Die zwei Seiten des SiemensChefs
Porträt Josef „Joe“Kaeser war hin- und hergerissen zwischen den Interessen der Investoren und der Mitarbeiter. Nun tritt er ab. Im Spannungsfeld von Mensch und Marge kann ein Manager zerrieben werden. Doch Kaeser ging seinen Weg und war am Ende mehr versö
München Wer redet schon gerne über seine Fehler? Wer bezichtigt sich, etwas grundlegend falsch eingeschätzt zu haben? Nun, in Corona-Zeiten bleiben angesichts des Ausnahmezustands Anflüge von Selbstkritik nicht aus. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat es getan. Der Linken-Politiker sagte zur Verblüffung vieler: „Die Kanzlerin hatte recht und ich hatte unrecht.“Die so späte Genugtuung erfahrende Angela Merkel wiederum tat ebenso Buße: „Uns ist das Ding entglitten.“Das Ding ist Corona. Derlei öffentliche Geständnisse haben Seltenheitswert, gerade im Top-Management. Dort wird versucht, die Fassaden rosarot zu streichen, auch wenn sie längst grau sind. Dabei kann es so befreiend sein, sich als irrender Mensch unter irrenden Menschen zu outen, was einem das Wohlwollen der Artgenossen sichert.
So hat der am Mittwoch nach mehr als sieben Jahren an der Siemens-Spitze mit der Hauptversammlung des Konzerns abtretende Joe Kaeser die besondere Kraft der Selbstbezichtigungen zumindest im Herbst und Winter seiner SiemensAG-Karriere für sich entdeckt. Was einst Vorständen von Aktiengesellschaften wie Ron Sommer (Telekom), Jürgen E. Schrempp (Daimler) oder Josef Ackermann (Deutsche Bank) ein Graus war, obwohl sie beinahe mit erstem Vornamen „Fehler“hießen, ging Kaeser mit einem entsprechenden Grinsen scheinbar leicht über die Lippen. Ja, sagte der 63-Jährige, er habe jede Menge Fehler gemacht. So dick könne eine Zeitung gar nicht sein, dass alle darin Platz fänden.
Ist das nun die typische Art der nicht ganz ernst gemeinten, barock ausgeschmückten Übertreibung, die Bayern wie dem aus Arnbruck im Kreis Regen stammenden Niederbayern schon mal von Nicht-Einheimischen vorgehalten wird? Oder geht der schlanke Mann mit dem vollen grauen Haar und den buschigen, schwarzen Augenbrauen nur schonungslos mit der eigenen Person um? Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.
Denn als der Manager derart hart mit sich ins Gericht gegangen ist, schob er geschickt Selbstbelobigungen nach: „Siemens steht so gut wie noch nie da. Also müssen wir auch einiges richtig gemacht haben.“In solchen, wiederum von einem breiten Lächeln begleiteten Momenten wird deutlich, dass der seit August 2013 amtierende Siemens-Chef bei allen lästigen Fehlern im Detail schon nachdrücklich der Meinung ist, dass ihm sein Lebenswerk in 40 Jahren Einsatz für den Konzern alles in allem prächtig geglückt sei.
Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in Regensburg hat sich der Mann, der einst einen Schnauzbart trug, zäh, diskussionsfreudig und jovial mit langem Atem und wachsender Hausmacht nach oben geackert. Am Ende seiner Karriere, als Konzern-Chef, betonte Kaeser zuletzt immer wieder, habe er Wort gehalten: Siemens stehe heute besser da als 2013.
An Selbstbewusstsein mangelte es Kaeser schon als einstigem Finanzvorstand der Siemens AG nicht. Nach Bilanzpresse-Konferenzen scharten sich die Journalisten meist rasch um ihn und nicht um seinen Vorgänger, den eher glücklos wirkenden Österreicher Peter Löscher. Kaeser genoss die Runden mit Reportern. Er erläuterte ihnen, wie es wirklich um die Siemens-Welt steht. Seine Augen schienen bei derartigen Anlässen zu glühen.
Zuletzt stand es jedenfalls trotz der Corona-Pandemie ausgesprochen gut um den Münchner Konzern. Der Aktienkurs kletterte unlängst auf über 133 Euro in Rekord
Als Kaeser den Chefposten von Löscher übernahm, notierte der Wert nach zwei Gewinnwarnungen bei Werten um die 80 Euro. Derartige Vergleiche liebt der scheidende Siemens-Chef. Auch behagen ihm Verweise darauf, dass sich die Papiere der abgespaltenen Medizinsparte gut entwickelt haben. Doch die Kaeser-Fehler, mit denen er ja eine ganze Zeitung füllen könnte, sind auch für einen mit praller Kasse gesegneten Riesen schon mal empfindlich ins Geld gegangen.
Wenn der Siemens-Mann zum Beispiel auf den Fall seines wohl größten Patzers, eben des Erwerbs von Dresser-Rand, einem amerikanischen Kompressorenhersteller, zu sprechen kommt, bekennt er inzwischen freimütig, das Geschäft heute nicht mehr machen zu wollen. Rund sechs Milliarden Euro hatte Siemens für das Unternehmen lockergemacht. Die hohen Erwartungen erfüllten sich bei weitem nicht.
Dafür ist Kaeser der festen Überzeugung, seine eigentliche Großtat für Siemens, nämlich der radikalste Umbau in der Firmengeschichte, sei unausweichlich und richtig gewesen. Lange hat der Stratege mit sich gerungen, um letztlich zum Schluss zu kommen, dass neben Osram auch die Medizintechnik mit mehr als 50000 Beschäftigten und der Energiebereich mit gut 91000 Mitarbeitern als Herz von Siemens abgespalten werden müssen. Damit könnten die Sparten freier agieren und mehr Rendite erwirtschaften, was in der alten Konglomerats-Struktur schwerer sei. Wenn die EU-Kommission ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, wäre auch noch die Bahnsparte in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Konkurrenten Alstom gelandet. Um sich der Kritik zu erwehren, er sei am Ende doch nur ein Siemens-Zertrümmerer, greift Kaeser zu einer listigen Methode. Denn der Manager argumentiert, er hätte das Unternehmen genauso zerlegt, wenn es seine eigene Firma wäre. Nach der AbspaltungsOrgie bleiben bei der alten Siemens AG vor allem noch die IndustrieAutomatisierung und die Digitalisierungs-Geschäfte übrig, die sich zuletzt trotz Corona gut behauptet haben. Bei dem auch in der SieRegionen. mens-Welt strittigen TrennungsThema lässt der sonst debattenfreudigen Manager nicht mit sich reden. Doch er kann sich den Diskussionen gerade in seinem neuen Amt als Aufsichtsratschef von Siemens Energy sicher nicht entziehen. Denn hier wird es in den nächsten Monaten, wie aus Konzernkreisen zu erfahren ist, kräftig rumpeln. Die Vorstände von Siemens Energy schließen einen Job-Abbau nicht aus. Gerade tüfteln sie an Plänen, wie das Unternehmen aufgestellt werden soll. Es zeichnet sich reichlich Konflikt-Potenzial mit den Arbeitnehmer-Vertretern ab. Kaeser erwarten also als oberster Aufseher des Unternehmens unruhige Zeiten. Er mische sich aber zur Überraschung vieler, heißt es hinter den Siemens-Kulissen, nicht direkt in das Tagesgeschäft des Vorstands ein, was ein Aufsichtsrat auch partout nicht tun sollte.
Dennoch wird auch der langjährige Konzern-Chef mit Kritik leben müssen, wenn gerade an ostdeutschen Standorten Umstrukturierungen und der Abbau von Arbeitsplätzen anstehen sollten. Hier bezog
Kaeser bereits in der Vergangenheit Prügel, schließlich wollte er in Ostdeutschland das Werk im strukturschwachen Görlitz schließen. Der Aufschrei war groß. Der damalige SPD-Chef Martin Schulz nannte Kaesers Pläne „asozial“.
Der Siemens-Chef keilte zurück und sollte doch, was typisch für ihn ist, umdenken und einen Kompromiss mit den Beschäftigtenvertretern suchen. Manch ArbeitnehmerMann erlebte zu der Zeit die Wandlung des harten „Joe“in einen einfühlsameren „Josef“, der in seiner niederbayerischen Heimat nach wie vor Sepp genannt wird.
Der Siemens-Matador zog einst für das Unternehmen als Josef Käser in die USA, benannte sich dort in Joe Kaeser um, was Amerikaner leichter aussprechen können. Zurück in Deutschland behielt der Bayer den griffigeren Namen bei. Seine Rückverwandlung vom Joe zum Josef führte dazu, dass der Standort in Görlitz nicht dichtgemacht wurde.
Es wäre sonderbar gewesen, wenn ausgerechnet Kaeser, der twitternd gegen ausländerfeindliche Tendenzen in der AfD („Lieber
Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel“) stichelt, der rechtsgerichteten Partei in Ostdeutschland mit massiven Job-Einschnitten populistisches Extra-Futter vor die Haustür stellt. In dem Siemensianer steckte zumindest in der zweiten Hälfte seiner Regentschaft mehr einsichtiger Josef als zackiger Joe, gerade wenn es um das Gedeihen des von ihm hochgeschätzten sozialen Friedens in einer Demokratie geht.
Werte wie Weltoffenheit und Toleranz liegen dem weit in der Welt herumgekommenen Manager besonders am Herzen, daher hat er sich twitternd mit AfD-Fraktionschefin Alice Weidel angelegt: „Das war ein Tweet gegen eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die in schrillen Tönen eine ausgrenzende, diffamierende und diskriminierende Rede hielt. Der Bundesadler als Synonym für Deutschland war immer im TV-Bild zu sehen.“Das könne im Ausland eine fatale Wirkung haben, sorgte er sich.
Deswegen wollte Kaeser, der in solchen Momenten ernst und grimmig schauen kann, nicht schweigen, auch wenn er und seine Töchter wegen solcher Meinungsbeiträge bedroht wurden. Unserer Redaktion verriet er im Interview, sein Lebensmotto sei: „Wehret den Anfängen.“Was das Thema, also sein Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus betrifft, ist Kaeser ein aufrichtiger Josef, der es nicht vergisst, dass sein Onkel von den Nazis im Konzentrationslager Mauthausen ermordet wurde.
Mit der schnellen Twitterei steigt indes die Fehleranfälligkeit. Da geht schon einmal der angriffs- und spottlustige Joe mit einem durch.
Kaeser zeigt sich hier wiederum einsichtig. Er bereut es heute, TeslaChef Elon Musk kurz und happig als „kiffenden Kollegen“durchgezogen zu haben, der von Peterchens Mondfahrt spreche.
Auch wenn der Amerikaner, den der Deutsche seit den 90er Jahren gut kennt, das spaßig-ruppig nahm, hadert Kaeser dennoch mit sich, weil sein Nachfolger Roland Busch, ein 56-jähriger seine Worte durch und durch sorgsam abwägender Franke, zuvor nach einem Treffen mit Musk diesen als „wahren Visionär unserer Zeit“geadelt hatte. Kaeser verzeiht es sich nur schwer, dass mit seinem Kiffer-Tweet bei Beobachtern der Eindruck entstanden sein könnte, der Siemens-Chef und sein Nachfolger seien unterschiedlicher Meinung.
Manchmal ist kein Tweet eben der bessere Tweet und einer schon einer zu viel. Kaeser juckt es aber immer wieder. Er ist ein politischer Kopf, was manchen glauben lässt, ihn ziehe es irgendwann in die politische Arena. Doch der Manager hält sich dafür nicht geeignet. Kaeser zeigt ein umso besseres Händchen für den Kapitalmarkt. Im aufreibenden Spannungsfeld zwischen Mensch und Marge verstand er es geschickter als seine Vorgänger, die Aktionäre zufriedenzustellen.
Heinrich von Pierer, zwischen 1992 und 2005 Chef des Konzerns, äußert sich gegenüber unserer Redaktion zwar nicht zur Bilanz von Kaeser, er stellt aber allgemein fest: „Der Druck der Finanzmärkte wurde immer größer.“Der 80-Jährige erinnert sich an die Zeiten am Anfang seiner Ära als Siemens-Chef, als er „nicht mit dem Aktienkurs konfrontiert war“. Darum habe sich der Finanzvorstand gekümmert. Doch auch von Pierer musste miterleben, wie sich das „radikal verändert hat“.
Kaeser verhinderte mit guten Ergebnissen, immer besseren Aktienkursen und auch den von Investoren hartnäckig eingeforderten Abspaltungen, dass Siemens nicht wie etwa ThyssenKrupp von aktivistischen Investoren angegriffen wird. In der Frage Mensch oder Marge entschied er sich für Mensch und Marge.
Der Manager räumt jede Menge Fehler ein
Er nannte Elon Musk einen „kiffenden Kollegen“