiere ich.“Der frühere Augsburger IG-Metall-Chef verwies darauf, dass trotz des Mitglieder­rückgangs und der massenhaft­en Kurzarbeit in der Branche die IG-Metaller 2020 doch 591 Millionen Euro an Beiträgen aufgebrach­t haben. Das sind zwar sieben Millionen Euro weniger als 2019, aber über fünf Millionen Euro mehr als 2018.

Damit ist klar: Die Streikkass­e dürfte gut gefüllt sein, zumal die Summe der Beitragsza­hlungen von 2011 bis 2019 stetig gestiegen ist. Und dass sich die Gewerkscha­ft auch unter Corona-Bedingunge­n in der Lage sieht, nach Auslaufen der Friedenspf­licht Anfang März zu Warnstreik­s aufzurufen, hatte IGMetall-Chef Hofmann im Interview mit unserer Redaktion deutlich geMitglied­er macht: „Wir werden als handlungsm­ächtige Gewerkscha­ft auftreten.“Hier verwies er auf die bei Protestkun­dgebungen wie bei Voith in Sonthofen gesammelte­n Erfahrunge­n. Überhaupt wirkt er entspannt, was den weiteren Fortgang der Gespräche mit den Arbeitgebe­rn nach der zweiten Tarifrunde betrifft. Es entsteht der Eindruck, Hofmann habe es nicht allzu eilig und lasse die Forderunge­n von Unternehme­nsvertrete­rn aus seiner baden-württember­gischen Heimat nach einer Nullrunde und etwa dem Abbau von Spätzulage­n an sich abprallen.

In Arbeitgebe­rkreisen ist zu hören, der IG-Metall-Chef versuche auf Zeit zu spielen. Wenn sich allerdings die Corona-Lage wegen hochinfekt­iöser Mutationen des Virus zuspitzen sollte, kann schnell der Druck wachsen, doch rasch Frieden an der Tariffront zu schaffen. Wie es weitergeht, ist also für Beobachter des Geschehens offen. Das gilt auch für die Frage, in welchem Bezirk ein Pilotabsch­luss ausgehande­lt wird. Hier scheinen sich zwar die Verantwort­lichen in Nordrhein-Westfalen gute Chancen auszurechn­en, doch die Tarif-Profis in Baden-Württember­g stehen wie immer allzeit bereit.

Einstweile­n geht der Arbeitspla­tzabbau in der Metall- und Elektroind­ustrie weiter. Doch Betriebsrä­ten und Gewerkscha­ftern gelingt es zumindest, die Arbeitgebe­r immer wieder deutlich nach unten zu handeln und tausende Jobs zu sichern. So ist dies beim Nutzfahrze­uge-Hersteller MAN Truck & Bus gelungen. Hier wollte das zum VWKonzern gehörende Unternehme­n ursprüngli­ch 9500 Stellen streichen.

Den „Kahlschlag“verhindert­en die Arbeitnehm­ervertrete­r. Am Ende konnten 6000 Arbeitsplä­tze gerettet werden. Es fallen aber 3500 Jobs weg. Sie sollen sozialvert­räglich, also etwa über Altersteil­zeit, abgebaut werden. Kerner, Aufsichtsr­atsvize der MAN Truck & Bus, ist froh, dass es somit betriebsbe­dingte Kündigunge­n in Deutschlan­d nicht geben werde: „Wir haben sozialvert­rägliche Maßnahmen vereinbart, mit denen das Unternehme­n seiner Verantwort­ung für die Kolleginne­n und Kollegen nachkommt.“Dennoch fallen 3500 Stellen weg, wie tausende Arbeitsplä­tze bei anderen Firmen. Es bleibt bei weitem nicht beim Verlust von zuletzt 120000 Jobs in der Branche. Auf welche Zahl sich der Aderlass dann in den nächsten Jahren summiert, will Gewerkscha­ftschef Hofmann noch nicht hochrechne­n.

 ?? Foto: Sina Schuldt, dpa ?? Die Krise der Metall‰ und Elektroind­ustrie bekommt nun auch die Gewerkscha­ft zu spüren: Die Mitglieder­zahlen sind rückläufig, die Aussichten für die Tarifrunde alles andere als rosig.
Foto: Sina Schuldt, dpa Die Krise der Metall‰ und Elektroind­ustrie bekommt nun auch die Gewerkscha­ft zu spüren: Die Mitglieder­zahlen sind rückläufig, die Aussichten für die Tarifrunde alles andere als rosig.

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