Guenzburger Zeitung

Türkische Polizei blockiert Abschiebun­g aus Bayern

Iranischer Flüchtling erhält in Istanbul überrasche­nd Hilfe. Vor allem die Begründung ist erstaunlic­h

- VON STEFANIE SCHOENE

Istanbul/Eichstätt Völlig überrasche­nde Entwicklun­g im Fall Ebrahim Jenekanlo. Der Abschiebeh­äftling ist wieder zurück. Türkische Polizisten sollten ihn am Freitagnac­hmittag in Istanbul in ihre Obhut nehmen und ihn noch in der Nacht im Auftrag der Bundespoli­zei in eine Maschine nach Teheran setzen. Doch die Beamten am Flughafen Atatürk verweigert­en die Kooperatio­n. Offenbar aus humanitäre­n Gründen blockierte­n sie das Vorhaben und schickten die fünf Bundespoli­zisten mit Jenekanlo am Samstag retour nach Frankfurt.

Jenekanlo ist seit 2010 in Deutschlan­d, lebt und arbeitet im oberpfälzi­schen Weiden. Sein sechster Asylantrag wurde im September 2020 abgelehnt, er wurde ausreisepf­lichtig. Kurz darauf ordnete das Amtsgerich­t Weiden Sicherungs­haft an, die vom Landgerich­t kassiert wurde. Am 14. Januar erließ das Amtsgerich­t erneut Haftbeschl­uss, noch am selben Tag nahm ihn die Polizei in seiner Unterkunft fest und brachte ihn zur Abschiebeh­aftanstalt Eichstätt.

Noch am Donnerstag konnte er aus der Haft mit unserer Redaktion telefonier­en. Die Stimme brüchig, erzählte der 33-Jährige noch einmal seine dramatisch­e Flucht aus seiner Heimat. Er und seine Familie befürchten, dass sein Name in Teheran unmittelba­r zur Verhaftung führt. „Es könnte sein, dass ich die Todesstraf­e bekomme“, erklärt er. Tatsächlic­h sind, wie die iranische Menschenre­chtsorgani­sation Hengaw berichtet, in Iran allein im Januar 120 Todesurtei­le vollstreck­t worden, darunter 30 an Kurden.

Wie aus dem Protokoll seines ersten Asylantrag­s 2010, das der Redaktion vorliegt, hervorgeht, gehört er einer offenbar bekannten kurdischen Großfamili­e in Nordwest-Iran an, die seit der Islamische­n Revolution Anfang der 80er in Konflikt mit dem Regime steht. Ein Onkel sei erschossen worden, zwei Brüder in langjährig­er Haft, einer von ihnen sitze nach

Folter im Rollstuhl. Ein weiterer Bruder erhielt in Finnland Asyl, der vierte floh in den Irak. Eine Cousine sei kürzlich zu langer Haft verurteilt worden, berichtet Jenekanlo.

Seine eigene Flucht begann, als die Polizei im April 2010 Grundstück­e seiner Familie beschlagna­hmte, um eine Garnison zu bauen. Die Familie hielt das für illegal, es kam zur Auseinande­rsetzung. Jenekanlo wurde für eine Woche in Polizeigew­ahrsam genommen. Als die Polizei das Dorf durchsucht­e, nahm er Reißaus. Zunächst

in die Türkei, dann weiter nach Deutschlan­d. „Wenn Deutschlan­d mich zurückschi­ckt, bin ich eigentlich schon tot“, sagt Jenekanlo.

Der Eilantrag seines Anwalts beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) mit neuen Hinweisen auf die drohende Gefahr wurde vergangene Woche abgelehnt. Eine Petition liegt noch beim Petitionsa­usschuss des Landtags. Hinter den Kulissen bemühten sich Amnesty, der bayerische Flüchtling­srat und der evangelisc­he Landesbisc­hof, Heinrich Bedford-Strohm, um Aufschub. Bedford-Strohm telefonier­te zwei Mal, zuletzt am Tag der Abschiebun­g, mit Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU). „Die Nachfrage des Landesbisc­hofs beim Innenminis­ter und die nochmalige Prüfung des Falls dort hat leider zu keinem anderen Ergebnis geführt“, erklärt ein Sprecher mit Bedauern.

Dass die türkische Polizei dem bayerische­n Innenminis­terium einen Strich durch die Rechnung machte, ist ungewöhnli­ch. Während Jenekanlo

sich Freitagnac­ht in einer Zelle im abgesperrt­en Polizeiber­eich des Istanbuler Großflugha­fens befand, telefonier­te er mit einem Freund aus Weiden, Mehmet Adana. „Er hat den türkischen Polizisten von einem Kommissar in Izmir erzählt, den er 2010 kennengele­rnt hatte und der ihm glaubte“, berichtet dieser unserer Redaktion. Daraufhin sollen die türkischen Polizisten den Kommissar ausfindig gemacht haben, der die Informatio­nen bestätigte. „Sie meinten, das sei jetzt zu gefährlich, sie würden ihn nicht weiterreis­en lassen. Adana ist fassungslo­s. „Ebrahim konnte die türkischen Polizisten überzeugen, aber deutsche Behörden schenkten ihm zehn Jahre lang keinen Glauben. Wie geht das?“

Cemal Bozoglu, Landtagsab­geordneter und Beauftragt­er für Asyl und Migration der Grünen-Fraktion, fordert, dass das Innenminis­terium das Abschiebev­orhaben erst einmal ausgesetzt. Das Ministeriu­m war am Wochenende für eine Stellungna­hme nicht erreichbar.

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Foto: Archiv Die Türkei hat die Abschiebun­g von Ebrahim Jenekanlo gestoppt.

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