Guenzburger Zeitung

Organisier­te Umständlic­hkeit

Debatte Schlechte Ausstattun­g, träge Apparate, ausufernde Bürokratie: In der Krise stoßen viele Ämter und Behörden an Grenzen. Stiehlt die Politik sich aus der Verantwort­ung?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Jens Spahn klang, als habe er gerade halb Deutschlan­d persönlich geimpft. Seit 1. Januar, schwärmte der Gesundheit­sminister, übermittel­ten alle Labore ihre Testergebn­isse den Gesundheit­sämtern auf elektronis­chem Wege. „Nicht mehr per Fax, sondern per Knopfdruck.“Was er als Fortschrit­t im Kampf gegen die Pandemie pries, war in Wirklichke­it jedoch ein Eingeständ­nis des Scheiterns: Auch im 21. Jahrhunder­t, mitten in der digitalen Zeitenwend­e, stehen in deutschen Behörden noch Faxgeräte!

So unfreiwill­ig komisch diese Vorstellun­g ist, so gefährlich ist diese Rückständi­gkeit jetzt. Ein Land, das bisher für seine sprichwört­liche Gründlichk­eit und sein Organisati­onstalent gerühmt wurde, zeigt ausgerechn­et in seinem Innersten die größten Schwächen – in der öffentlich­en Verwaltung. Während ein Unternehme­n wie Biontech binnen weniger Monate einen hochkomple­xen Impfstoff auf den Markt bringen konnte, wurden in den Gesundheit­sämtern bis vor kurzem noch Daten per Hand aus gefaxten Tabellen in die Computer Und während heute schon Grundschul­kinder wie selbstvers­tändlich mit einem Tablet umgehen, ist es der deutschen Kultusbüro­kratie noch immer nicht gelungen, jedem Lehrer eine eigene Mailadress­e einzuricht­en.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Mit den Kindern, die versehentl­ich Gutscheine für FFP2Masken zugeschick­t bekommen, während ihre Großeltern noch auf genau jene Gutscheine warten. Mit den Testpannen im September, als 10 000 Menschen in Bayern viel zu lange auf ihre Ergebnisse warten mussten. Oder mit den Novemberhi­lfen für Unternehme­n und Selbststän­dige, die als unbürokrat­ische Soforthilf­e angekündig­t wurden, deren Auszahlung allerdings erst im Januar begann. „Die Schnelligk­eit unseres Handelns lässt sehr zu wünschen übrig“, räumt sogar die Kanzlerin ein. Dass sie selbst (und ihre Regierung) dafür ein großes Maß an Mitverantw­ortung trägt, sagt sie natürlich nicht. Schuld sind im Zweifel stets die anderen.

Schonungsl­os hat die CoronaKris­e die Schwachste­llen des föderalist­ischen Staates offengeleg­t. Das Prinzip der Subsidiari­tät, nach dem möglichst viele öffentlich­e Aufgaben bürgernah auf der niedrigste­n politische­n Ebene geregelt werden sollen, führt Deutschlan­d gerade ad absurdum. Statt Verantwort­ung zu übernehmen, zum Beispiel als Bundesregi­erung, wird Verantwort­ung einfach von oben nach unten wegdelegie­rt: An die Bürgermeis­ter und Landräte, die ein funktionie­rendes Test- und Impfmanage­ment organisier­en müssen und damit oft überforder­t sind. An die Betreiber der Alten- und Pflegeheim­e,

die Hygienekon­zepte erarbeiten und Schnelltes­ts heranschaf­fen sollen, gleichzeit­ig aber an finanziell­e und personelle Grenzen stoßen. An viele Menschen jenseits der 80, die weder Computer noch Smartphone besitzen, sich nun aber mit QR-Codes in Testzentre­n einfinden sollen oder per Mail einen Impftermin beantragen müssen.

Ja, wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht – und ja, viele Beamte und Angestellt­e im Öffentlich­en Dienst arbeiten seit Monaten weit über ihr Soll hinaus. Das aber ändert nichts an den struktuein­gegeben. rellen Problemen der staatliche­n Verwaltung, an ihrer oft steinzeitl­ichen digitalen Ausstattun­g, an der Trägheit der Apparate, der mangelnden Vernetzthe­it und der ausufernde­n Bürokratie. Neun von zehn Mittelstän­dlern macht der Verwaltung­saufwand nach einer Umfrage aus dem Dezember mehr Sorgen als die Corona-Krise selbst.

Für die so zäh angelaufen­e Impfkampag­ne bedeutet das jenseits aller Debatten über den stockenden

Nachschub nichts Gutes. Auch hier hinkt Deutschlan­d mit seiner organisier­ten Umständlic­hkeit anderen EU-Ländern, die auf ihre Einwohnerz­ahl umgerechne­t genauso viel Impfstoff bekommen haben, schon weit hinterher – Rumänien, Polen, Litauen oder Kroatien etwa impfen deutlich schneller.

Die Probleme vom Bürger her zu denken, nicht aus der Binnensich­t der Behörde – das sollte gerade in Krisenzeit­en eine Verwaltung leiten. „Auf jeder Ebene“, klagt der Fraktionsc­hef der Union, Ralph Brinkhaus, „haben wir zu oft Bedenkenbe­hörden statt Ermöglichu­ngsbehörde­n.“Warum, zum Beispiel, gelingt es den Gesundheit­sämtern noch immer nicht, auch am Wochenende verlässlic­he Infektions­zahlen zu liefern? Weil freitags um eins noch immer jeder seins macht? Oder fehlt es einigen Behörden (und den für sie verantwort­lichen Politikern) noch immer am Problembew­usstsein? In Berlin, zum Beispiel, will die SPD jetzt die Reinigung von Schultoile­tten wieder zur hoheitlich­en öffentlich­en Aufgabe machen – als hätte das Land keine anderen Sorgen. Fehlt nur noch, dass der staatliche Putzdienst seine Aufträge per Fax erhält.

Für die Impfkampag­ne bedeutet das nichts Gutes

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Foto: Silvio Wyszengrad Amtshilfe: Ein Soldat im Augsburger Ge‰ sundheitsa­mt.

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