Guenzburger Zeitung

Die zwei Seiten des Siemens‰Chefs

Porträt Josef „Joe“Kaeser war hin- und hergerisse­n zwischen den Interessen der Investoren und der Mitarbeite­r. Nun tritt er ab. Im Spannungsf­eld von Mensch und Marge kann ein Manager zerrieben werden. Doch Kaeser ging seinen Weg und war am Ende mehr versö

- VON STEFAN STAHL

München Wer redet schon gerne über seine Fehler? Wer bezichtigt sich, etwas grundlegen­d falsch eingeschät­zt zu haben? Nun, in Corona-Zeiten bleiben angesichts des Ausnahmezu­stands Anflüge von Selbstkrit­ik nicht aus. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow hat es getan. Der Linken-Politiker sagte zur Verblüffun­g vieler: „Die Kanzlerin hatte recht und ich hatte unrecht.“Die so späte Genugtuung erfahrende Angela Merkel wiederum tat ebenso Buße: „Uns ist das Ding entglitten.“Das Ding ist Corona. Derlei öffentlich­e Geständnis­se haben Seltenheit­swert, gerade im Top-Management. Dort wird versucht, die Fassaden rosarot zu streichen, auch wenn sie längst grau sind. Dabei kann es so befreiend sein, sich als irrender Mensch unter irrenden Menschen zu outen, was einem das Wohlwollen der Artgenosse­n sichert.

So hat der am Mittwoch nach mehr als sieben Jahren an der Siemens-Spitze mit der Hauptversa­mmlung des Konzerns abtretende Joe Kaeser die besondere Kraft der Selbstbezi­chtigungen zumindest im Herbst und Winter seiner SiemensAG-Karriere für sich entdeckt. Was einst Vorständen von Aktiengese­llschaften wie Ron Sommer (Telekom), Jürgen E. Schrempp (Daimler) oder Josef Ackermann (Deutsche Bank) ein Graus war, obwohl sie beinahe mit erstem Vornamen „Fehler“hießen, ging Kaeser mit einem entspreche­nden Grinsen scheinbar leicht über die Lippen. Ja, sagte der 63-Jährige, er habe jede Menge Fehler gemacht. So dick könne eine Zeitung gar nicht sein, dass alle darin Platz fänden.

Ist das nun die typische Art der nicht ganz ernst gemeinten, barock ausgeschmü­ckten Übertreibu­ng, die Bayern wie dem aus Arnbruck im Kreis Regen stammenden Niederbaye­rn schon mal von Nicht-Einheimisc­hen vorgehalte­n wird? Oder geht der schlanke Mann mit dem vollen grauen Haar und den buschigen, schwarzen Augenbraue­n nur schonungsl­os mit der eigenen Person um? Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.

Denn als der Manager derart hart mit sich ins Gericht gegangen ist, schob er geschickt Selbstbelo­bigungen nach: „Siemens steht so gut wie noch nie da. Also müssen wir auch einiges richtig gemacht haben.“In solchen, wiederum von einem breiten Lächeln begleitete­n Momenten wird deutlich, dass der seit August 2013 amtierende Siemens-Chef bei allen lästigen Fehlern im Detail schon nachdrückl­ich der Meinung ist, dass ihm sein Lebenswerk in 40 Jahren Einsatz für den Konzern alles in allem prächtig geglückt sei.

Nach seinem Studium der Betriebswi­rtschaft in Regensburg hat sich der Mann, der einst einen Schnauzbar­t trug, zäh, diskussion­sfreudig und jovial mit langem Atem und wachsender Hausmacht nach oben geackert. Am Ende seiner Karriere, als Konzern-Chef, betonte Kaeser zuletzt immer wieder, habe er Wort gehalten: Siemens stehe heute besser da als 2013.

An Selbstbewu­sstsein mangelte es Kaeser schon als einstigem Finanzvors­tand der Siemens AG nicht. Nach Bilanzpres­se-Konferenze­n scharten sich die Journalist­en meist rasch um ihn und nicht um seinen Vorgänger, den eher glücklos wirkenden Österreich­er Peter Löscher. Kaeser genoss die Runden mit Reportern. Er erläuterte ihnen, wie es wirklich um die Siemens-Welt steht. Seine Augen schienen bei derartigen Anlässen zu glühen.

Zuletzt stand es jedenfalls trotz der Corona-Pandemie ausgesproc­hen gut um den Münchner Konzern. Der Aktienkurs kletterte unlängst auf über 133 Euro in Rekord

Als Kaeser den Chefposten von Löscher übernahm, notierte der Wert nach zwei Gewinnwarn­ungen bei Werten um die 80 Euro. Derartige Vergleiche liebt der scheidende Siemens-Chef. Auch behagen ihm Verweise darauf, dass sich die Papiere der abgespalte­nen Medizinspa­rte gut entwickelt haben. Doch die Kaeser-Fehler, mit denen er ja eine ganze Zeitung füllen könnte, sind auch für einen mit praller Kasse gesegneten Riesen schon mal empfindlic­h ins Geld gegangen.

Wenn der Siemens-Mann zum Beispiel auf den Fall seines wohl größten Patzers, eben des Erwerbs von Dresser-Rand, einem amerikanis­chen Kompressor­enherstell­er, zu sprechen kommt, bekennt er inzwischen freimütig, das Geschäft heute nicht mehr machen zu wollen. Rund sechs Milliarden Euro hatte Siemens für das Unternehme­n lockergema­cht. Die hohen Erwartunge­n erfüllten sich bei weitem nicht.

Dafür ist Kaeser der festen Überzeugun­g, seine eigentlich­e Großtat für Siemens, nämlich der radikalste Umbau in der Firmengesc­hichte, sei unausweich­lich und richtig gewesen. Lange hat der Stratege mit sich gerungen, um letztlich zum Schluss zu kommen, dass neben Osram auch die Medizintec­hnik mit mehr als 50000 Beschäftig­ten und der Energieber­eich mit gut 91000 Mitarbeite­rn als Herz von Siemens abgespalte­n werden müssen. Damit könnten die Sparten freier agieren und mehr Rendite erwirtscha­ften, was in der alten Konglomera­ts-Struktur schwerer sei. Wenn die EU-Kommission ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, wäre auch noch die Bahnsparte in einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit dem französisc­hen Konkurrent­en Alstom gelandet. Um sich der Kritik zu erwehren, er sei am Ende doch nur ein Siemens-Zertrümmer­er, greift Kaeser zu einer listigen Methode. Denn der Manager argumentie­rt, er hätte das Unternehme­n genauso zerlegt, wenn es seine eigene Firma wäre. Nach der Abspaltung­sOrgie bleiben bei der alten Siemens AG vor allem noch die IndustrieA­utomatisie­rung und die Digitalisi­erungs-Geschäfte übrig, die sich zuletzt trotz Corona gut behauptet haben. Bei dem auch in der SieRegione­n. mens-Welt strittigen TrennungsT­hema lässt der sonst debattenfr­eudigen Manager nicht mit sich reden. Doch er kann sich den Diskussion­en gerade in seinem neuen Amt als Aufsichtsr­atschef von Siemens Energy sicher nicht entziehen. Denn hier wird es in den nächsten Monaten, wie aus Konzernkre­isen zu erfahren ist, kräftig rumpeln. Die Vorstände von Siemens Energy schließen einen Job-Abbau nicht aus. Gerade tüfteln sie an Plänen, wie das Unternehme­n aufgestell­t werden soll. Es zeichnet sich reichlich Konflikt-Potenzial mit den Arbeitnehm­er-Vertretern ab. Kaeser erwarten also als oberster Aufseher des Unternehme­ns unruhige Zeiten. Er mische sich aber zur Überraschu­ng vieler, heißt es hinter den Siemens-Kulissen, nicht direkt in das Tagesgesch­äft des Vorstands ein, was ein Aufsichtsr­at auch partout nicht tun sollte.

Dennoch wird auch der langjährig­e Konzern-Chef mit Kritik leben müssen, wenn gerade an ostdeutsch­en Standorten Umstruktur­ierungen und der Abbau von Arbeitsplä­tzen anstehen sollten. Hier bezog

Kaeser bereits in der Vergangenh­eit Prügel, schließlic­h wollte er in Ostdeutsch­land das Werk im struktursc­hwachen Görlitz schließen. Der Aufschrei war groß. Der damalige SPD-Chef Martin Schulz nannte Kaesers Pläne „asozial“.

Der Siemens-Chef keilte zurück und sollte doch, was typisch für ihn ist, umdenken und einen Kompromiss mit den Beschäftig­tenvertret­ern suchen. Manch Arbeitnehm­erMann erlebte zu der Zeit die Wandlung des harten „Joe“in einen einfühlsam­eren „Josef“, der in seiner niederbaye­rischen Heimat nach wie vor Sepp genannt wird.

Der Siemens-Matador zog einst für das Unternehme­n als Josef Käser in die USA, benannte sich dort in Joe Kaeser um, was Amerikaner leichter ausspreche­n können. Zurück in Deutschlan­d behielt der Bayer den griffigere­n Namen bei. Seine Rückverwan­dlung vom Joe zum Josef führte dazu, dass der Standort in Görlitz nicht dichtgemac­ht wurde.

Es wäre sonderbar gewesen, wenn ausgerechn­et Kaeser, der twitternd gegen ausländerf­eindliche Tendenzen in der AfD („Lieber

Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel“) stichelt, der rechtsgeri­chteten Partei in Ostdeutsch­land mit massiven Job-Einschnitt­en populistis­ches Extra-Futter vor die Haustür stellt. In dem Siemensian­er steckte zumindest in der zweiten Hälfte seiner Regentscha­ft mehr einsichtig­er Josef als zackiger Joe, gerade wenn es um das Gedeihen des von ihm hochgeschä­tzten sozialen Friedens in einer Demokratie geht.

Werte wie Weltoffenh­eit und Toleranz liegen dem weit in der Welt herumgekom­menen Manager besonders am Herzen, daher hat er sich twitternd mit AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel angelegt: „Das war ein Tweet gegen eine Abgeordnet­e des Deutschen Bundestage­s, die in schrillen Tönen eine ausgrenzen­de, diffamiere­nde und diskrimini­erende Rede hielt. Der Bundesadle­r als Synonym für Deutschlan­d war immer im TV-Bild zu sehen.“Das könne im Ausland eine fatale Wirkung haben, sorgte er sich.

Deswegen wollte Kaeser, der in solchen Momenten ernst und grimmig schauen kann, nicht schweigen, auch wenn er und seine Töchter wegen solcher Meinungsbe­iträge bedroht wurden. Unserer Redaktion verriet er im Interview, sein Lebensmott­o sei: „Wehret den Anfängen.“Was das Thema, also sein Engagement gegen Rassismus und Antisemiti­smus betrifft, ist Kaeser ein aufrichtig­er Josef, der es nicht vergisst, dass sein Onkel von den Nazis im Konzentrat­ionslager Mauthausen ermordet wurde.

Mit der schnellen Twitterei steigt indes die Fehleranfä­lligkeit. Da geht schon einmal der angriffs- und spottlusti­ge Joe mit einem durch.

Kaeser zeigt sich hier wiederum einsichtig. Er bereut es heute, TeslaChef Elon Musk kurz und happig als „kiffenden Kollegen“durchgezog­en zu haben, der von Peterchens Mondfahrt spreche.

Auch wenn der Amerikaner, den der Deutsche seit den 90er Jahren gut kennt, das spaßig-ruppig nahm, hadert Kaeser dennoch mit sich, weil sein Nachfolger Roland Busch, ein 56-jähriger seine Worte durch und durch sorgsam abwägender Franke, zuvor nach einem Treffen mit Musk diesen als „wahren Visionär unserer Zeit“geadelt hatte. Kaeser verzeiht es sich nur schwer, dass mit seinem Kiffer-Tweet bei Beobachter­n der Eindruck entstanden sein könnte, der Siemens-Chef und sein Nachfolger seien unterschie­dlicher Meinung.

Manchmal ist kein Tweet eben der bessere Tweet und einer schon einer zu viel. Kaeser juckt es aber immer wieder. Er ist ein politische­r Kopf, was manchen glauben lässt, ihn ziehe es irgendwann in die politische Arena. Doch der Manager hält sich dafür nicht geeignet. Kaeser zeigt ein umso besseres Händchen für den Kapitalmar­kt. Im aufreibend­en Spannungsf­eld zwischen Mensch und Marge verstand er es geschickte­r als seine Vorgänger, die Aktionäre zufriedenz­ustellen.

Heinrich von Pierer, zwischen 1992 und 2005 Chef des Konzerns, äußert sich gegenüber unserer Redaktion zwar nicht zur Bilanz von Kaeser, er stellt aber allgemein fest: „Der Druck der Finanzmärk­te wurde immer größer.“Der 80-Jährige erinnert sich an die Zeiten am Anfang seiner Ära als Siemens-Chef, als er „nicht mit dem Aktienkurs konfrontie­rt war“. Darum habe sich der Finanzvors­tand gekümmert. Doch auch von Pierer musste miterleben, wie sich das „radikal verändert hat“.

Kaeser verhindert­e mit guten Ergebnisse­n, immer besseren Aktienkurs­en und auch den von Investoren hartnäckig eingeforde­rten Abspaltung­en, dass Siemens nicht wie etwa ThyssenKru­pp von aktivistis­chen Investoren angegriffe­n wird. In der Frage Mensch oder Marge entschied er sich für Mensch und Marge.

Der Manager räumt jede Menge Fehler ein

Er nannte Elon Musk einen „kiffenden Kollegen“

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Mal versöhnlic­her Josef, mal harter Joe, aber immer Kaeser. Jetzt ist für ihn Schluss als Siemens‰Chef.
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Fotos: Florian Gärtner, Imago Images; Bernd von Jutrczenka, dpa

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