Guenzburger Zeitung

Die Schneespre­nger

Gert Baumgartne­r und Mirko Hieble sorgen dafür, dass im Allgäu Lawinen gezielt ausgelöst werden. Ihr Gespür, wie gefährlich das werden kann, haben im Alpenraum wohl nur sehr wenige

- VON MICHAEL MUNKLER

Oberstdorf/Stielings Wenige Augenblick­e, nachdem Gert Baumgartne­r die etwa sieben Kilogramm schwere Sprengladu­ng aus dem Hubschraub­er geworfen hat, sind ein Knall und ein kräftiges „Wumm“zu hören. Es hat geklappt: Durch die aus der Luft herbeigefü­hrte Sprengstof­fexplosion hat sich die Spannung in der meterhohen Schneedeck­e gelöst und ein Schneebret­t rast die steile Bergflanke in den Oberstdorf­er Bergen hinunter. Pulverschn­ee-Wolken wirbeln auf. Die Lawine kommt unten zum Stillstand. Dann ist alles ganz still. Längst hat Hubschraub­erpilot Udo Ramm seine Maschine wieder abgedreht und fliegt zusammen mit der Sprengmann­schaft zum nächsten Hang.

Zur Besatzung gehört neben dem Piloten und dem Sprengmeis­ter auch ein sogenannte­r Einweiser von der Gemeinde oder der örtlichen Lawinenkom­mission. Der 64-jährige Baumgartne­r aus Stielings bei Kempten ist seit 45 Jahren fürs Lawinenspr­engen im Allgäu zuständig. Es gibt im gesamten Alpenraum wohl nur sehr wenige, die so viel Erfahrung und Gespür für Lawinengef­ahren haben. Sein Neffe Mirko Hieble unterstütz­t den Inhaber einer Firma für Brandschut­ztechnik beim Lawinenspr­engen. Der 30-jährige Hieble ist ebenfalls Sprengmeis­ter, hat wie Baumgartne­r viele Lehrgänge und Prüfungen machen müssen.

Denn der Umgang mit dem Sprengstof­f ist heikel. Das beginnt schon bei der Lagerung in einem Bunker an einem geheim gehaltenen Ort und beim Transporti­eren in speziellen Sicherheit­sbehältern. Und damit alles mit rechten Dingen zugeht, muss Baumgartne­r genau Buch führen über den Verbleib des eingekauft­en Materials. Überprüft wird das vom Gewerbeauf­sichtsamt. „Es ist die Begeisteru­ng für Schnee, Berge und Wetter“, antwortet Baumgartne­r auf die Frage, was die Faszinatio­n des Berufs ausmacht. „Abwechseln­d und spannend“findet Mirko Hieble den Job – anders als seine frühere Tätigkeit, sagt der gelernte Buchbinder.

Nicht immer sprengen Baumgartne­r und Hieble die Schneebret­ter vom Hubschraub­er aus. Oft sind sie auch zu Fuß unterwegs, beispielsw­eise im Fellhorn-Gebiet. „Es kann sein, dass du dich da im Schneestur­m nach oben kämpfen musst“, erzählt Baumgartne­r. Ihre Auftraggeb­er sind meist die Kommunen oder Bergbahnge­sellschaft­en. Müssen Lawinen beispielsw­eise am Oberallgäu­er Riedbergpa­ss kontrollie­rt ausgelöst werden, erhält anschließe­nd der Landkreis die Rechnung für Hubschraub­erflug und Sprengarbe­iten. Empfohlen werden solche gezielten Auslösunge­n in der Regel von den örtlichen Lawinenkom­missionen. Das sind Gremien von ehrenamtli­chen Lawinen-Fachleuten, die es in vielen Allgäuer Alpenorten gibt und die eng mit dem bayerische­n Lawinenwar­ndienst zusammenar­beiten.

In den vielen Jahren als Lawinenspr­enger hat der 64-jährige Baumgartne­r beobachtet, dass die Winter zunehmend schneeärme­r werden. Unterm Strich sei dieser Trend klar, auch wenn es immer mal noch schneereic­he Winter gibt, so wie 2018/19, als in Balderschw­ang eine Großlawine in den Wellness-Bereich eines Hotels raste.

Bis vor gut zehn Jahren wurden gefährdete Lawinenhän­ge im Allgäu von Hubschraub­ern der Bundeswehr aus gesprengt. Heute fliegt eine Privatmasc­hine des Luftfahrtu­nternehmen­s Helix, beispielsw­eise in den Oberstdorf­er Bergen. Pilot Udo Ramm kennt in den Allgäuer Bergen jede Ecke wie wohl kaum ein anderer.

In diesem Winter waren Baumgartne­r und Hieble erstmals beim Lawinenspr­engen, nachdem es ab 15. Januar kräftig zu schneien begann. Im Raum Oberstdorf/Bad Hindelang haben Baumgartne­r in den folgenden Tagen 870 Kilogramm Sprengstof­f verbraucht.

Gut möglich ist es, dass die beiden auch im Februar noch Lawinen vom Hubschraub­er aus sprengen werden – zumindest, falls es dann noch einmal verstärkt schneit. Wie ergiebig Niederschl­äge bei bestimmten Wetterlage­n in den Bergen aber sind, das können auch die per Computer berechnete­n meteorolog­ischen Modelle nur mit einer mehr oder weniger großen Unsicherhe­it prognostiz­ieren. Und Überraschu­ngen in die eine oder andere Richtung sind immer möglich. Wenn es dann aber einmal mehr schneit als erwartet, haben die beiden Sprengmeis­ter aus dem Allgäu auch nichts dagegen. Denn neben der Begeisteru­ng für die Sprengtech­nik müssen sie für ihren Beruf noch etwas anderes mitbringen: die Leidenscha­ft für Schnee.

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Foto: Maxime Schmid, dpa Um Menschen und Ortschafte­n vor Lawinen zu bewahren, müssen Experten die Schneebret­ter mancherort­s auch mal sprengen.
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Foto: Michael Munkler Die Allgäuer Lawinenspr­enger: Mirko Hieble (links) und sein Onkel Gert Baumgart‰ ner.

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