Guenzburger Zeitung

Spahns Stolperfal­len

Der Minister sieht im Kampf gegen Corona erste Erfolge und spricht von einem positiven Trend. Er warnt aber auch vor zu großem Optimismus. Er selbst hat immer wieder mit Querschüss­en zu kämpfen

- VON STEFAN LANGE UND DETLEF DREWES

Berlin Als Jens Spahn das Haus der Bundespres­sekonferen­z betritt, läuft es nicht gut für ihn. Der CDU-Politiker bückt sich plötzlich, um einen Schnürsenk­el zu binden, und prompt rennt ihm einer seiner Leibwächte­r in die Hacken. Beide, Bodyguard wie Bundesgesu­ndheitsmin­ister, sind robuste Typen und stecken den Rempler locker weg. Die Kameras wiederum nehmen das Bild dankend auf. Denn es untermalt die Situation, in der sich Spahn gerade befindet. Der Kampf gegen die Corona-Pandemie erfordert seine volle Aufmerksam­keit. Stillstand kann sich der Minister nicht leisten. Hält er inne, fährt ihm jemand in die Parade. So wie es beispielsw­eise einige Pharmakonz­erne gerade tun.

Da ist Spahn froh, wenn er auch mal gute Nachrichte­n verkünden kann. „Wir verzeichne­n gerade einen positiven Trend“, sagt er und verweist darauf, dass die Sieben-Tage-Inzidenz seit langem das erste Mal wieder unter 100 liege. Es gebe teilweise Werte wie im Oktober, also zu der Zeit, bevor die Zahlen durch die Decke gingen und Deutschlan­d erneut in den Tiefschlaf versetzt wurde. Aber kaum hat sich Spahn etwas entspannt, grätscht ihm Lothar Wieler in die Seite.

Wieler bestätigt zwar im Grundsatz die Aussagen des neben ihm sitzenden Ministers. „Wir sind auf einem guten Weg und wir müssen diesen Weg weiter konsequent beschreite­n“, sagt er, gießt dann aber Wasser in den Wein. Die Inzidenz gehe derzeit nur in vier Bundesländ­ern zurück, mahnt der Chef des Robert-Koch-Instituts. In den anderen zwölf sei sie nahezu gleich geblieben oder sogar gestiegen. „Es infizieren sich also nach wie vor viel zu viele Menschen“, betont Wieler, der von 238000 aktuellen Corona-Fällen spricht. Wieler dämpft zudem noch die Hoffnung auf etwas mehr Bewegungsf­reiheit, indem er Reisebesch­ränkungen gutheißt: „Prinzipiel­l sind alle Reisen, die nicht gemacht werden, hilfreich, um Viren nicht zu verschlepp­en.“

Auch Spahn ist natürlich nicht so freudetrun­ken, dass er die Realitäten aus dem Blick verliert. Das bisher Erreichte „reicht nicht, wir wollen weiter runter mit den Zahlen“, ruft er die Bürgerinne­n und Bürger dazu auf, in der Vorsicht nicht nachzulass­en. Gleichzeit­ig verteidigt er die tiefen Einschnitt­e des aktuellen Lockdowns. Es sei ermutigend, dass die harten Einschränk­ungen „einen Unterschie­d machen und wirken“, sagt der Minister. Spahn zufolge sind bisher 3,5 Millionen Impfdosen an die Länder verteilt worden. Davon wurden demnach 2,2 Millionen verimpft, rund 400000 Menschen erhielten die wichtige Zweitimpfu­ng. Von 800000 Pflegeheim­bewohnerin­nen und -bewohnern bekamen 560 000 die erste und 160 000 auch die zweite Impf-Spritze.

Spahn würde gerne mehr und schneller impfen lassen in Deutschlan­d, aber die versproche­nen Lieferunge­n kommen nicht an. Mit dem Hersteller AstraZenec­a, dessen Impfstoff nun auch von der Europäisch­en Union zugelassen ist, hat Deutschlan­d über die EU einen Rahmenvert­rag zur Lieferung von bis zu 400 Millionen Impfdosen. Doch vorige Woche durchkreuz­te das Unternehme­n alle bisherigen Planungen und teilte überrasche­nd mit, im ersten Quartal nur 31 statt der versproche­nen 80 Millionen Dosen zu liefern. Nun weiß niemand mehr, worauf man sich noch verlassen kann.

Immerhin lösten sich die Fronten zwischen AstraZenec­a und der EU-Kommission am Freitag behutsam auf. Gemeinsam veröffentl­ichten sie den umstritten­en Vertrag über die Impfstoff-Lieferunge­n an die EUMitglied­staaten. Auch wenn darin wesentlich­e Passagen wie die über Kosten und Kontingent­e für die EU geschwärzt wurden, wird deutlich: Das Unternehme­n hatte sich – wie von der Kommission stets behauptet – auf konkrete Absprachen eingelasse­n.

Der Konzern hatte sich ausdrückli­ch verpflicht­et, bei Lieferschw­ierigkeite­n andere Firmen mit der Herstellun­g zu beauftrage­n, um die bestellten Dosen trotzdem liefern zu können. „Es gibt verbindlic­he Bestellung­en und der Vertrag ist glasklar“, sagte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen. Auch für die Vorhaltung, dass Brüssel zu spät bestellt habe, gibt es im Vertrag keinen Beleg.

Das ändert allerdings nichts daran, dass kurzfristi­g in Deutschlan­d zu wenig Dosen zur Verfügung stehen. Für Spahn ist das wieder ein Tritt in die Hacken, denn er weiß, dass „jeder Impfstoff einen Unterschie­d“macht. Der Minister berichtet von Hersteller­n, die kaum bekannt sind. Von Produktion­sstätten, die gerade aufgebaut werden, aber womöglich erst im vierten Quartal ihre Arbeit aufnehmen können. Aber Ende des Jahres sollen doch schon alle, die es wollen, in Deutschlan­d geimpft sein? Ja, sagt der Minister, warnt aber auch: „Es kann notwendig werden, dass wir aufgrund von Mutationen neu impfen müssen.“

Am Montag berät sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel in einer Videokonfe­renz mit einigen Ministern und den Ministerpr­äsidenten der Länder über die Lage. An dem Treffen sollen auch Vertreter der Pharmaindu­strie sowie der EU-Kommission teilnehmen. Möglicherw­eise gibt es Impulse für die „größte Impfaktion in der Geschichte“, wie Spahn sie nennt. „Der Start der Impfkampag­ne war schwierig“, räumt er ein, hält gleichzeit­ig aber am Ziel fest, „im Sommer allen ein Impfangebo­t machen zu können“. Er könne die Frustratio­n vieler Menschen verstehen, sagt Spahn. Zur Wahrheit gehöre aber auch: „Es liegen noch viele harte Wochen vor uns.“

 ?? Foto: dpa ?? Jens Spahn war zuletzt stark unter Druck geraten.
Foto: dpa Jens Spahn war zuletzt stark unter Druck geraten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany