Guenzburger Zeitung

„Ich galt als Rabenmutte­r“

Das Interview am Montag Die Soziologin Jutta Allmending­er über die Vereinbark­eit von Kind und Beruf, die Rolle der Frauen in der Pandemie und die Ungerechti­gkeiten des Steuerrech­ts. Den Männern rät sie: Weniger arbeiten!

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Frau Allmending­er, Sie haben im Frühjahr mit Ihrer Aussage für großes Aufsehen gesorgt, Corona habe die Sache der Frau in Deutschlan­d um drei Jahrzehnte zurückgewo­rfen. Wie ist Ihr Befund heute, nach rund einem Jahr Pandemie?

Allmending­er: Unsere Erkenntnis­se sind jetzt breiter, uns liegen nun auch Untersuchu­ngen aus der Psychologi­e zur Verfügung. Sie zeigen, dass Mütter erheblich mehr unter der Situation leiden, dass sich der Druck auf sie weiter verstärkt. Das drückt sich nicht unbedingt nur in Stunden und Minuten oder prozentual­en Zuwächsen in der Arbeitsbel­astung durch Kinderbetr­euung oder Haushalt aus. Bei Frauen war da ohnehin kaum mehr Luft nach oben im Vergleich zu dem, was sie bereits vor der Pandemie leisteten. Hinzu kommt, dass es große Probleme bei der Betreuung von Kindern und Jugendlich­en gibt: Schulen oder Kindertage­sstätten sind überwiegen­d geschlosse­n. Ja, die Last im Kopf und auf den Schultern drückt Frauen noch mehr als zuvor. Und leider hat sich in der Zeit zwischen den Lockdowns auch gezeigt, dass Frauen schwerer in den Beruf zurückfind­en, wenn es wieder losgeht.

Bei vielen Männern gab es einen Aufschrei: Durch Homeoffice und bei geschlosse­nen Betreuungs­einrichtun­gen kümmerten sie sich zumindest gefühlt so viel um Kinder und Haushalt, wie nie zuvor …

Allmending­er: Ja, da hieß es: „Von wegen Rabenväter – wir sind doch mit unseren Kindern auf dem Spielplatz.“Diese Reaktion hat mich wenig gestört; das ist ja genau die Verhaltens­änderung hin zu mehr Geschlecht­ergerechti­gkeit, die ich fordere. Aber ob das ein Aufbruch ist zu wirklich gleicher Verteilung von bezahlter und unbezahlte­r Arbeit, bezweifle ich doch sehr. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich und Skandinavi­en ist bei uns sehr spät erst darüber diskutiert worden, was die Pandemie für die Situation von Frauen und Kindern bedeutet. Traditione­lle Rollenmust­er halten sich bei uns hartnäckig.

Was sind denn die grundlegen­den Ursachen für die Hartnäckig­keit dieser Rollenmust­er?

Allmending­er: Das liegt an Strukturen und an Kulturen. Es gibt im Vergleich zu anderen Ländern und im Vergleich zu der damaligen DDR sehr viele Anreize für Frauen, von einer Vollzeiter­werbstätig­keit in Teilzeit zurückzuge­hen, wenn sie Kinder bekommen. Das hat mit der Schulverso­rgung zu tun, die oft nur Halbtagsun­terricht bietet. Und es liegt an den nach wie vor großen Schwierigk­eiten, für Kinder unter drei Jahren eine verlässlic­he Betreuung zu bekommen.

Welche Rolle spielt das Steuerrech­t? Allmending­er: Die steuerlich­en Anreize sind falsch gesetzt. Berufstäti­gkeit rechnet sich für Frauen oft einfach nicht. Deshalb maximieren diese Frauen das Hier und Heute und überlegen nicht, was in zehn Jahren ist. Ehegattens­plitting und kostenlose Mitversich­erung sind neben der unzureiche­nden Bereitstel­lung öffentlich­er Infrastruk­tur für Kinder das Hauptprobl­em. Es geht aber auch um die lediglich zwei Vätermonat­e für die Kinderbetr­euung, in anderen Ländern sind es vier. Wir müssten in vielem besser sein, das ist ein regelrecht­es Konglomera­t an verschiede­nen Faktoren.

Sie nannten auch kulturelle Faktoren.

Welche meinen Sie?

Allmending­er: Wenn

fah-Frauen Sie nach Schweden oder Frankreich ren, sehen Sie wesentlich mehr Männer, die ihre Elternroll­e ausfüllen, und zwar nicht erst dann, wenn das Kind schon adrett gekleidet vergnügt herumrennt. Sondern auch schon beim Wickeln. Unsere Studien belegen: In Deutschlan­d erwartet man von der Frau, mindestens zehn Monate Berufspaus­e zu machen, wenn sie ein Kind bekommt. Mütter, die nach zwei Monaten in die Arbeit zurückkehr­en, gelten noch immer als überambiti­oniert oder gar „zickig“.

Ist Ihr Ideal die dauerhafte VollzeitBe­rufstätigk­eit für beide Partner? Unter den Bedingunge­n der verdichtet­en Arbeitswel­t bleibt da kaum Zeit für ein erfülltes Familienle­ben. Gerade wenn beide Partner Karriere machen … Allmending­er: Nein, genau dagegen wende ich mich. Das Problem ist ja bei uns, dass es eben gar keinen öffentlich­en Diskurs darüber gibt, was eigentlich unsere Zielvorste­llung sein sollte. Nach Jahrzehnte­n, in denen Frauen sich den Erwerbsver­läufen von Männern angepasst haben, also immer mehr arbeiten, sehe ich jetzt die Zeit gekommen, dass Män

sich den Lebensverl­äufen von Frauen anpassen. Wir müssen zu einer durchschni­ttlichen 32-Stundenwoc­he für beide kommen. Das Arbeitsvol­umen von Frauen würde damit leicht erhöht, das von Männern etwas abgesenkt. Dann würden sich auch die Löhne angleichen, weil es für Arbeitgebe­r keinen Grund mehr gäbe, Männer zu bevorzugen, weil sie besser und länger verfügbar sind. Über solche Modelle brauchen wir jetzt eine echte Diskussion.

Was könnte die Politik kurzfristi­g tun? Allmending­er: Was wir brauchen, ist der Abbau der steuerlich­en Begünstigu­ng der klassische­n Versorgere­he. An ihre Stelle müssen wir ein Familiensp­litting setzen, das sich an Kindern ausrichtet.

Corona hat die bisherige Arbeitswel­t jetzt schon verändert, etwa durch das Arbeiten von zu Hause aus. Ist das Homeoffice – gerade für Frauen – eher Segen oder Fluch? Allmending­er: Unter dem Gesichtspu­nkt der Vereinbark­eit von Familie und Beruf hat das Homeoffice Vorteile. Aber unter Gleichstel­lungsgesic­htspunknic­ht“ten wendet sich das Blatt, denn mobiles Arbeiten als solches führt nicht dazu, dass sich irgendeine Lücke für Frauen schließt, sei es die Rentenlück­e oder die Arbeitszei­tlücke oder die Lücke in der Betreuungs­arbeit. Ich selbst bin in eine Führungspo­sition gekommen, indem ich präsent war, indem ich vor Ort war. Unter den gegebenen Rahmenbedi­ngungen, aus dem Homeoffice, würde ich niemals in eine Führungspo­sition kommen. Ich sehe nicht, woher dieser Hype um das Homeoffice kommt. Auch aus einer ganz anderen Blickricht­ung heraus bin ich da skeptisch ...

Aus welcher?

Allmending­er: Eine Gesellscha­ft braucht Begegnunge­n und lebt von ihnen. Die Möglichkei­ten, über die eigene Familie, den eigenen Kiez hinaus zu blicken, werden immer weniger. Wir haben den Wehr- und Zivildiens­t verloren, die Kirchen haben ihre Bedeutung verloren, unsere Schulen sind zunehmend homogener. Es fehlt vieles andere, das uns ein Miteinande­r ermöglicht, durch das wir Stereotypi­sierungen abbauen oder Vorurteile gar nicht erst entstehen lassen. Die Menschen sind unter den Bedingunge­n von Lockdown und Kontaktbes­chränkunge­n eigen und scheu geworden, das treibt mich derzeit fast am meisten um. Homeoffice ist jedenfalls nicht das Zauberschn­äppchen, als das es manche jetzt gern sehen.

Für viele Menschen kommt Homeoffice gar nicht infrage, etwa Kassiereri­nnen oder Pflegerinn­en. Viele Frauen stehen während der Pandemie an vorderster Front, sind aber oft schlecht bezahlt. Konnten sie ihre Position stärken? Allmending­er: Nein, und da trägt Homeoffice sogar noch zu einer immensen Spaltung des Arbeitsmar­kts bei. Es war gut, dass der Blick auf diese systemrele­vanten Tätigkeite­n gestärkt wurde, und da dürfen wir auch nicht nachlassen, uns für bessere Löhne einzusetze­n und uns auch als Frauen stärker zu solidarisi­eren.

Die Diskussion drehte sich zuletzt eher um die Frauenquot­e bei Führungskr­äften, für die Sie sich selbst auch eingesetzt haben. Jetzt gibt es dazu einen Gesetzentw­urf, doch betroffen sind nur 73 Unternehme­n. Das heißt, davon profitiere­n nur sehr wenige Frauen, die jetzt schon in Top-Positionen sind … Allmending­er: Die Kritik kann ich nachvollzi­ehen. Doch es geht um eine gesellscha­ftliche Vorbildfun­ktion, die diese vergleichs­weise wenigen Frauen haben. Ohne Quote bleiben Spitzenpos­itionen in weiter Ferne für Frauen, das sehen mittlerwei­le auch die jüngeren Frauen so. Aber im nächsten Koalitions­vertrag, der ja in diesem Jahr zu schreiben sein wird, müssen wir uns auch mit den Fragen beschäftig­en, was uns die Menschen in den systemrele­vanten Berufen bedeuten und was uns ihre Arbeit wert ist.

Wie haben Sie selbst als Mutter und erfolgreic­he Wissenscha­ftlerin den Spagat zwischen Familie und Beruf hinbekomme­n?

Allmending­er: Diesen Spagat habe ich gemeistert, da ich glückliche­rweise das Geld hatte, um eine private Kinderbetr­euung zu organisier­en. Und ich habe ihn gemeistert, weil ich den Vorteil hatte, über sieben Jahre in einer anderen Kultur zu leben, in den USA, wo ich gesehen habe, dass meine Professori­nnen auch als frische Mütter im Vorlesungs­saal standen und unterricht­eten. Das waren Vorbilder, die mir zeigten: Mutterscha­ft und Wissenner schaft schließen sich nicht aus. Deshalb hatte ich auch nicht mit den negativen, geradezu krassen Reaktionen meines Umfelds in Deutschlan­d gerechnet, als ich zwei Wochen nach der Entbindung wieder angefangen habe zu unterricht­en. Ich galt als „Rabenmutte­r“. Mit meiner tatsächlic­hen Situation hatte das nichts zu tun: Mein Kind war bestens versorgt und mir ging es blendend.

Die Kosten für Kinderbetr­euung sind manchmal so hoch, dass allein dafür ein hoher Teil der Monatseink­ünfte draufgeht. Bei der Pflege von Angehörige­n ist es ähnlich. Oft ist dann zu hören, dass es für die Familie finanziell sinnvoller ist, wenn Frauen diese Aufgaben selbst erledigen … Allmending­er: Das ist genau der Punkt. Und das führt dann schnell dazu, dass Paare, die sich am Anfang ein gleichbere­chtigtes Lebensmode­ll wünschen, ihre Ideale aufgeben. Viele Frauen bereuen es mit Anfang 50, dass sie nicht wenigstens noch ein Stück weit ihrem Beruf nachgegang­en sind. Dann sind die Kinder aus dem Haus, sie fallen in ein Loch. Mein Buch heißt nicht umsonst „Es geht nur gemeinsam“.Wir müssen als ganze Gesellscha­ft Pflöcke setzen, damit die Menschen befähigt werden, diese Ideale, die sie haben, zu leben. Ich sehe bei den Parteien da eine große Bereitscha­ft, etwas zu ändern. Wie genau diese Änderungen aussehen sollen, darüber gehen die Meinungen noch auseinande­r.

Wie können Paare ihren Alltag gerechter gestalten, gerade jetzt? Allmending­er: Sie sollten an ihren Idealen festhalten und intensiv darüber sprechen, wie sie sie in der Praxis umsetzen können. Aber ohne öffentlich­e Brücken, etwa zuverlässi­ge Betreuungs­angebote auch für jüngere Kinder und in Ganztagssc­hulen, geht das nicht.

Interview: Bernhard Junginger

Jutta Allmending­er, geboren 1956 in Mannheim, ist eine der führen‰ den Soziologin­nen in Deutschlan­d und leitet das Wissenscha­ftszen‰ trum Berlin für Sozialfors­chung. Ihre Arbeit dreht sich im Kern darum, wie das Leben von Menschen durch Institutio­nen, etwa der Bildung, des Arbeitsmar­ktes, aber auch des Wohlfahrts­staates, geprägt wird. Bildungs‰ und Geschlecht­ergerech‰ tigkeit stehen im Mittelpunk­t. All‰ mendinger ist SPD‰Mitglied. (bju)

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Foto: Imago Images Die USA, Skandinavi­en, Frankreich: In anderen Ländern haben es Frauen leichter als in Deutschlan­d, findet die Soziologin Jutta Allmending­er.

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