Guenzburger Zeitung

Impfnarben als Blickfang

- VON ERICH PAWLU redaktion@guenzburge­r‰zeitung.de

Alles verändert sich. Wer früher „einen Stich“hatte, war für das gesellscha­ftliche Leben verloren. Heute muss jeder einen Stich haben. Nämlich einen Nadelstich in den Oberarm. Wer bereits eine Dosis Biontech, Moderna oder AstraZenec­a in sich trägt, gilt als ideal gereinigte­r Mensch und Hoffnungst­räger. Seine verbessert­e Überlebens­chance löst bei impfwillig­en Stichkandi­daten Bewunderun­g oder Neid aus.

Darin aber liegt das Problem. In der Corona-Abwehrschl­acht entsteht eine ganz neue Zwei-KlassenGes­ellschaft. Millionen Menschen profitiere­n vom impfgestüt­zten Aufstieg, Millionen andere fühlen sich als Zukurzgeko­mmene. Die impfbereit­en Ungeimpfte­n hoffen auf die baldige Lieferung einer ausreichen­den Zahl von Impfdosen, auf wachsende Leistungsk­raft der Impfzentre­n und vor allem auf den persönlich­en Nadelstich in den Oberarm.

Denn sie wollen wenigstens als Spätgeimpf­te im Impfglück beben und dabei so angenehm auffallen wie die Kassiereri­n Maria Magdalena in Oskar Panizzas Erzählung „Golgatha“. Diese Gestalt verbreitet als mehrfach Geimpfte großen Glanz: „Ihre nackten Arme, auf denen wunderschö­n geheilte Impfnarben zu sehen waren, zitterten heftig; man wußte nicht vor Erregung, oder wegen der nasskalten Luft.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany