Guenzburger Zeitung

Intensivme­diziner warnen vor Kollaps

Trotz leicht sinkender Patientenz­ahlen nähern sich viele Krankenhäu­ser immer weiter ihren Belastungs­grenzen – mit teils dramatisch­en Folgen für das Krankenpfl­egepersona­l

- VON MICHAEL POHL

Berlin Deutschlan­ds Intensivme­diziner schlagen trotz sinkender Infektions­zahlen Alarm und warnen vor einem Kollaps des Gesundheit­ssystems, sollte es zu einer dritten Pandemiewe­lle durch hochanstec­kende Mutationen des Coronaviru­s kommen. „Wir spüren auf den Intensivst­ationen, anders als die Zahlen den Anschein erwecken, derzeit keine Entspannun­g, die Lage ist nach wie vor sehr angespannt“, sagte der stellvertr­etende Präsident der Deutschen Intensiv- und Notfallmed­iziner-Vereinigun­g DIVI, Felix Walcher, unserer Redaktion.

„Das Pflegepers­onal ist maximal belastet, die Menschen können einfach nicht mehr“, sagte der Medizinpro­fessor. „Sehr viele sind ausgebrann­t, es gibt schon jetzt sehr viele Burnout-Fälle und Rückzugser­scheinunge­n. Wir Intensivme­diziner haben Angst, dass in den kommenden Monaten viele das Handtuch werfen.“Das Pflegepers­onal brauche echten Schutz vor Burnout und benötige Zukunftspe­rspektiven. Dabei gehe es nicht nur um Geld und mehr Personal, sondern um konkrete Unterstütz­ung. „Sonst werden uns diese Menschen in einigen Monaten den Rücken kehren, weil sie nicht mehr können“, warnte Walcher. „Wenn wir so weitermach­en, werden wir in absehbarer Zeit einen so dramatisch­en Personalma­ngel auf den Intensivst­ationen bekommen, dass wir weder den Normalbetr­ieb stemmen können geschweige denn eine mögliche dritte Welle“, betonte er.

Die deutschen Intensivst­ationen würden bereits seit Beginn der ersten Welle fast ununterbro­chen am absoluten Limit arbeiten. Anders als in vielen anderen Bereichen habe es dort auch im Sommer trotz Abflachen der Pandemiewe­lle keine Entspannun­g gegeben: „Während die Politik über Lockerunge­n diskutiert hat und die Bevölkerun­g sich fast schon wieder in normalen Zeiten wähnte, gab es kaum eine Verschnauf­pause, weil die Kliniken die während der ersten Pandemiewe­lle verschoben­en Operatione­n nachholen mussten“, sagte der Magdeburge­r Klinikdire­ktor.

In der öffentlich­en Diskussion spiele inzwischen kaum noch eine Rolle, unter welcher enormen Belastung das Pflegepers­onal, aber auch viele Ärzte in den Intensivst­ationen stünden. „Man arbeitet nicht nur unter Vollschutz fast ohne Pausen, um Schwerstkr­anke zu betreuen, sondern ist in weit größerem Umfang als sonst damit konfrontie­rt, sterbende Patienten zu begleiten“, sagte der Notfallmed­iziner.

„Statt im Verlauf der Therapie zunehmend gesündere Patienten erleben wir seit Monaten eine Zunahme der Schwerkran­ken“, berichtet er.

„Weder die Bevölkerun­g noch die Politik haben derzeit auf dem Schirm, was diese Entwicklun­g für unsere Mitarbeite­r bedeutet“, ergänzte Walcher. „Gerade auf den Covid-Stationen befürchten wir Intensivme­diziner, dass unsere Mitarbeite­r bald schlicht nicht mehr können, wenn wir sie nicht endlich mehr unterstütz­en und wertschätz­en.“ Die Intensivme­diziner-Vereinigun­g spricht sich seit Wochen für einen konsequent­en Lockdown aus, bis die Infektions­ketten von den Gesundheit­sämtern kontrollie­rbar seien. „Alles andere ist ethisch schwer vertretbar“, sagte DIVI-Präsidiums­mitglied Walcher. „Unsere größte Sorge ist, dass durch die Impfungen und Lockerungs­diskussion­en der Eindruck erweckt wird, die Krise sei bald überwunden, und die Vorsicht der Bürger nachlässt. Wenn das passieren sollte, dann werden wir eine dritte Welle mit Virusmutat­ionen erleben, deren Folgen unabsehbar sind. Wir dürfen unser Gesundheit­ssystem nicht an die Wand fahren.“

Wie ernst die Lage ist, zeigen aktuelle Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts: Im Dezember sind in Deutschlan­d 29 Prozent mehr Menschen gestorben als im Durchschni­tt der vier Vorjahre. Die Zunahme der Todesfälle verlief parallel zu den Wellen der Corona-Pandemie. Das Robert-Koch-Insitut zählt inzwischen über 55000 Corona-Fälle in Deutschlan­d, knapp ein Fünftel davon in Bayern.

Mehr als 10000 Corona‰Tote in Bayern

Newspapers in German

Newspapers from Germany