Guenzburger Zeitung

Ein Big Boss gegen die Big City Krise

Fußball Sami Khedira will bei Hertha BSC Verantwort­ung übernehmen. Dabei hat er fast 14 Monate nicht mehr gespielt

- VON FLORIAN EISELE

Berlin Normalerwe­ise wäre an dieser Stelle nun darüber zu lesen, wie voll der Presseraum von Hertha BSC war, wie groß der Andrang war und welche italienisc­hen oder spanischen Medien sich vielleicht um einen Platz in der ersten Reihe geprügelt hätten. Weil im Februar 2021 aber alles digital stattfinde­t – vor allem Pressekonf­erenzen – bleibt die Vermutung, dass die Zugriffsza­hlen in den digitalen Kanälen ganz ordentlich gewesen sei dürften bei der Vorstellun­g von Sami Khedira.

Der Laune von Sportdirek­tor Arne Friedrich tat das keinen Abbruch: Sichtlich gut gelaunt erzählte der 41-Jährige, wie er seinen ehemaligen Mitspieler im DFB-Dress in nächtelang­en Gesprächen von einem Wechsel in die Hauptstadt überzeugte. Ein Weltmeiste­r beim selbst ernannten „Big City Club“Hertha BSC Berlin – es ist ein Transfer, der zu den Ansprüchen des Vereins zu passen scheint. Sagt auch Friedrich: „Einen derart verdienten Profi für Hertha zu gewinnen, ist eine tolle Sache.“

Zur Wahrheit gehört es aber auch: Für beide Seiten ist der Wechsel mit einem Eingeständ­nis verbunden, dass zuletzt einiges nicht optimal lief. Für Hertha, die nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst fast 300 Millionen Euro in die Mannschaft investiert­e, nun doch wieder gegen den Abstieg spielt und sich von Khedira erhofft, die Spieler zu einer Mannschaft zu einen. Big City Krise. Ebenso für Khedira, der noch vor Wochen den Traum von der englischen Premier League geäußert hatte und sich nun stattdesse­n im Abstiegska­mpf der Bundesliga beweisen muss. Es wird ein Kaltstart

werden. Im gesamten Kalenderja­hr 2020 bestritt Khedira für Juventus Turin nur eine Partie, Mitte Juni spielte er 28 Minuten im PokalHalbf­inale gegen den AC Mailand. Der letzte Liga-Einsatz datiert aus dem November 2019, das letzte Mal über 90 Minuten lief Khedira Ende September 2019 auf. Eine Knie-OP und eine Adduktoren­verletzung warfen ihn danach zurück, in der aktuellen Saison war er unter Trainer Andrea Pirlo kein Thema mehr.

Diesen Makel sprach auch Khedira selbst an und räumte ein: „Die Zahlen sprechen nicht für mich.“Zweifel an seiner Fitness oder seiner Wettkampfh­ärte will er aber nicht aufkommen lassen, schließlic­h sei schon jedes Juve-Training eine Beweisprob­e: „Wenn man täglich mit Spielern wie Cristiano Ronaldo, Bonucci, Chiellini auf dem Platz steht, dort im Elf gegen Elf den Ball halten muss, dann verliert man nicht allzu viel an Qualität und Fitness.“Ob das Juve-Training als Vorbereitu­ng für den Liga-Alltag durchgeht, wird sich am Freitagabe­nd zeigen, wenn Hertha gegen den FC Bayern antreten muss (20.30 Uhr, DAZN). Mit einer Führungsro­lle hat Khedira selbstrede­nd keine Probleme: „Ich will spielen, ich will Verantwort­ung übernehmen.“Angesichts des bisherigen Auftretens der meisten Hertha-Spieler dürfte es nicht sonderlich viele Konkurrent­en beim Beanspruch­en einer Vorreiters­tellung geben – auch wenn Khedira noch einschränk­end hinzufügt: „Ich bin nicht der Big Boss, sondern sehe mich als Teil des Teams.“

Bereits am Nachmittag stand der Ex-Nationalsp­ieler zum ersten Mal auf dem Trainingsp­latz. Sein Vertrag in Berlin läuft vorerst bis zum Sommer – also 15 Spiele lang, vielleicht kommen noch zwei Partien in der Relegation hinzu. Khedira, der fast 14 Monate nicht gespielt hat, muss sofort zu einer sportliche­n Verstärkun­g werden. Sonst wird sich Herthas Krise auch schnell zu seiner persönlich­en auswachsen.

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Foto: dpa Ab sofort ein Spieler von Hertha BSC Berlin: Sami Khedira.

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