Türkische Polizei blockiert Abschiebung aus Bayern
Iranischer Flüchtling erhält in Istanbul überraschend Hilfe. Vor allem die Begründung ist erstaunlich
Istanbul/Eichstätt Völlig überraschende Entwicklung im Fall Ebrahim Jenekanlo. Der Abschiebehäftling ist wieder zurück. Türkische Polizisten sollten ihn am Freitagnachmittag in Istanbul in ihre Obhut nehmen und ihn noch in der Nacht im Auftrag der Bundespolizei in eine Maschine nach Teheran setzen. Doch die Beamten am Flughafen Atatürk verweigerten die Kooperation. Offenbar aus humanitären Gründen blockierten sie das Vorhaben und schickten die fünf Bundespolizisten mit Jenekanlo am Samstag retour nach Frankfurt.
Jenekanlo ist seit 2010 in Deutschland, lebt und arbeitet im oberpfälzischen Weiden. Sein sechster Asylantrag wurde im September 2020 abgelehnt, er wurde ausreisepflichtig. Kurz darauf ordnete das Amtsgericht Weiden Sicherungshaft an, die vom Landgericht kassiert wurde. Am 14. Januar erließ das Amtsgericht erneut Haftbeschluss, noch am selben Tag nahm ihn die Polizei in seiner Unterkunft fest und brachte ihn zur Abschiebehaftanstalt Eichstätt.
Noch am Donnerstag konnte er aus der Haft mit unserer Redaktion telefonieren. Die Stimme brüchig, erzählte der 33-Jährige noch einmal seine dramatische Flucht aus seiner Heimat. Er und seine Familie befürchten, dass sein Name in Teheran unmittelbar zur Verhaftung führt. „Es könnte sein, dass ich die Todesstrafe bekomme“, erklärt er. Tatsächlich sind, wie die iranische Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtet, in Iran allein im Januar 120 Todesurteile vollstreckt worden, darunter 30 an Kurden.
Wie aus dem Protokoll seines ersten Asylantrags 2010, das der Redaktion vorliegt, hervorgeht, gehört er einer offenbar bekannten kurdischen Großfamilie in Nordwest-Iran an, die seit der Islamischen Revolution Anfang der 80er in Konflikt mit dem Regime steht. Ein Onkel sei erschossen worden, zwei Brüder in langjähriger Haft, einer von ihnen sitze nach
Folter im Rollstuhl. Ein weiterer Bruder erhielt in Finnland Asyl, der vierte floh in den Irak. Eine Cousine sei kürzlich zu langer Haft verurteilt worden, berichtet Jenekanlo.
Seine eigene Flucht begann, als die Polizei im April 2010 Grundstücke seiner Familie beschlagnahmte, um eine Garnison zu bauen. Die Familie hielt das für illegal, es kam zur Auseinandersetzung. Jenekanlo wurde für eine Woche in Polizeigewahrsam genommen. Als die Polizei das Dorf durchsuchte, nahm er Reißaus. Zunächst
in die Türkei, dann weiter nach Deutschland. „Wenn Deutschland mich zurückschickt, bin ich eigentlich schon tot“, sagt Jenekanlo.
Der Eilantrag seines Anwalts beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit neuen Hinweisen auf die drohende Gefahr wurde vergangene Woche abgelehnt. Eine Petition liegt noch beim Petitionsausschuss des Landtags. Hinter den Kulissen bemühten sich Amnesty, der bayerische Flüchtlingsrat und der evangelische Landesbischof, Heinrich Bedford-Strohm, um Aufschub. Bedford-Strohm telefonierte zwei Mal, zuletzt am Tag der Abschiebung, mit Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Die Nachfrage des Landesbischofs beim Innenminister und die nochmalige Prüfung des Falls dort hat leider zu keinem anderen Ergebnis geführt“, erklärt ein Sprecher mit Bedauern.
Dass die türkische Polizei dem bayerischen Innenministerium einen Strich durch die Rechnung machte, ist ungewöhnlich. Während Jenekanlo
sich Freitagnacht in einer Zelle im abgesperrten Polizeibereich des Istanbuler Großflughafens befand, telefonierte er mit einem Freund aus Weiden, Mehmet Adana. „Er hat den türkischen Polizisten von einem Kommissar in Izmir erzählt, den er 2010 kennengelernt hatte und der ihm glaubte“, berichtet dieser unserer Redaktion. Daraufhin sollen die türkischen Polizisten den Kommissar ausfindig gemacht haben, der die Informationen bestätigte. „Sie meinten, das sei jetzt zu gefährlich, sie würden ihn nicht weiterreisen lassen. Adana ist fassungslos. „Ebrahim konnte die türkischen Polizisten überzeugen, aber deutsche Behörden schenkten ihm zehn Jahre lang keinen Glauben. Wie geht das?“
Cemal Bozoglu, Landtagsabgeordneter und Beauftragter für Asyl und Migration der Grünen-Fraktion, fordert, dass das Innenministerium das Abschiebevorhaben erst einmal ausgesetzt. Das Ministerium war am Wochenende für eine Stellungnahme nicht erreichbar.