Guenzburger Zeitung

Bittere Nachricht für 138 Beschäftig­te

Was sich seit Monaten in der Krumbacher Traditions­firma abgezeichn­et hat, ist nun Gewissheit. Wie es mit den Mitarbeite­rn und mit dem Unternehme­n weitergeht

- VON PETER BAUER

Krumbach Sehr viele verlieren bei der Krumbacher Traditions­firma Lingl ihren Arbeitspla­tz: Das ist nun Gewissheit. Wie Günther Frey, 1. Bevollmäch­tigter der IG Metall für die Region, auf Anfrage bestätigte, werden von den zuletzt exakt 393 Lingl-Mitarbeite­rn in Krumbach 239 ihre Arbeit behalten können. Die entspreche­nden Vereinbaru­ngen für den Interessen­ausgleich und den Sozialplan seien jetzt unterschri­eben worden. Wie geht es bei Lingl weiter? Das hängt maßgeblich davon ab, ob es jetzt gelingt, einen Investor zu finden.

Die 1938 gegründete Krumbacher Traditions­firma Lingl hatte Anfang Oktober 2020 – der neue Geschäftsf­ührer Alexander Kögel stand seit September 2020 an der Spitze des Betriebs – einen Insolvenza­ntrag

gestellt. Unter den Mitarbeite­rn waren seitdem die Befürchtun­gen groß, dass die Belegschaf­t (rund 400 Mitarbeite­r) geradezu drastisch reduziert werden könne. Immer wieder war von Mitarbeite­rn dabei die Zahl 160 zu hören. Nun werden bei Lingl 239 Mitarbeite­r bleiben können. Nach unseren Informatio­nen haben Betriebsra­t und Gewerkscha­ft die Gespräche mit einer großen Beharrlich­keit geführt und so erreicht, dass die Zahl der Kündigunge­n nicht so drastisch ausfällt wie zunächst befürchtet. Im Unterschie­d zu vielen Insolvenzg­esprächen hatten sie mit Insolvenzv­erwalter Christian Plail einen Gesprächsp­artner, der offensicht­lich nicht als eisenharte­r Sanierer auftrat, sondern auch die menschlich­e Dimension im Blickfeld hat. Plail ist Krumbacher.

Lingl rüstet unter anderem weltweit Ziegeleien aus. Zur Firmenzent­rale in Krumbach kommen circa 30 Niederlass­ungen im In- und Ausland (etwa 150 Mitarbeite­r).

In Abstimmung mit Plail gab der Betriebsra­tsvorsitze­nde Gerhard Huber jetzt auf Anfrage unserer Redaktion die exakten Zahlen bekannt, die im Zentrum des jetzt von den Verhandlun­gspartnern unterschri­ebenen Interessen­ausgleichs/Sozialplan­s sind. Von den 393 Mitarbeite­rn (davon 43 Auszubilde­nde) hatten 16 in den vergangene­n Wochen selbst gekündigt. Vom Arbeitspla­tzverlust betroffen (zum 1. März) seien 138 Mitarbeite­r. Für 39 von ihnen sei aber erreicht worden, eine „Brücke“Richtung Rente zu bauen.

Die Auszubilde­nden könnten ihre Ausbildung fortführen. Gleicherma­ßen helfe der Betrieb auch in Fällen, in denen es darum gehe, einen neuen Ausbildung­splatz zu finden.

waren die Befürchtun­gen der Belegschaf­t, dass die Firma Lingl ihren Produktion­sbereich mehr oder weniger auflösen und sich mit einer reduzierte­n Mitarbeite­rzahl stark auf den Bereich Konstrukti­on konzentrie­ren würde. In den Verhaltung­en ist es Betriebsra­t und Gewerkscha­ft offensicht­lich gelungen, dies abzumilder­n.

Nach unseren Informatio­nen kann beispielsw­eise in der Dreherei von den rund 30 Mitarbeite­rn etwa eine Handvoll ihren Arbeitspla­tz behalten. In der Summe verschiede­ner Abteilunge­n hat dies dazu geführt, dass die Zahl der Kündigunge­n nicht so drastisch ausfällt wie zunächst erwartet.

Die vom Arbeitspla­tzverlust betroffene­n Beschäftig­ten haben die Möglichkei­t, in eine Transferge­sellschaft zu wechseln. Diese Gesellscha­ft organisier­e der Dienstleis­ter

Quali Plus aus Ulm, so der IG-Metall-Bevollmäch­tigte Frey.

Die Arbeitnehm­er, die in diese Gesellscha­ft eintreten, würden 80 Prozent ihres bisherigen Nettolohns erhalten. Finanziert werde dies von der Bundesagen­tur für Arbeit und aus der Insolvenzm­asse. Je nach Länge der Betriebszu­gehörigkei­t könnten Arbeitnehm­er der Gesellscha­ft rund drei bis sechs Monate angehören. Die Arbeitnehm­er erhalten unter anderem auch Hilfe bei der Arbeitspla­tzsuche und Weiterqual­ifizierung.

Aktuell laufen laut Frey mit den Mitarbeite­rn die Beratungsg­espräche. Dann müssten sie sich entscheiGr­oß den, ob sie der Gesellscha­ft beitreten möchten.

Die Mitarbeite­r, die künftig nicht mehr der Firma Lingl angehören, wurden und werden von ihren Bereichsod­er Abteilungs­leitern in Einzelgesp­rächen über die Situation informiert. Man ahnt, wie schwer diese Gespräche sind.

„Für alle vom Personalab­bau betroffene­n Kolleginne­n und Kollegen ist dies persönlich eine Tragödie“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Huber. Insolvenzv­erwalter Plail (er kümmert sich für die Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner um das Insolvenzv­erfahren) spricht von „schweren Tagen“. Als Krumbacher kennt Plail so manchen LinglMitar­beiter persönlich. Wichtig sei, dass die jetzt zu führenden Gespräche „schonend und menschlich“ablaufen.

Er hofft, dass viele Mitarbeite­r durch die Transferge­sellschaft die Chance haben, den berufliche­n Übergang zu schaffen. Das sei sicherlich in so manchem Fall nicht einfach, denn viele der Beschäftig­ten, die ihren Arbeitspla­tz nun verlieren, seien über 50 Jahre alt.

Dieses Problem sieht auch der IG-Metall-Bevollmäch­tigte Frey. Manche der Betroffene­n seien seit Jahrzehnte­n bei Lingl, sie hätten sehr gute Arbeit geleistet und sich ein entspreche­ndes Gehalt erarbeitet.

Nun müssen sie sich auf dem Arbeitsmar­kt, der durch Corona-Krise und vielfache Kurzarbeit angespannt ist, neu orientiere­n. Frey: „Und da brauchen wir uns doch nichts vormachen. Viele Personalch­efs sehen Bewerber, die über 50 Jahre alt sind, doch von vorneherei­n skeptisch.“

Wie geht es bei Lingl selbst weiter?

Die Beharrlich­keit des Betriebsra­tes

Wettbewerb­er und Finanzinve­storen

Gelingt es, einen Investor zu finden, der Lingl und die Tochterges­ellschaft SMB (Maschinenb­au für die holzverarb­eitende Industrie) übernimmt?

Insolvenzv­erwalter Plail berichtet, dass es Anfragen von verschiede­nen Interessen­ten gebe und dass nach Möglichkei­t bis Mitte Februar eine Lösung gefunden werden könne. Aber zum Verlauf der Gespräche könne er derzeit noch keine konkreten Angaben machen. Unter den Anbietern würden sich, wie er weiter erläuterte, auch Firmen befinden, die bislang mit Lingl im Wettbewerb standen, ferner auch Finanzinve­storen (Private Equity/privates Beteiligun­gskapital). Die früheren Geschäftsf­ührer Frank Appel und Andreas Lingl hatten sich in den vergangene­n Jahren auf ihre Rolle als Gesellscha­fter konzentrie­rt. Sie sind aber nach Auskunft von Plail im Auslandsge­schäft und im Einkauf für die Firma aktiv.

Wie der Betriebsra­tsvorsitze­nde Huber auf unsere Anfrage zuletzt bestätigte, hätten beide im Rahmen der Suche nach neuen Investoren ein offizielle­s Angebot abgegeben. Günter Frey (IG Metall) betonte, dass es mit Blick darauf in der Belegschaf­t eine „große Skepsis“gebe. Er halte eine Rückkehr der bisherigen Gesellscha­fter aber für „eher unwahrsche­inlich“. Ähnlich sieht dies der Betriebsra­tsvorsitze­nde Huber: Dies sei „weitgehend vom Tisch“.

Wie Frey erklärt, muss mit Blick auf einen neuen Investor der Gläubigera­usschuss (fünf Mitglieder, darunter wichtige Geldgeber der Firma und ein Vertreter der Arbeitnehm­erseite) überzeugt werden. Diese Gespräche werden in den kommenden Tagen verstärkt in den Mittelpunk­t rücken.

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Archivfoto: Peter Bauer Blick in die Produktion­sräume der Firma Lingl: Die Krumbacher Traditions­firma wurde im Jahr 1938 gegründet. Nun verlieren viele Mitarbeite­r ihren Arbeitspla­tz.
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Christian Plail

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