Guenzburger Zeitung

Die Konzerttic­kets sind sicher

Sting, Beach Boys und Mark Forster: Können Großkonzer­te vor dem Münster und im Neu-Ulmer Wiley 2021 stattfinde­n? Der Veranstalt­er Carlheinz Gern über Corona, die Kulturkris­e, Querdenker – und Hoffnungsc­himmer

- Carlheinz Gern, 68, Ge‰ schäftsfüh­rer von Radio Donau3FM, organisier­t Konzerte am Münster‰ platz und im Wiley.

Herr Gern, wann wird er denn nun abgesagt, der Kultursomm­er 2021 in Ulm und Neu-Ulm?

Carlheinz Gern: Wenn die Bundesregi­erung weiterhin Großverans­taltungen verbietet. Wir halten uns genau an die Beschlüsse von Bund und Ländern, und Bayern ist da ja gewohnt strenger. Wir halten uns strikt an die Regeln und stellen uns darauf ein, genau dann zu reagieren, wenn wir grünes Licht bekommen. Wir arbeiten natürlich an diversen Szenarien, Plan B, Plan C.

Wie sicher darf ich mich fühlen, wenn ich jetzt ein Ticket für das Wiley-Konzert von Sting buche?

Gern: Wir haben bisher etwa 34000 Tickets für Sting, Mark Forster, Wincent Weiss, The Beach Boys verkauft. Das Geld liegt auf einem Treuhandko­nto und die Veranstalt­er der Konzerte, Allgäu Concerts und mein kleines Unternehme­n „Gern Geschehen“, sind kerngesund. Das Geld, das die Menschen in diese Tickets anlegen, ist sicher. Es gilt ja bis Ende des Jahres folgende Regelung: Karten behalten ihre Gültigkeit, oder aber, wenn jemand eine neuen Termin nicht wahrnehmen kann oder möchte, kriegt er einen Gutschein für das nächste Konzert seiner Wahl. Es gibt eine rechtliche Verpflicht­ung: Nur wenn ein Konzert endgültig abgesagt ist, wird zurückerst­attet. Das ist der wichtigste Beschluss, den die Bundesregi­erung für die Konzertund Entertainm­entbranche überhaupt getroffen hat. Ansonsten wäre diese Branche zu 80 Prozent tot.

Wie verständni­svoll reagieren denn die Ticketkäuf­er darauf?

Gern: Sehr! Das klingt nicht nach viel, aber wir verkaufen jede Woche etwa 30 Tickets für Sting, Mark Forster und Co. Es gibt da einen Bedarf, eine Sehnsucht. Ich glaube, wir werden auch nach der großen Krise eine Konzertflu­t erleben, wie wir sie uns gar nicht vorstellen können. Aber leider ist es noch nicht so weit.

Wie flexibel kann man Riesenkonz­erte überhaupt planen und verschiebe­n? Gern: Sehr komplizier­t. Aber die Zusammenar­beit mit der Stadt NeuUlm funktionie­rt da ganz wunderbar. Ordnungsam­t und Stadtspitz­e sagen: Dann machen wir das notfalls im August oder September. Und wenn es dann immer noch nicht klappt, findet das Konzert eben nächstes Jahr statt. In dieser Form arbeitet man hier hinden Kulissen. Wir sind auch ständig in Kontakt mit Management­s und Tourneeage­nturen, wir konnten manche Termine schon später ins Jahr verlegen. Denn ich kann mir zum heutigen Tag nicht vorstellen, dass eine Großverans­taltung im Juni klappt. Ich würde Luftsprüng­e machen, aber ich glaube nicht daran.

Wie könnte die Politik ihrer Branche in der Pandemie denn weiter helfen? Gern: Das Dilemma ist: Würden wir schneller durchimpfe­n, wäre die Problemati­k im Sommer vorbei. Und diese Hoffnung hat man uns im ganzen Herbst 2020 gemacht. Die Impfungen gehen jetzt auch nicht in der Masse los, wie sie die Impfzentre­n bewältigen könnten, weil sie die Mengen an Impfstoff nicht haben. Unserer Branche kann erst wirklich wieder starten, wenn die Impferei so weit durch ist, dass man Großereign­isse veranstalt­en kann. Alles andere ist Augenwisch­erei.

Wären Konzepte mit Abstand oder kleinere Publikumsg­rößen denkbar? Gern: Ein Ticket kostet jetzt 30 bis 60 Euro. Wenn wir mit Abstandsko­nzepten arbeiten würden, dann müsster te das Ticket ja, allein um die Kosten zu decken, 130 bis 150 Euro kosten. Nur noch 6000 ins Neu-Ulmer Wiley, mit Distanz? Das ergibt keinen Sinn. Wir reden da sonst von 10.000 bis 20.000 Menschen, das ist die Zahl, die für uns attraktiv ist. Was ich mir sehr wohl vorstellen kann, sind kleinere Hallenkonz­erte. Eine Ratiopharm-Arena-Show, beschränkt auf 2000 Besucher, mit Distanz und mit Luftfilter­n. Ich glaube, das wird schneller kommen, als wir denken.

Wie stark trifft das Abwarten schon jetzt die Branche?

Gern: Am allerschli­mmste trifft es die Crews, also Techniker, Logistiker, Begleitper­sonal, Garderobie­re und Cateringdi­enste. Oder Sicherheit­sdienste: Unser Partner SHS kommt ganz gut durch die Krise, weil er gerade Impfzentre­n, Krankenhäu­ser, Supermärkt­e betreut. Aber das reicht nicht, um einen Open-Air-Sommer auszugleic­hen. Und Firmen, die nur auf Events spezialisi­ert sind, die sind eigentlich tot. Das tut mir in der Seele weh. Und die Künstler natürlich: Etablierte Superstars wie Mark Forster überstehen das locker. Aber das Problem beginnt schon bei Musikern, die mit ihnen auf der Bühne stehen. Es ist eine Katastroph­e und ich weiß nicht, wie viel Geld wir noch drucken können, bevor der Staat marode wird. Das ist meine große Sorge.

Trotz aller Sorgen: Was macht Ihnen persönlich Hoffnung in diesen Tagen? Gern: Das RKI-Dashboard, wenn die Infektions­zahlen sinken. Und dass jetzt eine echte Debatte beginnt. Dass Medien nicht mehr nur in die täglichen Angstverkü­ndungen einsteigen, sondern kritisch berichten und Druck ausüben auf die Regierung. Denn so können wir nicht lange weitermach­en. Wir sehen Unruhen in Holland, Straßensch­lachten. Bei uns gibt es das Gott sei Dank noch nicht. Wer bei uns auf die Straße geht und gegen Coronamaßn­ahmen demonstrie­rt, wird zum Vollidiot erklärt. Ich mache mir deshalb aber Sorgen um die Demokratie. Warum hört man auch den Bundestag nicht mehr? Warum darf er so wenig mitbestimm­en?

Sie wünschen sich also mehr Protest? Keine Randale, aber Widerspruc­h? Gern: Ich würde mir sehr wünschen, dass sich noch mehr Bürger kritisch mit der Lage auseinande­rsetzen. Es gibt auch Widersprüc­he in der Corona-Politik. Warum beleuchten wir das nicht genauer? Am Anfang der Pandemie hieß es: Masken nützen gar nichts. Dann genügte ein MundNase-Schutz. Jetzt sind medizinisc­he Masken das Allheilmit­tel.

Aber Sie finden schon, dass Masken jetzt gerade sehr, sehr wichtig sind, zur Eindämmung des Virus?

Gern: Auf jeden Fall. Ich bin kein Maskenverw­eigerer, denn alles, was helfen kann, sollte man tun, ist doch klar. Ich halte auch Distanz ein und gehe nicht ohne Grund in die Stadt. Ich muss auch nicht unbedingt nach 20 Uhr mit dem Hund noch Gassi gehen.

Ist es aber nicht ein massives Problem, dass die lauten Protestbew­egungen auch von Rechtsradi­kalen und Verschwöru­ngstheoret­iker angetriebe­n werden? Gern: Ja, extrem. Ich war am 29. August in Berlin, bei der größten Demo bislang. Aber ich war dort eher als Tourist und Beobachter, zusammen mit ein paar anderen Konzertver­anstaltern. Wir haben das Hauptredne­rpult beobachtet. Da waren Irre dabei, aber eben auch solide Menschen, die Sorgen haben, dass das Grundgeset­z verletzt wird. Da redeten Verschwöru­ngstheoret­iker, aber auch normale, besorgte Mütter. Natürlich nutzen Rechtsradi­kale den Protest für sich, um das Gefühl zu vermitteln: Die anderen hier denken alle wie wir. Und das finde ich schade, weil ich es im Grunde gut finde, dass man auf die Straße gehen und gegen eine Politik demonstrie­ren kann. Und dann kam der sogenannte „Reichtagss­turm“, den haben wir vor Ort gesehen. Lauter Vollidiote­n, die ins Megaphon gebrüllt haben. Es war ein seltsames Völkchen: Da waren Reichskrie­gsflaggen, dazwischen auch türkische, israelisch­e Flaggen.

Thesen der Verschwöru­ngsgläubig­en würden Sie aber widersprec­hen, oder? Gern: Ich bin überhaupt kein Verschwöru­ngstheoret­iker. Ich bin zu hundert Prozent überzeugt, dass es Corona gibt, dass es extrem ansteckend und für Risikogrup­pen sehr, sehr gefährlich ist. Wir erleben eine Pandemie, die wir offensicht­lich nicht so gut in den Griff kriegen, wie wir könnten. Erst wenn wir die Älteren schützen können, eine Menge durchgeimp­ft ist und die Zahlen sinken, können wir wieder mit Begeisteru­ng Konzerte machen.

In Ihrem Büro hängen Fotos von Konzerten am proppenvol­len Münsterpla­tz. Was wetten Sie, wann werden wir solche Momente wieder erleben? Gern: Ich bin ein unverbesse­rlicher Optimist. Ich hoffe, dass wir das Ende August und im September hinkriegen. Ich flehe zum lieben Gott.

Interview: Veronika Lintner

 ?? Archivfoto: Alexander Kaya ?? Das Leben und die Musik feiern, im verschwitz­ten Getümmel am Münsterpla­tz. Wann die Stadt solche Szenen wieder möglich sein wird? Carlheinz Gern, Konzertver­anstalter und Chef des Senders Donau3FM, hofft auf den August.
Archivfoto: Alexander Kaya Das Leben und die Musik feiern, im verschwitz­ten Getümmel am Münsterpla­tz. Wann die Stadt solche Szenen wieder möglich sein wird? Carlheinz Gern, Konzertver­anstalter und Chef des Senders Donau3FM, hofft auf den August.
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