Kaeser geht, Busch kommt
Der Manager übergibt das Vorstandsamt an seinen Nachfolger und lobt trotz Korruptionsaffäre Ex-Chef Heinrich von Pierer
München Sie loben sich und sie beklatschen sich. Die Siemens-Topmänner nutzen die virtuelle Hauptversammlung ohne Publikum und damit Kritiker am Mittwoch aus. Für Joe Kaeser ist endgültig Schluss als Konzern-Chef. Zum Abschied bekam er ein „von Herzen kommendes virtuelles Geschenk“in Form eines seine „über 40 Jahre währende Hingabe an Siemens“würdigenden Films mit ihm als Hauptdarsteller. Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe bescheinigt dem scheidenden Vorstandsvorsitzenden: „Mit Ihnen geht eine Ära zu Ende. Sie haben Siemens von Grund auf erneuert. Die meisten hätten sich damit zufriedengegeben. Sie haben sich niemals zurückgelehnt.“
Mancher, der dermaßen mit Lob überschüttet würde, wäre errötet. Nicht so Kaeser. Sein dunkler Teint bleibt stabil. Er strahlt, lächelt jovial und lobt kräftig zurück: „Ohne Ihre Unterstützung, Herr Snabe, wäre das alles nicht möglich gewesen.“
Dann setzen die gegenseitigen Ehrbezeugungen von Kaeser und seinem Nachfolger Roland Busch ein. Der alte Konzern-Lenker würdigt den neuen: „Die Siemens AG braucht eine Person an der Spitze, die ein tiefes Verständnis von digitalen Technologien hat. Diese Person Roland Busch.“Letzterer errötet ebenfalls nicht und bestätigt seinem Vorgänger: „Du hast dir vorgenommen, den Konzern in besserer Verfassung an deinen Nachfolger zu übergeben. Dieses Versprechen hast du gehalten.“
Kaeser will seine gut sieben Jahre an der Siemens-Spitze dann doch nachdenklicher ausklingen lassen: Der Niederbayer erinnert an einen Artikel des Ökonomen Milton Friedman, der vor 50 Jahren in der New York Times erschienen ist. Dabei missfällt dem in den vergangenen Jahren immer mehr als Kritiker eines außer Rand und Band geratenen Kapitalismus auftretenden Kaeser schon die Überschrift des Textes: „Die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens ist es, den Gewinn zu maximieren.“Für den Siemensianer kann die kurzfristige Rendite-Maximierung nicht der Sinn eines Unternehmens sein. Ihm widerstrebt die angelsächsische Philosophie mit dem Motto: „The business of business ist business.“
Dem stellt der Deutsche die Einstellung des Konzern-Ahnherren Werner von Siemens entgegen, der vor 150 Jahren der Meinung war, dass ein Unternehmen den Erfindergeist zum Wohle der Menschen, ja, im Interesse der Gesamtheit einsetzen solle. Manager müssten eben bei ihren Entscheidungen auch die der Gesellschaft als „höheres Gesetz“einbeziehen. Damit hat es Kaeser gerechtfertigt, mit einer Klimaschützerin wie Luisa Neubauer zu sprechen und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Er beschreibt seinen Ansatz als „inklusiven“, also einbeziehenden Kapitalismus im Gegensatz zum Raubtier- oder Kasino-Kapitalismus. Derlei Ausfühheißt rungen wirken exotisch auf Aktionärstreffen, wo meist der schnöde Mammon im Vordergrund steht.
Wie passen aber moralische Bekenntnisse zur Nachricht, dass Siemens Energy 7800 von 92000 Arbeitsplätzen streichen will? Dafür musste sich Kaeser kritisieren lassen, was ihn nicht kaltlässt. Wie immer, wenn er wegen eines Stellenabbaus Prügel bezog, verweist der Manager auf die insgesamt positive Beschäftigungsentwicklung bei Siemens: „Seit 2013 ist die vergleichbare Anzahl der Mitarbeiter um netto 19000 gestiegen.“Und Kaeser fügt zum Beleg, dass nicht nur seine wirtschaftliche, sondern auch personelle Bilanz tadellos ist, hinzu: „Für Mitarbeiter in strukturschwachen Regionen haben wir einen Zukunftsfonds mit bis zu 100 Millionen Euro bereitgestellt.“Das schließe nicht aus, dass in einzelnen Bereichen wegen struktureller Probleme wie jetzt bei Siemens Energy Jobs wegfallen. So weit die Verteidigungsrede des Managers. Immer wieder beteuert er, ihm lägen Aktionärsund Mitarbeiterinteressen gleichermaßen am Herzen. Manchmal stoßen sich die Widersprüche bei Siemens aber offen im Raum.
Kaeser ist auch am letzten Tag als Konzern-Boss für eine Überraschung gut. Bei seiner Abschiedsvorstellung erinnert er ausgerechnet an die schwärzeste Zeit der Firmengeschichte, als am 15. November 2006 die Siemens-Büros in München von 200 Polizeibeamten durchsucht wurden. Eine der größten Korruptionsaffären in der Wirtschaftsgeschichte wurde offenbar. Dass der Skandal ein glimpfliches Ende nahm, erinnert sich Kaeser, sei auch das Verdienst seines VorgänInteressen gers Peter Löscher. Nun lobt der scheidende Siemens-Chef Manager, die schon lange nicht mehr von offizieller Konzernseite derart viel Anerkennung erfahren haben. Auch der ehemalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger, der in dem Schmiergeld-Skandal tragisch unter die Räder kam und Suizid beging, wird von Kaeser beinahe rehabilitiert: „Er hat am stärksten auf die Einhaltung von Compliance-Regeln und auf das Umsteuern von Praktiken vergangener Zeiten gedrängt. Er versuchte das Unheil abzuwenden und hat am Ende den höchsten Preis bezahlt. Mit seinem Leben.“Kaeser will versöhnen und Gräben des Zwistes zuschütten.
Auch für den als Folge des Korruptionsskandals von seinen Ämtern zurückgetretenen einstigen Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat Kaeser gute Worte übrig, schließlich habe er früh die Potenziale des asiatischen Marktes erkannt. Auch wenn in den späten Teil seiner Amtszeit ein dunkles Kapitel der Unternehmensgeschichte gefallen sei, „ist es doch angemessen, seine Lebensleistung ausdrücklich zu würdigen“. Von Pierer ist 80 geworden und guter Dinge. Unserer Redaktion sagt er. „Ich habe stets versucht, die Interessen der Mitarbeiter zu wahren. Beschäftigte müssen gerne für einen Chef arbeiten.“