Der gute Ton
Die Schweiz ist Deutschland bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager weit voraus. Bohrungen sind in vollem Gange, die ersten Container bald zum Test unter der Erde. Ein Gestein halten die Schweizer für besonders geeignet – und das kommt auch in Schwaben
Bözberg Das kleine Bözberg im Schweizer Kanton Aargau ist ein Ort, den man leichtfertig als Kuhdorf bezeichnen könnte. Die Sehenswürdigkeiten bestehen aus einer Kirche, einer Linde und einem Wasserfall. Etwas mehr als 1600 Menschen leben hier, ein Drittel sind Bauern, der Rest Pendler auf der Flucht vor den horrenden Mieten in Basel und Zürich. Den Habsburgern wurde die Gegend schon im 13. Jahrhundert zu provinziell und sie verließen ihre hiesige Stammburg. Dafür könnte hier schon bald etwas eine Heimat finden, was garantiert länger bliebe: Atommüll.
Bözberg könnte Endlager werden, so hat das die Schweizer Nationale Genossenschaft für die Lager radioaktiver Abfälle (Nagra) beschlossen, einer von drei Orten, in denen das Endlager gebaut werden könnte. Schon 2022 will sich die Nagra festlegen. Niemanden würde es überraschen, wenn die Wahl auf Bözberg fiele. Denn die eigentliche Attraktion der Gegend liegt tief unter dem Dorf: ein rund 170 Millionen Jahre alter Tonstein aus dem mittleren Jura. „Opalinuston“nennen ihn die Geologen und sind begeistert von seinen Eigenschaften: sehr dicht, ohne Brüche, perfekt geschichtet, selbst abdichtend und praktisch undurchlässig für Wasser. Das ideale Grab für strahlende Atomkerne.
Das ist für die Menschen in Deutschland vor allem deswegen interessant, weil auch hier fieberhaft nach einem Endlager gesucht wird. Und weil es den Opalinuston auch hierzulande gibt. Die Schweiz ist schon einen Schritt weiter – und ein Vorbote dafür, wie auch in Deutschland die Suche ausgehen könnte?
Bislang gibt es nur einen Bohrturm in Bözberg. Dorthin führt eine schmale Straße. Kleine Gehöfte säumen sie, einsame Kühe grasen auf der Weide, in einer Kurve steht ein Schild: „Kein Atommüll in Bözberg!“Es ist der einzige erkennbare Protest der Menschen hier. Kritische Stimmen vernimmt man mitunter von Anwohnern, die sich im Verein „Pro Bözberg“organisiert haben. Allerdings läuft dieser Widerstand sehr vernunftbegabt ab. Und der Verein ist weniger gegen ein Endlager, sondern vielmehr dafür, die Natur des Bözbergs ganz generell zu bewahren. Unter anderem hat die Gruppierung schon ein großes Steinbruchprojekt am Berg verhindert. Der Ton, den die Vereinsspitze auf ihrer Internetseite anschlägt, ist so, wie man sich den
Schweizer gemeinhin vorstellt: ruhig und bedächtig. Dem Verein kommt es nach eigener Aussage vor allem darauf an, die Entscheidung für ein Endlager nicht zu überstürzen: „Das Ressourcen-Potenzial im tiefen Untergrund des Bözbergs muss (...) abgeklärt und seine Nutzungswürdigkeit bis zu einem Zeitraum von einer Million Jahre evaluiert werden, bevor ein TiefenlagerProjekt realisiert wird“, verlangt „Pro Bözberg“. Wütender Protest ist anders.
Gebohrt wird auf der Bözberger Hochebene, gleich hinter einem Wäldchen, 624 Meter über dem Meer. Es gibt Wohncontainer für die Arbeiter, blaue Rohre und den gelben Bohrturm, der alles überragt. Von oben könnte man den Kühlturm des Kernkraftwerks Leibstadt sehen, der nur 15 Kilometer entfernt liegt, direkt an der Grenze zu Deutschland. Unten am Zaun, der um den Bohrplatz errichtet wurde, wartet Olivier Leupin. Leupin ist Mineraloge und Geochemiker, er hat sich auf Tongestein spezialisiert und arbeitet im Felslabor Mont Terri im Schweizer Jura, wo Grundlagenforschung für Tongesteine gemacht wird.
Leupin, 45, trägt eine knallgelbe Jacke, Dreitagebart, geschorene Haare. Er setzt seine Maske auf, dann spaziert er durch das Tor hindurch auf den Platz. Der Bohrer steht still, die Mitarbeiter einer Spezialfirma arbeiten gerade in den Containern. Dort untersuchen sie die hydraulischen Eigenschaften des Untergrunds. Dabei wird das Gestein unter hohen Druck gesetzt, um zu messen, wie schnell sich Wasser hindurchbewegt. Schließlich ist auch dichter Tonstein nicht komplett wasserundurchlässig, er lässt H2O-Moleküle nur in extremer Zeitlupe hindurch. Einen Meter weit kommt das Porenwasser in gut 100000 Jahren, das ist selbst für geologische Maßstäbe ausgesprochen langsam. Tonstein bildet eine riesige reaktive Oberfläche. Dadurch bleiben die strahlenden Teilchen im Untergrund im Gestein hängen. Doch das kann sich ändern, wenn durch Störungen im Gefüge Wasser eindringt. Das müssen die Geologen auf jeden Fall ausschließen.
Die aktuelle Tiefbohrung ist bereits die fünfte in Bözberg, sie soll letzte Klarheit über die Beschaffenheit des Tonsteins im Untergrund geben. Die Geologen wollen wissen, wie tief der Opalinuston liegt, wie mächtig die Formation ist und ob sie von Störungen durchzogen ist. Zudem testen sie, wie er reagiert, wenn man ihn Belastungen aussetzt. In regelmäßigen Abständen ziehen die Experten dazu Bohrkerne aus der Tiefe. „Nadelstiche“nennt Olivier Leupin die punktuellen Bohrungen an den drei Standorten in der Nordostschweiz, die noch zur Auswahl stehen. Nur so lasse sich bestimmen, welcher von ihnen der geeignetste ist. Mindestens eine Million Jahre soll das nukleare Endlager ungestört bleiben. Außerdem müssen die Hohlräume für den Atommüll tief genug angelegt werden können. Vorgeschrieben sind 600 bis 900 Meter Abstand zur Erdoberfläche. Zudem muss das Wirtsgestein mindestens 100 Meter mächtig sein, um genügend radioaktives Material darin verstauen zu können.
Ein Jahr noch, dann ist die Atomkraft auch in Deutschland Geschichte. 2022 gehen die letzten Meiler vom Netz. Was bleibt, sind 1900 Behälter mit 27000 Kubikmetern radioaktiven Abfalls: der Müll aus sechs Jahrzehnten Kernenergie. Aber wohin damit für die nächste Million Jahre?
Nicht nach Bayern, so viel ist klar, wenn es nach der Staatsregierung im Freistaat geht. „Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist“, so haben es CSU und Freie Wähler 2018 in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Die Bundesgesellschaft für Endlagersuche (BGE) sieht das ganz anders: Theoretisch geeignet sind deren ersten geologischen Untersuchungen zufolge mehr als die Hälfte der Fläche der Bundesrepublik – und zwei Drittel Bayerns. Und Deutschland hat im Gegensatz zur Schweiz und anderen Ländern das Glück, gleich unter drei potenziellen Wirtsgesteinen wählen zu können: Salz, Granit und eben Tonstein.
Wo das Endlager letztlich gebaut wird, soll im Jahr 2031 feststehen. 2050 kommen die ersten strahlenden Behälter an. Und trotzdem: Sobald ein konkreter Ortsname fällt, beginnen meist Bürgerinitiativen mit Unterschriftensammlungen, Kommunalpolitiker beeilen sich, wortreich zu erklären, warum ihre Flur auf keinen Fall ein Endlager werden könne. So geschehen jüngst in Thurmansbang, gelegen im Dreiländer-Eck zu Tschechien und Österreich, Naturpark Bayerischer Wald. Bürgermeister Martin Behringer fürchtet nicht nur das Endlakünstlichen ger selbst, sondern auch die Reaktionen darauf: „Der Bayerische Wald ist ein Erholungsgebiet und da wollen wir keine Randalierer und keine Riesen-Protestbewegung hier bei uns haben“, sagte der FreieWähler-Mann vergangenen Herbst im ZDF.
Der in der Schweiz so gerühmte Opalinuston zieht sich aus dem Alpenstaat kommend unter der Schwäbischen Alb hindurch bis nach Ulm. Eine bis zu 300 Meter dicke Tonschicht unter der Alb und ihrem Randgebiet, dazu das Kristallgestein entlang der Donau: Auch der Landkreis Neu-Ulm und die nahe Umgebung, Teile des Kreises Günzburg, kommen als Standorte für ein Endlager infrage.
Auch dort sind zwar Bürgerinitiativen aktiv, doch Günzburgs Landrat und einstiger Bauminister Hans Reichhart (CSU) sagte unserer Redaktion im September nach dem neuesten BGE-Bericht, er sei bei dem Thema „entspannt“. Es sei schließlich nur ein Zwischenbericht, der Auftakt zur eigentlichen Untersuchung. Er gehe davon aus, dass das Endlager nicht im Landkreis gefunden wird, denn es gebe besser geeignete Standorte.
Aber was sagt die BGE? Ist Tonstein auch der Favorit in Deutschland? Dort ist man von dem Gestein jedenfalls überzeugt: „Tonstein ist eine gute Option“, lässt sich der BGE-Geologe Wolfram Rühaak zitieren. Man kenne das Gestein sehr gut, chemotoxische Abfälle werden darin schon lange gelagert, große Überraschungen seien selten. Weiteres Plus: Tonsteine seien gut untersucht. Und doch, die Frage sei noch offen. Bei der Endlagersuche wird es am Ende auf Details ankommen. Denn auch Tonsteine haben
Nachteile. Sie sind vergleichsweise hitzeempfindlich und leiten Wärme schlecht ab, zudem ist die Festigkeit nicht die beste. Stollen darin müssen zusätzlich abgesichert werden.
Die Schweiz bohrt derweil weiter Richtung Zukunft. Olivier Leupin steuert einen Tisch am Rand des Bohrplatzes an. Er ist leer. Sonst werden hier frische Bohrkerne drapiert und gesäubert, ehe man sie untersucht. Sie verraten den Wissenschaftlern den mineralischen Aufbau und die Textur eines Gesteins. Ein Mitarbeiter kramt vier Gesteinsproben aus einer Plastiktüte und kratzt mit dem Fingernagel an der Oberfläche des Opalinustons. Kleine Stücke lassen sich abkratzen wie von hartem Blätterteig. Olivier Leupin lässt einen Stein durch seine Hand wandern. „Sehen Sie“, sagt er, „das ist die langweilige Geologie, die wir suchen: keine Brüche, keine Überraschungen.“Zudem verschließen sich Risse von selbst, indem die Tonminerale aufquellen. Das Gestein verfügt gewissermaßen über Selbstheilungskräfte.
Opalinuston entstand aus Sedimenten, die sich einst in einem seichten, ruhigen, aber breiten Randmeer ablagerten, das zu Beginn des Mitteljura, vor etwa 170 Millionen Jahren, große Teile der späteren Schweiz und Süddeutschlands bedeckte. Das Meer war warm, Lebensraum einer reichen Fauna und eigentlich eine riesige Schlammschüssel. Dieser Schlamm setzte sich über Millionen von Jahren ab und bildete so die gleichförmigen, horizontalen Schichten. Zu 60 Prozent besteht der Bözberger Opalinuston aus Tonmineralien, ein mittelhoher Wert. Wer genauer hinsieht, erkennt in dem spröden Gestein noch etwas anderes: Im Jurameer lebten unzählige schneckengleich geformte Kopffüßler der Gattung Leioceras, die als Fossilien im Opalinuston überdauern, darunter die Art Leioceras opalinum, nach welchem die Formation benannt ist. „Für das Gestein sind die eine Million Jahre, die das Endlager dichthalten soll, nur ein Wimpernschlag“, sagt Leupin. Für den Menschen hingegen eine Ewigkeit.
Nicht ganz so lange dauert die Fahrt von Bözberg nach Grimsel im Berner Oberland, einem Granitgebiet. Doch hier befindet sich ein weltberühmtes Felslabor, ein Mekka der Endlagerforschung. Vor 290 Millionen Jahren drang hier geschmolzenes Gestein aus den Tiefen der Erdkruste und blieb stecken. Es sammelte sich in einer gewaltigen Magmakammer, die anschließend langsam auskristallisierte und einen
Bürgerproteste auf Schweizer Art
Ob es klappt, muss die Ewigkeit zeigen
großen Pfropf im umliegenden Gestein bildete, einen sogenannten Pluton, älter als die Alpen. Seit 1984 betreibt die Schweiz das Felslabor, 450 Meter tief im Aarmassiv. Vor dem Zugang muss der Kleinbus kurz warten. Dann fährt er in den Stollen ein. In diesem Schweizer Felslabor wird der Ernstfall schon simuliert. Ein Castor-Behälter wird zur Einfahrt in einen Nebenstollen vorbereitet, drei weitere werden folgen. 20 Jahre sollen die Testbehälter in dem Lager untersucht werden. Auf Schienen gleitet der erste Behälter in sein vorläufiges Grab, anschließend wird er auf bis zu 140 Grad erhitzt und überwacht. Um den Atommüll für die Zukunft zu sichern, wird zusätzlich eine künstliche Barriere aus Bentonit verwendet. Mit diesem quellbaren Tongranulat füllen die Geologen die Schächte auf und dichten die Zwischenräume ab. Es fungiert als zusätzliche Barriere.
Es sind Versuche, die für Geologen wie Olivier Leupin unverzichtbar sind. Sie müssen abschätzen, wie sich ein Endlager über die Zeit entwickelt, ob es die Erblast sicher verschließt. Ob der Aufwand am Ende reichen wird, muss die Ewigkeit zeigen. (mit sari)