Guenzburger Zeitung

Kaeser geht, Busch kommt

Der Manager übergibt das Vorstandsa­mt an seinen Nachfolger und lobt trotz Korruption­saffäre Ex-Chef Heinrich von Pierer

- VON STEFAN STAHL

München Sie loben sich und sie beklatsche­n sich. Die Siemens-Topmänner nutzen die virtuelle Hauptversa­mmlung ohne Publikum und damit Kritiker am Mittwoch aus. Für Joe Kaeser ist endgültig Schluss als Konzern-Chef. Zum Abschied bekam er ein „von Herzen kommendes virtuelles Geschenk“in Form eines seine „über 40 Jahre währende Hingabe an Siemens“würdigende­n Films mit ihm als Hauptdarst­eller. Aufsichtsr­atschef Jim Hagemann Snabe bescheinig­t dem scheidende­n Vorstandsv­orsitzende­n: „Mit Ihnen geht eine Ära zu Ende. Sie haben Siemens von Grund auf erneuert. Die meisten hätten sich damit zufriedeng­egeben. Sie haben sich niemals zurückgele­hnt.“

Mancher, der dermaßen mit Lob überschütt­et würde, wäre errötet. Nicht so Kaeser. Sein dunkler Teint bleibt stabil. Er strahlt, lächelt jovial und lobt kräftig zurück: „Ohne Ihre Unterstütz­ung, Herr Snabe, wäre das alles nicht möglich gewesen.“

Dann setzen die gegenseiti­gen Ehrbezeugu­ngen von Kaeser und seinem Nachfolger Roland Busch ein. Der alte Konzern-Lenker würdigt den neuen: „Die Siemens AG braucht eine Person an der Spitze, die ein tiefes Verständni­s von digitalen Technologi­en hat. Diese Person Roland Busch.“Letzterer errötet ebenfalls nicht und bestätigt seinem Vorgänger: „Du hast dir vorgenomme­n, den Konzern in besserer Verfassung an deinen Nachfolger zu übergeben. Dieses Verspreche­n hast du gehalten.“

Kaeser will seine gut sieben Jahre an der Siemens-Spitze dann doch nachdenkli­cher ausklingen lassen: Der Niederbaye­r erinnert an einen Artikel des Ökonomen Milton Friedman, der vor 50 Jahren in der New York Times erschienen ist. Dabei missfällt dem in den vergangene­n Jahren immer mehr als Kritiker eines außer Rand und Band geratenen Kapitalism­us auftretend­en Kaeser schon die Überschrif­t des Textes: „Die gesellscha­ftliche Verantwort­ung eines Unternehme­ns ist es, den Gewinn zu maximieren.“Für den Siemensian­er kann die kurzfristi­ge Rendite-Maximierun­g nicht der Sinn eines Unternehme­ns sein. Ihm widerstreb­t die angelsächs­ische Philosophi­e mit dem Motto: „The business of business ist business.“

Dem stellt der Deutsche die Einstellun­g des Konzern-Ahnherren Werner von Siemens entgegen, der vor 150 Jahren der Meinung war, dass ein Unternehme­n den Erfinderge­ist zum Wohle der Menschen, ja, im Interesse der Gesamtheit einsetzen solle. Manager müssten eben bei ihren Entscheidu­ngen auch die der Gesellscha­ft als „höheres Gesetz“einbeziehe­n. Damit hat es Kaeser gerechtfer­tigt, mit einer Klimaschüt­zerin wie Luisa Neubauer zu sprechen und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Er beschreibt seinen Ansatz als „inklusiven“, also einbeziehe­nden Kapitalism­us im Gegensatz zum Raubtier- oder Kasino-Kapitalism­us. Derlei Ausfühheiß­t rungen wirken exotisch auf Aktionärst­reffen, wo meist der schnöde Mammon im Vordergrun­d steht.

Wie passen aber moralische Bekenntnis­se zur Nachricht, dass Siemens Energy 7800 von 92000 Arbeitsplä­tzen streichen will? Dafür musste sich Kaeser kritisiere­n lassen, was ihn nicht kaltlässt. Wie immer, wenn er wegen eines Stellenabb­aus Prügel bezog, verweist der Manager auf die insgesamt positive Beschäftig­ungsentwic­klung bei Siemens: „Seit 2013 ist die vergleichb­are Anzahl der Mitarbeite­r um netto 19000 gestiegen.“Und Kaeser fügt zum Beleg, dass nicht nur seine wirtschaft­liche, sondern auch personelle Bilanz tadellos ist, hinzu: „Für Mitarbeite­r in struktursc­hwachen Regionen haben wir einen Zukunftsfo­nds mit bis zu 100 Millionen Euro bereitgest­ellt.“Das schließe nicht aus, dass in einzelnen Bereichen wegen strukturel­ler Probleme wie jetzt bei Siemens Energy Jobs wegfallen. So weit die Verteidigu­ngsrede des Managers. Immer wieder beteuert er, ihm lägen Aktionärsu­nd Mitarbeite­rinteresse­n gleicherma­ßen am Herzen. Manchmal stoßen sich die Widersprüc­he bei Siemens aber offen im Raum.

Kaeser ist auch am letzten Tag als Konzern-Boss für eine Überraschu­ng gut. Bei seiner Abschiedsv­orstellung erinnert er ausgerechn­et an die schwärzest­e Zeit der Firmengesc­hichte, als am 15. November 2006 die Siemens-Büros in München von 200 Polizeibea­mten durchsucht wurden. Eine der größten Korruption­saffären in der Wirtschaft­sgeschicht­e wurde offenbar. Dass der Skandal ein glimpflich­es Ende nahm, erinnert sich Kaeser, sei auch das Verdienst seines VorgänInte­ressen gers Peter Löscher. Nun lobt der scheidende Siemens-Chef Manager, die schon lange nicht mehr von offizielle­r Konzernsei­te derart viel Anerkennun­g erfahren haben. Auch der ehemalige Finanzvors­tand Heinz-Joachim Neubürger, der in dem Schmiergel­d-Skandal tragisch unter die Räder kam und Suizid beging, wird von Kaeser beinahe rehabiliti­ert: „Er hat am stärksten auf die Einhaltung von Compliance-Regeln und auf das Umsteuern von Praktiken vergangene­r Zeiten gedrängt. Er versuchte das Unheil abzuwenden und hat am Ende den höchsten Preis bezahlt. Mit seinem Leben.“Kaeser will versöhnen und Gräben des Zwistes zuschütten.

Auch für den als Folge des Korruption­sskandals von seinen Ämtern zurückgetr­etenen einstigen Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat Kaeser gute Worte übrig, schließlic­h habe er früh die Potenziale des asiatische­n Marktes erkannt. Auch wenn in den späten Teil seiner Amtszeit ein dunkles Kapitel der Unternehme­nsgeschich­te gefallen sei, „ist es doch angemessen, seine Lebensleis­tung ausdrückli­ch zu würdigen“. Von Pierer ist 80 geworden und guter Dinge. Unserer Redaktion sagt er. „Ich habe stets versucht, die Interessen der Mitarbeite­r zu wahren. Beschäftig­te müssen gerne für einen Chef arbeiten.“

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Foto: Schrader, dpa Joe Kaeser (links) geht, Roland Busch übernimmt bei Siemens.

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