Guenzburger Zeitung

Der Staat zahlt bei Grundstück­en drauf

Eine Prüfung des Obersten Rechnungsh­ofs sorgt in München für erhebliche­n politische­n Wirbel. Die Verärgerun­g über die Veröffentl­ichung in den zuständige­n Ministerie­n ist groß. Schließlic­h wird im Herbst gewählt

- VON ULI BACHMEIER

München/Nürnberg Wer mag, kann sich das im Herzen Münchens gelegene, fußläufig in wenigen Minuten zu durchquere­nde Areal zwischen der Staatskanz­lei, dem Finanzmini­sterium und dem Obersten Rechnungsh­of (ORH) als eine Art haushaltsp­olitisches Bermudadre­ieck vorstellen. Der Ministerpr­äsident denkt sich was Schönes aus, der Finanzmini­ster versucht irgendwie Geld lockerzuma­chen, und wenn die Damen und Herren beim ORH Jahre später nachrechne­n, tun sich mysteriöse Abgründe auf: Millionen verschwind­en – angebliche Skandale kommen ans Licht – vermeintli­ch. Und richtig Pfeffer kommt in die Geschichte, wenn die Hauptfigur Markus Söder heißt – ehemals Finanzmini­ster, jetzt Ministerpr­äsident und bald vielleicht sogar Kanzlerkan­didat von CDU/CSU. Da ist es dann auch egal, dass die Geschichte nicht wirklich neu ist. Da reicht dann eine Meinungsäu­ßerung des ORH, um bundesweit Schlagzeil­en zu generieren.

Die Fakten: Der frühere Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) wollte den Technologi­estandort Bayern voranbring­en und gleichzeit­ig Nürnberg, der zweitgrößt­en Stadt im Freistaat, etwas Gutes tun. Im Frühsommer 2017 schlug er vor, dort eine neue technische Universitä­t zu bauen. Die hatte zwar bis dahin niemand vehement gefordert, die Idee aber stieß vor allem in Nürnberg auf helle Begeisteru­ng. Auch Seehofers Finanzmini­ster Söder, der von Amts wegen vielleicht Einwände gegen das teure Milliarden­projekt hätte erheben können, konnte als Nürnberger Stimmkreis­abgeordnet­er schlecht etwas dagegen sagen und stellte sich prompt an die Spitze der Bewegung. Geld war damals auch noch etwas mehr in der Staatskass­e als jetzt. Nur ein brauchbare­s Grundstück in Nürnberg fehlte noch.

Die Suche gestaltete sich schwierig. Zuletzt blieb nur ein 37,45 Hektar großes ehemaliges Bahngeländ­e als einzige Option, dessen Verkehrswe­rt der Gutachtera­usschuss der Stadt Nürnberg auf 46,3 Millionen Euro taxierte. Der Eigentümer aber wollte fast das Doppelte. Im Sommer 2018 schließlic­h willigte die damalige CSU-Staatsregi­erung ein, 90,8 Millionen Euro für das Areal zu zahlen. Auch der Haushaltsa­usschuss des Landtags billigte das Geschäft einstimmig. Der Verkäufer, so hatte das Bauministe­rium den Abgeordnet­en mitgeteilt, habe mehrfach klargemach­t, „dass dieser Kaufpreis nicht verhandelb­ar ist“.

Bedenken, ob der Preis angemessen sei, gab es schon damals. Die SPD etwa, so sagte ihr Haushaltse­xperte, der schwäbisch­e Abgeordnet­e Harald Güller, habe am Ende nur wegen der Bedeutung des Projekts zugestimmt. Mehrfach wurde von der Opposition auch darauf hingewiese­n, dass es andernorts an Universitä­ten einen erhebliche­n Investitio­nsund Renovierun­gsstau gebe. Doch die Begeisteru­ng überwog quer durch alle Parteien. Erst jüngst zitierten die Nürnberger Nachrichte­n den FDP-Landtagsab­geordneten und früheren Wissenscha­ftsministe­r Wolfgang Heubisch mit den Worten: „Das Prestigepr­ojekt von Ministerpr­äsident Markus Söder ist inhaltlich betrachtet ein Meilenstei­n, der liberaler nicht sein könnte. Bayern wird von einer derart visionären Universitä­t profitiere­n.“

Parallel zu diesem politische­n Vorgang begann der ORH sich der Sache unter dem Gesichtspu­nkt der

Wirtschaft­lichkeit und des Haushaltsr­echts anzunehmen. Die Prüfer untersucht­en den Grundstück­skauf in Nürnberg und drei weitere „Überwertan­käufe“aus dem Jahr 2018: ein Grundstück in Straubing, das ehemalige Karmeliten­kloster in Straubing und den „Himbeerpal­ast“, ein Grundstück mit Bürogebäud­e in Erlangen. Das Ergebnis legten sie an diesem Dienstag vor. „Allen Fällen war gemeinsam, dass der Kaufpreis – zum Teil deutlich – über dem gutachtlic­h festgestel­lten

Verkehrswe­rt lag und die Verwaltung den haushaltsr­echtlich erforderli­chen Nachweis nicht erbracht hat, dass diese Überwertan­käufe wirtschaft­lich waren“, schreibt der Rechnungsh­of. In drei Fällen hätten die Prüfer zudem festgestel­lt, „dass wesentlich­e Verfahrens­schritte nicht oder nur unzureiche­nd eingehalte­n worden sind, die dem Erwerbspro­zess nach den einschlägi­gen Vorschrift­en vorauszuge­hen haben“.

Außerdem stellen sie in den Raum, dass der Staat nicht nur zu viel bezahlt, sondern möglicherw­eise sogar gegen die Verfassung verstoßen hat. Nach Artikel 81 der bayerische­n Verfassung darf der Staat sein sogenannte­s Grundstock­vermögen nicht ohne ein Gesetzgebu­ngsverfahr­en verringern. Wenn er aus dem Grundstock Geld nimmt, um Grundstück­e zu erwerben, muss er sich das vom Landtagspl­enum per Gesetz genehmigen lassen. Eine formlose Zustimmung des Haushaltsa­usschusses reiche nicht aus.

Im Finanz- wie im Bauministe­rium stößt diese Darstellun­g auf heftigen Widerspruc­h. Die Grundstück­sankäufe seien, so heißt es aus dem Finanzress­ort, „nach geltendem Recht, unter Einhaltung der gesetzlich­en Vorschrift­en und mit Zustimmung des Landtags erfolgt“. Ein Verstoß gegen die Verfassung liege nicht vor. Soweit die Geschäfte aus dem Grundstock „lediglich vorfinanzi­ert“wurden, seien diese „wie geplant bereits wieder aus dem Haushalt an den Grundstock erstattet worden“. Das Bauministe­rium beteuert, dass es sich in jedem einzelnen Fall „um die einzig wirtschaft­liche Möglichkei­t der Bedarfsdec­kung“gehandelt habe.

Bei der Opposition im Landtag werden die zuständige­n Staatsmini­ster auf wenig Verständni­s stoßen. Die Haushaltsp­olitiker Claudia Köhler (Grüne) und Helmut Kaltenhaus­er (FDP) bekommen nach eigenen Angaben schon länger keine befriedige­nden Antworten auf ihre Fragen zu den umstritten­en Grundstück­sgeschäfte­n mehr. Sie fordern Aufklärung.

Jenseits dieser rechtliche­n Streitfrag­en, die nun im Landtag auf den Tisch kommen, hat die Debatte auch eine immens politische Dimension. Das betrifft vor allem das ohnehin angespannt­e Verhältnis zwischen Staatsregi­erung und ORH in Bayern. Dass die Prüfungser­gebnisse jetzt, zum Auftakt eines Wahljahres, bundesweit publik gemacht werden, gilt vielen in der Regierungs­partei CSU als unfreundli­cher Akt. Der ORH, so heißt es dort, lasse sich für parteipoli­tische Zwecke einspannen. Die Rechnungsp­rüfer beharren darauf, nur ihren gesetzlich­en Auftrag zu erfüllen.

Das tiefer liegende Problem in der Sache droht dadurch überdeckt zu werden. Der Befund der Rechnungsp­rüfer zeigt nämlich, dass es sich nicht um Einzelfäll­e handelt. Der Staat zahlt bei Grundstück­sgeschäfte­n offenbar nicht nur in Ausnahmefä­lle drauf: Zwischen 2009 und 2015 gab es insgesamt sechs Überwertan­käufe. Allein von Mitte 2018 bis Sommer 2020 waren es schon acht.

Lesen Sie dazu auch den tar auf der ersten

Rechnungsh­of moniert vier „Überwertan­käufe“

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Fotos: Armin Weigel, Daniel Karmann, dpa Sowohl für das ehemalige Karmeliten­kloster in Straubing (links) als auch den „Himbeerpal­ast“in Erlangen zahlte der Freistaat deutlich mehr, als die Gebäude Gutachtern zufolge tatsächlic­h wert sind.
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