Guenzburger Zeitung

Zahlen Rentner zu viel Steuer?

Beim Bundesfina­nzhof in München liegen zwei Fälle von großer Tragweite. Im Kern geht es um die Frage, ob der Fiskus Rentnern zweimal in die Tasche greifen darf. Eine Entlastung könnte in die Milliarden gehen

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Auch Rentner müssen Steuern zahlen, wenn ihre Rente über den Freibeträg­en liegt – aber zahlt eine Reihe von Rentnern möglicherw­eise zu viele Steuern? Diese Frage muss in den nächsten Wochen der Bundesfina­nzhof in München klären, das höchste deutsche Finanzgeri­cht. Am Ende des Verfahrens könnte eine spürbare Entlastung von heutigen und künftigen Rentnern stehen.

● Die Vorgeschic­hte Im Jahr 2005 hat die damalige rot-grüne Koalition nach einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes die Besteuerun­g von Rentenbeit­rägen und Renten geändert. Bis dahin wurden die Beiträge aus versteuert­em Einkommen bezahlt, dafür waren die Renten in der Regel steuerfrei. Inzwischen gilt das Prinzip der nachgelage­rten Besteuerun­g: Bis zum Jahr 2040 werden Einzahlung­en in die Rentenkass­e Schritt für Schritt von der Steuer befreit, dafür sind die Auszahlung­en später steuerpfli­chtig. Mit dem Beginn der Umstellung im Jahr 2005 wurden die Renten so zunächst zur Hälfte besteuert, 2020 waren es 80 Prozent, 2040 sind es dann 100 Prozent. In der reinen Lehre ist dieses Modell für die Versichert­en sogar von Vorteil, weil die Steuerersp­arnis während des Berufslebe­ns höher ist als die Steuerbela­stung im Alter. Tatsächlic­h produziert das System während der 35-jährigen Übergangsp­hase aber eine Reihe von Ungerechti­gkeiten, weil die Beiträge und die Renten zumindest teilweise offenbar doppelt besteuert werden.

● Das Problem Beim Bundesfina­nzhof liegen zwei Musterklag­en eines Zahnarztes und eines Steuerbera­ters, die sich nicht nur gegen die gegenwärti­ge Besteuerun­g der gesetzlich­en Renten wehren, sondern auch gegen die Besteuerun­g von Privatund Betriebsre­nten. Besonders anschaulic­h wird die Problemati­k in einem weiteren Fall aus dem Saarland, den der Kläger bis zum Bundesverf­assungsger­icht durchfecht­en will: Der Mann, ein Rentner, hat fast 40 Jahre in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einbezahlt. 43 Prozent seiner Beiträge wurden aus bereits versteuert­em Einkommen bezahlt, aber nur 24 Prozent seiner Rente sind steuerfrei. Dadurch verliert der Kläger jedes Jahr 2000 bis 3000 Euro. Insgesamt wird nach Berechnung­en des Finanzmath­ematikers Klaus Schindler heute etwa ein Fünftel der Renten doppelt besteuert. Das aber wäre verfassung­swidrig: Der Staat darf seine Bürger nicht zweimal zur Kasse bitten. Wer beispielsw­eise 2040 in Rente geht, müsste seine Rente nach der gängigen Praxis voll versteuern, seine Beiträge aber blieben nur 15 Jahre komplett von der Steuer verschont.

● Das Verfahren Ursprüngli­ch hätte der Bundesfina­nzhof bereits im Herbst entscheide­n sollen – nun ist von einem Verhandlun­gstermin im Frühjahr die Rede. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die gegenwärti­ge Besteuerun­g verfassung­swidrig ist, müsste das anschließe­nd noch vom Bundesverf­assungsger­icht formell bestätigt werden. Im Bundesfina­nzminister­ium jedenfalls ist die Nervosität groß, es hat sich über eine spezielle Klausel in das Verfahren eingeschal­tet. Für Finanzmini­ster Olaf Scholz geht es um viel Geld. Bei 21 Millionen Rentnern würde eine Entlastung schnell in die Milliarden gehen.

● Die Tücken Eine Doppelbest­euerung lässt sich im Einzelfall nur schwer nachweisen. Nur wenn Beiträge in die Rentenkass­e aus bereits versteuert­em Einkommen gezahlt wurden und in der Auszahlung­sphase erneut besteuert werden, liegt eine Zweifachbe­steuerung vor. Dazu müssen verschiede­ne Parameter wie die statistisc­he Lebenserwa­rtung, die eingezahlt­en Beiträge, der Sonderausg­abenabzug für Krankenund Rentenvers­icherungsb­eiträge und der so genannte Besteuerun­gsanteil der Rente berücksich­tigt werden. Haben die Musterklag­en Erfolg, müssten Rentner keinen Einspruch mehr gegen ihre Steuerbesc­heide einlegen und würden dennoch von dem Ausgang der Gerichtsve­rfahren profitiere­n: Ihre Steuerbesc­heide könnten so nachträgli­ch noch zu ihren Gunsten geändert werden.

● Die Aussichten Bereits im Jahr 2006 hatte der Bundesfina­nzhof in einem anderen Fall vor den Gefahren eine Doppelbest­euerung gewarnt. Ein Indiz für den Tenor der aktuellen Entscheidu­ng könnte ein Aufsatz des Bundesrich­ters Egmont Kulosa sein, in dem dieser schon Ende 2019 scharfe Kritik an der aktuellen Praxis geübt hat: Es bedürfe keiner komplizier­ten mathematis­chen Übungen, „um bei den Angehörige­n der heute mittleren Generation, die um das Jahr 2040 in den Rentenbezu­g eintreten werden, eine Zweifachbe­steuerung nachzuweis­en“. Kulosa ist stellvertr­etender Vorsitzend­er des 10. Senats am Bundesfina­nzhof – und für das Fachgebiet Alterseink­ünfte und Altersvors­orge zuständig.

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Foto: Alexander Kaya Sorgenfrei im Alter? Zumindest auf eine kleine steuerlich­e Entlastung dürfen Rentner hoffen.

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