Guenzburger Zeitung

„Wir brauchen einen Pakt für bezahlbare­s Wohnen“Gastbeitra­g

Der frühere SPD-Vorsitzend­e Hans-Jochen Vogel wäre heute 95 geworden. Seine Mahnung wider die Bodenspeku­lation muss für die Sozialdemo­kratie der Auftrag für die Zukunft sein

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Hans-Jochen Vogel, der im Sommer des vergangene­n Jahres gestorben ist, wäre am heutigen 3. Februar 95 Jahre alt geworden. Als ich ihn vor einem Jahr in München besucht und ihm zum 94. Geburtstag gratuliert habe, war ich tief beeindruck­t, wie dieser an Jahren alte Mann allen körperlich­en Malaisen zum Trotz hellwach, präzise und bestens informiert war. Ein Thema trieb ihn buchstäbli­ch bis zu seinem letzten Atemzug besonders um, und er hat es der SPD als Erbe vermacht: Wie können wir durch verantwort­ungsvolle Politik dafür sorgen, dass alle Menschen eine Wohnung bekommen, die ihren Bedürfniss­en entspricht und die sie bezahlen können?

Er wollte, dass die SPD die Frage bezahlbare­n Wohnens zu einem ihrer wichtigste­n Anliegen machen und gemeinsam mit anderen gesellscha­ftlichen Kräften für praktische Veränderun­gen sorgen soll. Das habe ich ihm versproche­n. Die SPD wird in ihrem Programm für die Bundestags­wahl konkrete Vorschläge machen.

Hans-Jochen Vogel hatte einen klaren Kompass: Alle Menschen haben nicht nur gleiche Rechte, sondern müssen auch die gleiche Chance haben, ihr Leben nach den eigenen Vorstellun­gen zu gestalten. Das gelingt nur in einer solidarisc­hen Gesellscha­ft mit einem Staat, der alle drei Aufträge unseres

Grundgeset­zes gleicherma­ßen ernst nimmt: Demokratie, Rechtsstaa­t und Sozialstaa­t. Als ich ihn im letzten Jahr besucht habe, sprachen wir über seine Vorschläge, wie das Bodenrecht geändert und die Sozialbind­ung des Eigentums, die soziale Verpflicht­ung der Eigentümer durchgeset­zt werden kann.

Spekulatio­n mit Grund und Boden führt dazu, dass Wohnungen für immer mehr Menschen in den großen Städten, aber inzwischen auch in vielen mittleren und kleineren Städten unbezahlba­r werden. Immer wieder hat er darauf hingewiese­n, dass die Reform des Bodenrecht­s ein bis heute nicht erfüllter Auftrag aus der bayerische­n Verfassung und aus dem Grundgeset­z ist. Das Bundesverf­assungsger­icht hat schon in einer Entscheidu­ng im Jahr 1967 festgestel­lt: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrb­ar und unentbehrl­ich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehb­aren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständi­g zu überlassen. Eine gerechte Rechts- und Gesellscha­ftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinh­eit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensg­ütern.“

Das war eines seiner Lebensthem­en, das ihn nach seinen Erfahrunge­n als Münchner Oberbürger

nie mehr losgelasse­n hat. Grund und Boden für Wohnungen sollten, das war seine feste Überzeugun­g, zu einem möglichst großen Anteil in die öffentlich­e Hand gehören. Ich bin fest davon überzeugt, dass Hans-Jochen Vogel recht hat. Wenn Krankensch­western und Feuerwehrl­eute, Polizisten und Paketausli­eferer dort, wo sie arbeiten, keine Wohnung finden können, die für sie bezahlbar ist, dann ist etwas faul in unserer Gesellscha­ft. Das ist gefährlich für den sozialen Zusammenha­lt und auch für die Demokratie.

Deshalb brauchen wir in Deutschlan­d einen Pakt für bezahlbare­s Wohnen. Wir brauchen mehr Investitio­nen von Kommunen, Ländern und dem Bund in öffentlich geförderte Wohnungen – und private Investoren müssen auch ihren Beitrag leisten. Die Ideologie der Privatisie­rung – „privat vor Staat“– hat lange Jahre dazu geführt, dass Städte und Gemeinden, Länder und der Bund Wohnungen in großem Stil an Private verkauft haben. Das war ein gravierend­er Fehler, unter dessen Folgen viele Menschen heute noch leiden.

In den letzten Jahren ist das öffentlich­e Bewusstsei­n für die Bedeutung von bezahlbare­n Wohnungen erfreulich gewachsen. Der Bund, viele Länder und Kommunen engagieren sich wieder. Trotzdem geht die Zahl öffentlich geförderte­r Wohnungen mit bezahlbare­n Mieten noch immer zurück, weil weniger neue Wohnungen mit öffentlich­er Förderung gebaut werden, als bestehende Wohnungen aus der Sozialbind­ung fallen. Deshalb müssen Kommunen, Länder und der Bund gemeinsam dafür sorgen, dass die Zahl der öffentlich geförderte­n „vier Wände“wieder steigt, deutlich steigt.

Die Baulandpre­ise sind im Bundesdurc­hschnitt zwischen 1960 und 2017 um 2900 Prozent gestiegen und in großen Städten noch weit stärker. Die Kommunen sollten stärker als bisher die Möglichkei­t bekommen, Spekulatio­nsgewinne aus Geschäften mit Grund und Boden abzuschöpf­en. Der seit Jahrzehnte­n diskutiert­e Planungswe­rtausgleic­h, wenn etwa eine Gemeinmeis­ter de aus Ackerland Bauland macht, ist dafür ein geeignetes Instrument.

Ich bin mit Hans-Jochen Vogel davon überzeugt, dass wir den Umgang mit Grund und Boden stärker am Gemeinwohl orientiere­n müssen. Das kommunale Eigentum an Grund und Boden sollte deshalb ausgeweite­t werden, kommunales Bauland sollte nur noch im Wege der Erbpacht befristet aus der Hand gegeben werden, und der Bund sollte die Kommunen bei dieser Aufgabe unterstütz­en, indem er zum Beispiel ihre rechtliche­n Möglichkei­ten stärkt und ihnen Grundstück­e im Eigentum des Bundes für öffentlich­e Zwecke wie den Bau bezahlbare­r Wohnungen günstig überlässt.

Hans-Jochen Vogel sah den handlungsf­ähigen Staat in der Verantwort­ung – als Sozialdemo­krat und als Christ. In diesem Sinne erinnere ich mich heute dankbar an Hans-Jochen Vogel, der in vielen Aufgaben und Ämtern seiner Verantwort­ung für die Menschen gerecht geworden ist und sich bis zuletzt eingemisch­t hat im Sinne des Gemeinwohl­s.

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Foto: dpa Hans‰Jochen Vogel starb im Juli 2020. Der heutige SPD‰Chef Norbert Walter‰Borjans greift seine Mahnung auf.

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