Intensivmediziner warnen vor Kollaps
Trotz leicht sinkender Patientenzahlen nähern sich viele Krankenhäuser immer weiter ihren Belastungsgrenzen – mit teils dramatischen Folgen für das Krankenpflegepersonal
Berlin Deutschlands Intensivmediziner schlagen trotz sinkender Infektionszahlen Alarm und warnen vor einem Kollaps des Gesundheitssystems, sollte es zu einer dritten Pandemiewelle durch hochansteckende Mutationen des Coronavirus kommen. „Wir spüren auf den Intensivstationen, anders als die Zahlen den Anschein erwecken, derzeit keine Entspannung, die Lage ist nach wie vor sehr angespannt“, sagte der stellvertretende Präsident der Deutschen Intensiv- und Notfallmediziner-Vereinigung DIVI, Felix Walcher, unserer Redaktion.
„Das Pflegepersonal ist maximal belastet, die Menschen können einfach nicht mehr“, sagte der Medizinprofessor. „Sehr viele sind ausgebrannt, es gibt schon jetzt sehr viele Burnout-Fälle und Rückzugserscheinungen. Wir Intensivmediziner haben Angst, dass in den kommenden Monaten viele das Handtuch werfen.“Das Pflegepersonal brauche echten Schutz vor Burnout und benötige Zukunftsperspektiven. Dabei gehe es nicht nur um Geld und mehr Personal, sondern um konkrete Unterstützung. „Sonst werden uns diese Menschen in einigen Monaten den Rücken kehren, weil sie nicht mehr können“, warnte Walcher. „Wenn wir so weitermachen, werden wir in absehbarer Zeit einen so dramatischen Personalmangel auf den Intensivstationen bekommen, dass wir weder den Normalbetrieb stemmen können geschweige denn eine mögliche dritte Welle“, betonte er.
Die deutschen Intensivstationen würden bereits seit Beginn der ersten Welle fast ununterbrochen am absoluten Limit arbeiten. Anders als in vielen anderen Bereichen habe es dort auch im Sommer trotz Abflachen der Pandemiewelle keine Entspannung gegeben: „Während die Politik über Lockerungen diskutiert hat und die Bevölkerung sich fast schon wieder in normalen Zeiten wähnte, gab es kaum eine Verschnaufpause, weil die Kliniken die während der ersten Pandemiewelle verschobenen Operationen nachholen mussten“, sagte der Magdeburger Klinikdirektor.
In der öffentlichen Diskussion spiele inzwischen kaum noch eine Rolle, unter welcher enormen Belastung das Pflegepersonal, aber auch viele Ärzte in den Intensivstationen stünden. „Man arbeitet nicht nur unter Vollschutz fast ohne Pausen, um Schwerstkranke zu betreuen, sondern ist in weit größerem Umfang als sonst damit konfrontiert, sterbende Patienten zu begleiten“, sagte der Notfallmediziner.
„Statt im Verlauf der Therapie zunehmend gesündere Patienten erleben wir seit Monaten eine Zunahme der Schwerkranken“, berichtet er.
„Weder die Bevölkerung noch die Politik haben derzeit auf dem Schirm, was diese Entwicklung für unsere Mitarbeiter bedeutet“, ergänzte Walcher. „Gerade auf den Covid-Stationen befürchten wir Intensivmediziner, dass unsere Mitarbeiter bald schlicht nicht mehr können, wenn wir sie nicht endlich mehr unterstützen und wertschätzen.“ Die Intensivmediziner-Vereinigung spricht sich seit Wochen für einen konsequenten Lockdown aus, bis die Infektionsketten von den Gesundheitsämtern kontrollierbar seien. „Alles andere ist ethisch schwer vertretbar“, sagte DIVI-Präsidiumsmitglied Walcher. „Unsere größte Sorge ist, dass durch die Impfungen und Lockerungsdiskussionen der Eindruck erweckt wird, die Krise sei bald überwunden, und die Vorsicht der Bürger nachlässt. Wenn das passieren sollte, dann werden wir eine dritte Welle mit Virusmutationen erleben, deren Folgen unabsehbar sind. Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht an die Wand fahren.“
Wie ernst die Lage ist, zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts: Im Dezember sind in Deutschland 29 Prozent mehr Menschen gestorben als im Durchschnitt der vier Vorjahre. Die Zunahme der Todesfälle verlief parallel zu den Wellen der Corona-Pandemie. Das Robert-Koch-Insitut zählt inzwischen über 55000 Corona-Fälle in Deutschland, knapp ein Fünftel davon in Bayern.
Mehr als 10000 CoronaTote in Bayern