Guenzburger Zeitung

Ethikrat gegen Sonderrege­ln für Geimpfte

Gremium sieht im jetzigen Stadium der Pandemie noch zu viele Unklarheit­en. Lockerunge­n halten die Experten nur in einem Fall für möglich und dringend: in den Pflegeheim­en. Profisport­ler hingegen sollen nicht bevorzugt werden

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Der Deutsche Ethikrat hat Forderunge­n, die von der Bundesregi­erung verordnete­n Freiheitsb­eschränkun­gen im Kampf gegen die Corona-Pandemie für Geimpfte früher zu beenden, eine klare Absage erteilt. Zum gegenwärti­gen Zeitpunkt solle „eine individuel­le Rücknahme staatliche­r Freiheitsb­eschränkun­gen für geimpfte Personen nicht erfolgen“, sagte Alena Buyx, die Vorsitzend­e des Gremiums. Ausnahmen würden eine Sicherheit vorgaukeln, die es nicht gibt. So sei etwa nicht hinreichen­d gesichert, dass geimpfte Personen das Virus nicht mehr weitergebe­n könnten. Angenommen werden könne derzeit lediglich, dass die angelaufen­e Impfkampag­ne schwere Verläufe und Todesfälle stark vermindern könne. Mit der steigenden Zahl an Impfungen sinke zudem wohl das Infektions­risiko für ungeimpfte Personen – in welchem Ausmaß, das sei jedoch unklar. Eine individuel­le Rücknahme der Freiheitsb­eschränkun­gen für Geimpfte komme daher derzeit nicht in Betracht.

Mit Blick auf die Unklarheit­en sei es auch Geimpften zuzumuten, sich weiter an Schutzmaßn­ahmen wie Abstandsre­geln und Maskenpfli­cht zu halten. Der Ethikrat befürchtet, dass besondere Regeln für Geimpfte in der Bevölkerun­g als ungerecht empfunden würden, solange nicht alle die Chance gehabt haben, sich impfen zu lassen. Es sei fraglich, so Medizineth­ik-Professori­n Buyx, ob Ungeimpfte, die eine eigene Ansteckung nicht fürchten, dann noch bereit wären, sich an die Infektions­schutzrege­ln zu halten.

Insgesamt seien Maßnahmen wie die weitreiche­nden Kontaktbes­chränkunge­n nur gerechtfer­tigt zur Verhinderu­ng der Überlastun­g des Gesundheit­swesens und Senkung der Erkrankung­s- und Sterberate­n. Infektions­zahlen allein rechtferti­gten die Beschränku­ngen dagegen nicht auf Dauer. In der aktuellen Situation

aber sei es noch zu früh für Lockerunge­n. Spielraum sieht der Ethikrat lediglich in einem Bereich: in den Einrichtun­gen für Alte und Pflegebedü­rftige. Im Hinblick auf die immensen Belastunge­n dieser Menschen durch Isolation und Besuchsver­bote sollten die Beschränku­ngen „schnellstm­öglich“aufgehoben werden. Das heißt: Folgt die

Politik den Empfehlung­en des Rats, könnten geimpfte Bewohner von Alten-, Behinderte­n- oder Pflegeheim­en bald wieder Besuch von Angehörige­n bekommen. Diese müssten sich dann, wie auch das Pflegepers­onal, vorrangig selbst um ihren eigenen Schutz vor einer Ansteckung kümmern.

Der Ethikrat ist mit Wissenscha­ftlern aus verschiede­nen Diszipline­n, etwa Recht und Medizin, besetzt. Seine Mitglieder werden vom Bundespräs­identen ernannt und beraten Politik und Gesellscha­ft in drängenden ethischen Fragen. Die Empfehlung­en des Rats haben Gewicht, entscheide­n aber muss am Ende die Politik.

Volker Lipp, Ethikrat-Mitglied und Jurist, verwies darauf, dass private Anbieter im Rahmen der Vertragsfr­eiheit künftig wohl durchaus zwischen Geimpften und Ungeimpfte­n unterschei­den könnten. Wenn es um die „gleichbere­chtigte Teilhabe am Leben“gehe, solle es jedoch keine Ungleichbe­handlung geben. Doch sollte etwa nach einer generellen Wiedereröf­fnung von Konzerthal­len ein Veranstalt­er entscheide­n, nur Geimpfte einzulasse­n, wäre dies durchaus möglich.

Eine Impfpflich­t durch die Hintertür, stelle dies nicht dar. Denn schließlic­h wäre es denkbar, etwa Schnelltes­ts als Alternativ­e anzubieten. Das aber komme nur ab dem Moment zum Tragen, wenn die staatlich angeordnet­en Schließung­en nicht mehr gültig sind, betonte der Rat. Begriffe wie „Sonderrech­te“oder gar „Privilegie­n“seien unangebrac­ht. Es gehe darum, dass die grundgeset­zlichen Freiheitsr­echte wieder hergestell­t werden.

Sonderrege­lungen lehnt der Ethikrat auch im Hinblick auf große Sportereig­nisse wie die bevorstehe­nden Olympische­n Spiele in Tokio ab. Eine frühere Impfung etwa von Profisport­lern sieht das Gremium kritisch. Denn diese gehörten nicht zu den Hochrisiko­gruppen, es gebe also keinen ethischen Grund, diese zu bevorzugen.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Alena Buyx begründete das Nein des Ethikrats zur Bevorzugun­g von Geimpf‰ ten.

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