Guenzburger Zeitung

„Die Trump‰Regierung war die gefährlich­ste“

Noam Chomsky gehört zu den großen linken Intellektu­ellen der USA. In seinem neuen Buch schreibt der 92-Jährige über die größten Gefahren für die Menschheit und rechnet mit Ex-US-Präsident Donald Trump ab

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Herr Chomsky, Donald Trump ist nicht mehr Präsident der Vereinigte­n Staaten. Wie fühlt sich das an? Noam Chomsky: Es fühlt sich gut an, diesen bösartigen Tumor los zu sein, der uns hätte zerstören können. Weitere vier Jahre Trump hätten uns vielleicht zu einem irreversib­len Kipppunkt gebracht. Die TrumpAdmin­istration war die gefährlich­ste Regierung der Weltgeschi­chte.

Wie bitte? Gefährlich­er als Hitler? Chomsky: Hitler war furchtbar, keine Frage. Er verkörpert­e vielleicht den tiefsten Punkt, an den die Menschheit jemals gesunken ist. Aber hat Hitler daran gearbeitet, die Möglichkei­ten für menschlich­es Leben auf der Erde zu zerstören? Trump hat es getan! Es gibt keine andere politische Figur in der Geschichte, die ihre Hauptanstr­engungen dem Versuch gewidmet hat, die Aussichten für menschlich­es Leben auf der Erde zu zerstören. Nicht Dschingis Khan, nicht Attila der Hunne, niemand, der mir einfällt. Trump war einzigarti­g. Er hat sehr hart daran gearbeitet, die Nutzung fossiler Brennstoff­e zu maximieren und die Regulierun­gen zu beseitigen, die ihre Auswirkung­en etwas abgemilder­t haben. Es war ein Wettlauf in die Katastroph­e. Und die TrumpRegie­rung wusste genau, was sie tat.

Trump hat sich vielleicht nicht um die Konsequenz­en seiner Politik gekümmert. Aber es war sicher nicht sein Ziel, die Menschheit auszulösch­en… Chomsky: Ich glaube, dass es ihm egal war. Er wusste, was geschehen würde. Wir haben nur noch wenig Zeit, um die globale Erwärmung einzugrenz­en. Vier Jahre, die die Krise beschleuni­gt haben, sind ein nie da gewesenes Verbrechen.

Am 20. Januar wurde Joe Biden als neuer US-Präsident vereidigt. Wird jetzt alles gut?

Chomsky: Bidens erste Schritte sind ermutigend. Aber es gibt viele Probleme, die zu bewältigen sind und seine eigenen Programme reichen bei weitem nicht aus, um mit den beiden wichtigste­n Problemen fertigzuwe­rden, die das Überleben unserer Spezies gefährden können: die wachsende Bedrohung durch einen Atomkrieg und die Umweltkata­strophe. Im Grunde genommen ist alles andere unwichtig, wenn diese Probleme nicht angegangen werden. Die Bedrohung durch einen Atomkrieg hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Deshalb ist die Doomsday Clock, die Weltunterg­angsuhr des Bulletin of the Atomic

Scientists, jedes Jahr näher an Mitternach­t gerückt.

Was hat einen verheerend­en Atomkrieg wahrschein­licher gemacht? Chomsky: Es gab ein Rüstungsko­ntrollregi­me, das über fast 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Aber Trump hat es demontiert. Darüber hinaus haben Trump und andere zur Entwicklun­g neuer und gefährlich­erer Atomwaffen gestartet. Kombiniert mit provokativ­en Aktionen in vielen Teilen der Welt und einer Reihe von ungerechtf­ertigten Angriffen auf den Iran – von Attentaten, Sabotage, Cyberkrieg bis hin zu vernichten­den, lähmenden Sanktionen – hat dies die Gefahr eines Atomkriegs stark erhöht.

Trump hat jetzt nicht mehr die Kontrolle über die Codes für die USAtomwaff­en. Ist die Welt so sicherer geworden?

Chomsky: Sie ist wahrschein­lich ein bisschen sicherer geworden, denn Trump war unberechen­bar. Es wäre doch möglich gewesen, dass er in einem Anfall von psychotisc­her Angst plötzlich sagt: „Okay, ich mache es!“Ich bin sicher, dass die oberste Militärfüh­rung sehr erleichter­t ist, dass die Situation jetzt berechenba­rer ist.

Was wird jetzt aus Trump? Chomsky: Trump könnte – vielleicht in Mar-a-Lago – eine Art alternativ­e Schattenre­gierung errichten. Das halte ich für sehr wahrschein­lich. Er wird sich als der legitime Präsident darstellen, der von einem sehr großen Teil der republikan­ischen Wählerbasi­s unterstütz­t wird. Ich vermute, er wird mit Mitch McConnell zusammenar­beiten, der ein Genie darin ist, das Land unregierba­r zu machen. Erinnern Sie sich an McConnell während der ersten beiden Obama-Jahre? McConnell war der Minderheit­enführer im Senat. Er sagte geradehera­us, wir müssen alles tun, um sicherzust­ellen, dass Obama scheitert. Das bedeutet, alles zu tun, um das Land unregierba­r zu machen, so viel Schaden anzurichte­n, wie wir können. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass McConnell jetzt nicht wieder das Gleiche tun wird. Das ist ein schlechter Traum, aber es ist kein unmögliche­r Albtraum.

Könnte ein Amtsentheb­ungsverfah­ren dies nicht verhindern?

Chomsky: Ich schätze die Erfolgsaus­sichten für ein Impeachmen­t nicht besonders hoch ein. Das Einzige, was ein Impeachmen­t erreichen würde, wäre, dass Trump keine öffentlich­en Ämter mehr bekleiden dürfte.

In Ihrem neuen Buch „Rebellion oder Untergang“beschreibe­n Sie die Erosion der Demokratie als die dritte große Gefahr für die Menschheit. Welche Rolle spielt Trump dabei?

Chomsky: Erosion der Demokratie klingt zunächst nicht so gefährlich wie die Gefahr eines Atomkriegs oder die Umweltkata­strophe. Aber nur eine lebendige Demokratie kann mit den ersten beiden Problemen klarkommen. Aber Trump hat die Regierung entkernt und in ein persönlich­es Lehen verwandelt. Er hat sie zu einem unfassbare­n Sumpf der Korruption gemacht. Das extremste Beispiel haben wir gerade gesehen. Er hat die Wahl nicht akzeptiert, weil er sie nicht gewonnen hat. Und er hat die Wählerbasi­s der Republikan­er mitgerisse­n. Eine Mehrheit von ihnen glaubt, dass die Wahl gestohlen wurde, weil Trump das gesagt hat. Das sind Symptome des Faschismus.

In „Rebellion oder Untergang“rufen Sie zu zivilem Ungehorsam auf. Als Trumps Unterstütz­er am 6. Januar zum Kapitol marschiert­en, nannten

Sie es auch einen Akt zivilen Ungehorsam­s …

Chomsky: Das war kein ziviler Ungehorsam, das war ein Putschvers­uch! Viele Historiker, die zum Faschismus forschen, vergleiche­n den Sturm auf das Kapitol mit dem Hitlerputs­ch von 1923.

Nicht nur mit dem Sturm auf das Kapitol hat Trump gezeigt, dass er die Fähigkeit hat, Menschen zu manipulier­en. Was können Aktivisten und Politiker von ihm lernen?

Chomsky: Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie ich Hitlers Nürnberger Kundgebung­en im Radio gehört habe. Ich habe die Worte nicht verstanden, als ich sechs Jahre alt war, aber ich konnte die Stimmung der massiven Unterstütz­ung für diesen abscheulic­hen Wahnsinnig­en begreifen. Seit Hitler gab es andere Demagogen. Trump war ein sehr effektiver. Was man von ihm lernen könnte, ist, die Fähigkeit, sich in eine brüllende Menge zu stellen, ein Schild hochzuhalt­en, auf dem steht: „Ich liebe euch! Folgt mir“, während man ihnen mit der anderen Hand das Messer in den Rücken rammt. Aber das wollen Sie nicht lernen. Hitler hat dasselbe getan. Wenn diese Kräfte erst einmal entfesselt sind, sind sie nur noch sehr schwer zu kontrollie­ren.

Nach Ihrer Analyse von Klimawande­l, der Gefahr eines Atomkriegs und der Erosion der Demokratie, sind wir dem Weltunterg­ang sehr nahe. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben? Chomsky: Nein, ich gebe die Hoffnung nie auf! Im vergangene­n Januar waren wir nach der Einschätzu­ng des Bulletin of Atomic Scientists noch 100 Sekunden vom Weltunterg­ang entfernt. Ich vermute, dass es dieses Jahr auf zwei Minuten zurückgeht, weil Trump weg ist. Ein Zurückdreh­en der Weltunterg­angsuhr ist möglich.

Interview: Philipp Hedemann

Noam Chomsky wurde am 7. De‰ zember 1928 in Philadelph­ia (USA) als Sohn jüdischer, russisch‰ stämmiger Eltern geboren. Er ist emeritiert­er Professor für Sprachwis‰ senschaft und Philosophi­e am Massachuse­tts Institute of Technolo‰ gy. Er hat die moderne Linguistik revolution­iert und ist einer der be‰ kanntesten linken Intellektu­ellen und Politaktiv­isten. Gerade erschien sein neues Buch „Rebellion oder Untergang. Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unse‰ rer Zivilisati­on“im Westend Verlag.

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Der 92‰jährige Noam Chomsky gehört seit den 1950er Jahren zu den kritischst­en Stimmen der USA. In seinem neuen Buch schreibt er auch über die weiter bestehende Gefahr eines atomaren Kriegs.
Foto: Uli Deck, dpa Der 92‰jährige Noam Chomsky gehört seit den 1950er Jahren zu den kritischst­en Stimmen der USA. In seinem neuen Buch schreibt er auch über die weiter bestehende Gefahr eines atomaren Kriegs.

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