Jeanne d’Arc: Heldin aus dem Volk
Vor 600 Jahren gelebt, seit 100 Jahren heilig – erst jetzt aber gibt es Klarheit über die kriegerische Jungfrau
Der Skandal machte Geschichte: Eine Jungfrau in Männerkleidern! Ihre Anfeuerung beflügelte Ritter und Bürger Frankreichs, den Kampf gegen die ihr Land besetzenden Engländer erfolgreich zu führen. Das alles ist 600 Jahre her. Aber was geht uns das heute an?
Das Leben und Sterben der Jeanne d’Arc hat die Bühnen, die Kinos und dank Bertolt Brecht auch die Schlachthöfe erobert. In Frankreich wurde sie von Voltaire geschmäht, von der Revolution, aber auch von dem faschistischen Regime von Vichy vereinnahmt. Als Ketzerin in Hosenrolle wurde sie in Orleans auf dem Scheiterhaufen verbrannt, später, im Jahre 1920 wurde sie päpstlich heiliggesprochen. Um diese einmalige Karriere ranken sich viele Legenden, Behauptungen, Fälschungen. In dieses kurze Leben und jahrhundertelanges Nachleben bringt jetzt der emeritierte Professor für Neue Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Gerd Krumeich die heute mögliche Klarheit und Wahrheit.
Seine Biografie ist ein wissenschaftliches Werk. Es liest sich wegen der unglaublichen Geschichte der „heiligen Johanna“und der Einbettung dieser Geschichte in eine spannende Zeit wie ein glänzend geschriebener Roman mit Fußnoten und Bibliografie. Seine Protagonistin besticht durch ihre einfache, mutige und völlig uneigennützige Art, eine heroische Frauengestalt aus dem Volk, die intelligent war und schlagfertig sein, aber weder lesen noch schreiben konnte.
An der Schnittstelle zwischen spätem Mittelalter und früher Neuzeit geht es um Politik, eine tiefe Krise der noch nicht reformierten Kirche, Militärisches und den letzten großen Inquisitionsprozess. Jeanne, die zu ihrer Zeit „Pucelle“genannt wurde, ist ca. 1412 in Domrémy geboren. Heute ist es ein winziger Wallfahrtsort im Département Vosges. Als sie acht war, schlossen die Könige von England und Frankreich in Troyes einen Vertrag über eine Doppelmonarchie beider Länder. Der französische Thronfolger Karl VII. wurde enterbt und von der Thronfolge ausgeschlossen. Nach dem Tode der beiden Könige 1422 schlossen die Engländer einen Vertrag mit Burgund in Amiens. Beide hielten die Hälfte Frankreichs besetzt. Das ist die politische Ausgangslage, in die die jugendliche Jeanne hineinwächst.
Sie ist ein frommes Mädchen und hört Stimmen, die ihr den göttlichen Auftrag erteilen, die von den Engländern belagerte Stadt Orleans zu befreien, den international nicht anerkannten Karl VII. in Reims zum König krönen zu lassen und die Engländer aus dem ganzen Land zu vertreiben. Krumeich diskutiert diesen „göttlichen“Auftrag im Lichte der damaligen Zeit. Er zieht mit Jeanne nach Orleans, beschreibt die stets skeptisch bleibende Haltung von Karl VII. gegenüber seiner aus einfachen Verhältnissen stammenden Kämpferin. Der lässt sie aber wegen ihres bei Rittern wie Bürgern wachsendem Charismas gewähren. Sie führt die Truppen vor Orleans an, besiegt die Engländer dort am 8. Mai 1429. Sie führt die Truppen nach Reims, überzeugt die dortige Bevölkerung von der „gerechten“Sache des Königs und setzt dessen Salbung und Krönung im Juli desselben Jahres durch. Militärisch beschreibt Krumeich den beginnenden Übergang vom Ritterkrieg zum Volkskrieg. Vor Paris scheitert Jeanne dann und wird im Mai 1430 von den Engländern vor Compiègne gefangen genommen und der Inquisition ausgeliefert.
Hier setzt die Schilderung des im Jahr darauf beginnenden Verdammungsprozesses ein. Der Autor überzeugt mit einer für einen Historiker beeindruckenden Kenntnis des kanonischen Rechts, er entwirft ein eindrucksvolles Panorama der heute kaum vorstellbaren katholischen Welt der damaligen Zeit. Natürlich war dieser kirchenrechtliche Prozess politisch, weil die von den Engländern gefürchtete und gehasste Jeanne auf alle Fälle aus dem Verkehr gezogen werden musste. Das geschah am 30. Mai auf dem Scheiterhaufen vor der Kathedrale von Rouen. Als sich der politische Wind gedreht hatte, fand zwanzig Jahre später ein Revisionsverfahren statt, in dem – wiederum vor dem Inquisitionsgericht in Rouen – das Todesurteil aufgehoben und sie kirchenrechtlich rehabilitiert wurde. Seitdem ist diese Frau bewundert und umstritten. In Krumeichs Biografie erwächst sie zu einer auch wissenschaftlich beglaubigten geschichtlichen Größe.
» Gerd Krumeich: Jeanne d’Arc, Sehe rin, Kriegerin, Heilige – Eine Biografie C.H. Beck, München 2021, 399 S., 28 ¤