„Liebe Kollegen, liebe Frau Schoske“
Über 30 Jahre hat Sylvia Schoske in München das Museum Ägyptischer Kunst geleitet, für das sie einen Neubau erkämpft hat. Sie war anfangs die jüngste Museumsdirektorin und gleichzeitig die einzige Frau in dieser Position
Frau Schoske, kürzlich haben Sie voller Elan das Jahresprogramm vorgestellt, als wollten Sie das alles selbst umsetzen. Nun machen Sie sich heimlich aus dem Wüstenstaub. Warum so bescheiden?
Sylvia Schoske: Ich wollte kein großes Aufheben, es geht schließlich um die Sache und nicht um die Person. Und bei offiziellen Verabschiedungen wird es leicht sentimental.
Hätten Sie gerne weitergemacht? Schoske: Ja, aber mir wurde erklärt, dass generell nicht mehr verlängert wird. Ich war mir lange nicht sicher, das hat mir dann die Entscheidung abgenommen. Der Zeitpunkt, ein Haus zu übergeben, ist allerdings nicht der beste. In einer Krisensituation braucht es erfahrene Leute, die sich nicht von jeder kleinen Änderung ins Bockshorn jagen lassen. Auf der anderen Seite ist das Museum sehr gut aufgestellt, ich kann also guten Gewissens gehen.
Dabei haben Sie ein winziges Team. Schoske: Wir sind das staatliche Museum mit den wenigsten Mitarbeitern. Aber das Team ist hervorragend, deshalb konnten wir uns ein tolles Standing erarbeiten. Auch international sind wir ein hochgelobtes Haus.
Sie sind 32 Jahre lang Chefin des Museums gewesen.
Schoske: Und damit ein aussterbender Dinosaurier. Ich habe am Museum ja schon als studentische Hilfskraft angefangen – 1980 zur Tutanchamun-Ausstellung –, also von der Pike auf gelernt.
Und es ging schnell, 1989 sind Sie mit nur 34 Jahren Direktorin geworden. Schoske: Damals schrieben die Zeitungen, ich sei „der jüngste Museumsdirektor Deutschlands“. Stolz bin ich aber darauf, dass ich die erste Chefin eines staatlichen Museums in Bayern wurde. Und ich blieb viele
Jahre die Einzige! Dann hieß es immer bei den Direktorenkonferenzen „liebe Kollegen, liebe Frau Schoske“oder andersrum. Mit einem Hang zu etwas extravaganter Kleidung wird man leicht zum bunten Hund. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Auch in meiner Aufmüpfigkeit musste ich mich manchmal bremsen. Das war wichtig, um ernst genommen zu werden.
Sie haben damals Ihren Mann Dietrich Wildung beerbt, der Direktor am Ägyptischen Museum in Berlin und damit Hüter der Nofretete wurde. Die Kommentare in München waren nicht immer freundlich.
Schoske: Man bekommt aber eine dicke Haut und strengt sich besonders an. Ich musste klar durch Kompetenz überzeugen. Irgendwann hatte sich das beruhigt. Aber wir waren auch ziemlich blauäugig. Der schönste Satz kam übrigens vom damaligen Minister Wolfgang Wild, der sagte zu meinem Mann: „Mussten Sie diese Frau unbedingt heiraten, Sie hätten doch warten können!“
„Diese Frau“hat einen Museumsneubau im Kunstareal erkämpft. Die Besucherzahlen dürften seit dem Umzug 2013 in die Höhe geschossen sein? Schoske: Im ersten Jahr waren sie mit 120000 am höchsten. Da hieß es, wenn alle das Museum gesehen haben, gehen die Zahlen um mindestens 20, 30 Prozent zurück. Nun hat uns allen Unkenrufen zum Trotz 2019, das Jahr vor Corona, mit weit über 100000 Besuchern das beste Ergebnis seit der Eröffnung beschert. Das ging 2020 gleich so weiter. Aber vielleicht begreift man jetzt, dass Besucherzahlen nicht alles sind.
Und dass das lokale Publikum doch das wichtigste ist?
Schoske: Genau da haben wir im letzten Jahr eine interessante Erfahrung gemacht. In den wenigen Wochen, die wir zwischen Juli und Oktober wieder aufmachen durften, hatten wir praktisch die gleichen Besucherzahlen wie im Spitzenjahr 2019 – obwohl die Schulklassen nicht kommen durften und die internationalen Touristen ausgeblieben sind. Es waren die Münchner und die Bewohner aus der Region, die ihre Museen entdeckt haben.
Ihr Haus bietet auch im Netz viel. Schoske: Aber bei aller Digitalisierung, die wir von Anfang an forciert haben, wird das nie eine Konkurrenz zu wirklichen Objekten sein. In der kurzen Phase der Öffnung war oft zu hören: „Wie schön, dass wir die Originale wieder sehen können“. Viele Kollegen befürchten immer noch, das Digitale könnte den echten Museumsbesuch ersetzen. Im Gegenteil, das Netz macht eher Lust aufs Echte. Auch bei den Älteren gibt es kaum noch Berührungsängste. Allein auf unserem Youtube-Kanal hatten wir rund 10 000 Klicks. So viele Menschen könnten wir niemals im Vortragssaal unterbringen.
Sie haben auf Vermittlung gesetzt, als das an den Museen noch kein großes Thema war. Weil Sie eine Frau sind? Schoske: Ich würde eher sagen, das hat mit einem Teil meiner Biografie zu tun. Ich wollte immer ans Museum, weil man dort mit Originalen arbeiten und die Ergebnisse der Wissenschaft ans normale Publikum weitergeben kann. Schon in den Semesterferien habe ich durch Ausstellungen geführt.
Noch vor 40 Jahren war dieses Vermitteln gerade unter Wissenschaftlern nicht gut angesehen. Das spiegelt sich auch in der Fachliteratur wider.
Schoske: Ja, ja, wer es an der Uni nicht schafft, geht ans Museum oder „macht sich verständlich“. Das ist aber eine deutsche Besonderheit und in den meisten Ländern, gerade den angelsächsischen, ganz anders. Bei der Bewerbung um ein Stipendium habe ich damit selbst eine interessante Erfahrung gemacht.
Inwiefern?
Schoske: Ich wurde von meiner Hochschule für die Studienstiftung vorgeschlagen und bin in der ersten Runde fast durchgefallen. Warum? Weil ich in meine Bewerbung naiv das Berufsziel Museum geschrieben habe. Gefördert wurden damals aber nur rein wissenschaftlich orientierte Studenten. Mein Doktorvater Jan Assmann kam auf die Idee, einen Ägyptologen und Museumsdirektor als Gutachter einzuschalten.
Der konnte natürlich nicht gegen seine Institution sprechen.
Schoske: Ihm hat sogar imponiert, dass eine Anfang Zwanzigjährige mit einer so klaren Vorstellung antritt und partout ans Museum will. So hat mich mein Mann Dietrich Wildung kennengelernt, ohne mich zu kennen.
Wie schaut es mit Ihrer Nachfolge aus? Schoske: Das steht alles in den Sternen, die Stelle wird ausgeschrieben.
Was könnte man in diesem Museum noch verbessern?
Schoske: Die Digitalisierung weiter vorantreiben, ist sicher sehr wichtig. Irgendwann soll die Datenbank so gut gefüllt sein, dass man sie ins Netz stellen kann. Podcasts sind für die Besucher in Planung. Wir haben das Haus für andere Sparten geöffnet, für Performances, die Musik, da gibt es noch viel Potenzial. Obwohl wir weiter sind als viele andere Museen, ist das Thema Inklusion lange nicht abgeschlossen. Das betrifft ja viele Gruppen, auch Migranten, schlecht gestellte Senioren, Menschen mit Behinderung. Da hat Corona vieles ausgebremst.
Corona hat auch viele Prozesse beschleunigt. Wie sieht die Zukunft des Museums aus?
Schoske: Ich glaube, die Zeit der ganz großen Ausstellungen ist vorbei. Dass Kunstwerke dauernd durch die Welt reisen, ist schon lange fragwürdig, durch Corona sind nun die Grenzen aufgezeigt worden. Ewig lange Listen mit Leihgebern aus aller Welt, was sagt das? Ich habe immer überlegt, welche Stücke wir unbedingt brauchen, um eine Idee oder einen Inhalt zu vermitteln. Das war bei uns auch den Finanzen geschuldet. Wir konnten dieses Spiel dennoch mitspielen, weil wir begehrter Leihgeber waren.
Und Ihre Zukunft?
Schoske: Ich liebäugle mit der einen oder anderen Fachpublikation. Man sammelt ja über die Jahre Gedanken im imaginären Zettelkasten, dafür kommt jetzt die Zeit. Wir wollten immer unsere Medienstation zusätzlich in einfacher Sprache bespielen, das kann ich dieses Jahr machen. Ich bleibe im Hintergrund und spiele sicher nicht den Aufpasser. Da kenne ich zu viele negative Beispiele.
Das Netz macht eher Lust auf das Echte
Sehr positiv waren dagegen Ihre ägyptischen Eintöpfe zu den Sommerfesten. Schoske: Sie meinen die Bohnen? Da kann man sicher drüber reden.
Interview: Christa Sigg
Die Ägyptologin Sylvia Schoske aus Geislingen, Jahrgang 1955, hat in Heidelberg, Hamburg und München Ägyptologie sowie Klassische und Christliche Archäologie studiert und promovierte mit einer Arbeit über Ikonografie und Stilistik der Feind vernichtung im alten Ägypten. Seit 1989 leitet Schoske das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst.