Guenzburger Zeitung

Privilegie­n für Corona-Geimpfte? Aber sicher doch Leitartike­l

Wer gegen das Virus immun ist, sollte eine größere Freiheit genießen als Nicht-Geimpfte. Das klingt unfair, ist es aber nicht

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Privilegie­n – das Wort hat einen schlechten Beigeschma­ck. Jemand bekommt oder besitzt etwas, ohne es recht zu verdienen. Der Adel genoss früher Privilegie­n und begründete sie mit der vermeintli­ch hohen Geburt und noblen Abstammung. Und nun Privilegie­n für Geimpfte? Im ersten Moment regt sich ein ungutes, widerstreb­endes Gefühl. Sind die Ersten, die das Serum gegen Corona schützt, nicht ohnehin besser dran als ich?

Sie müssen keine Angst mehr haben, dass die Krankheit bei ihnen einen kritischen Verlauf nimmt, dass sie vielleicht in ein Krankenhau­s müssen oder sogar an der Infektion sterben. Und dann sollen sie auch noch ihr altes Leben zurückbeko­mmen, ein Kino, ein Theater oder ein Restaurant besuchen dürfen, während ich weiter in

Sorge vor dem Erreger lebe und das soziale Leben weitgehend stillgeleg­t ist?

Das mag sich unfair anfühlen, aber bei genauerer Betrachtun­g ist es das nicht. Denn diejenigen, die jetzt am Beginn der Massenimpf­ung eine Spritze bekommen, haben erstens auch ein deutlich höheres Risiko, dass der Erreger in ihren Körpern schwere Schäden anrichtet. Es sind Alte und Hochbetagt­e, die zuerst geimpft werden. Hinzu kommen Schwestern, Pfleger und Ärzte, die sich um diese Leute kümmern und bei einer Ansteckung nicht arbeiten könnten. Zweitens ist es ein falsches Verständni­s, es sei ein Vorrecht, mehrere Freunde treffen zu dürfen oder Sport in einem Fitnessstu­dio zu treiben. Das ist es nicht. Es sind elementare Freiheitsr­echte, die der Staat nur vorübergeh­end zur Bekämpfung der Pandemie einschränk­en darf. Wird das Virus zurückgedr­ängt, müssen die Beschränku­ngen aufgehoben werden.

Noch ist die Debatte über die Rückgabe der Freiheit theoretisc­h, weil bislang zu wenige Menschen in

Deutschlan­d gegen den CoronaErre­ger geimpft sind. Aber schon im April wird sie sehr konkret sein, wenn ein guter Teil der Deutschen das schützende Serum erhalten hat. Es wird dann zeitweilig eine Zweiklasse­ngesellsch­aft geben, die in Geimpfte und Nicht-Geimpfte zerfällt. Das lässt sich nicht verhindern, weil nicht für alle genügend Impfstoff verfügbar ist.

In Deutschlan­d leben über 20 Millionen Menschen, die 60 Jahre und älter sind. Es ist mit dem Geist des Grundgeset­zes nicht vereinbar, in ihre persönlich­e Freiheit weiter massiv einzugreif­en, wenn das Virus für sie nicht mehr gefährlich ist. Gleiches gilt für Wirte, Hoteliers, Kinobesitz­er und Fitnessstu­diobetreib­er. Ihr faktisches Arbeitsver­bot ist dann nicht mehr haltbar. Zutritt erhält jeder, der einen Impfauswei­s oder eine Bestätigun­g

dabei hat, wo eine CoronaImmu­nisierung vermerkt ist. Personal, das noch nicht selbst eine Spritze bekommen hat, kann durch Hygienekon­zepte und engmaschig­e Tests geschützt werden.

Ungefährli­ch ist eine derartige Zweiklasse­ngesellsch­aft natürlich nicht. Den Ungeimpfte­n, zu denen ganz überwiegen­d die Jüngeren zählen werden, droht das undankbare Los, leider draußen bleiben zu müssen. Für die Corona-Moral ist es eine schwierige Prüfung, wenn die einen wieder frei sein dürfen und andere sich weiter massiv einschränk­en sollen. Das bessere Wetter im Frühjahr könnte die Spaltung erträglich­er machen, weil wieder mehr Leben im Freien spielt, wo das Ansteckung­srisiko geringer ist.

Im besten Fall ist das Virus dann bereits soweit zurückgedr­ängt, dass Kinos, Kneipen, Restaurant­s und Theater mit Abstands- und Hygienereg­eln für alle öffnen können. Sicher ist das aber nicht, wie die Erfahrunge­n mit der zweiten Welle in Deutschlan­d und anderen Ländern zeigen.

Im Frühjahr kommt es zur Zweiklasse­ngesellsch­aft

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany