Guenzburger Zeitung

Viel Spaß mit dem Kolonialis­mus

Nach „Floß der Medusa“widmet sich Franzobel in „Die Eroberung Amerikas“dem erfolglose­sten Entdecker

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Exkursion scheint doppelt clever. Erstens hat der österreich­ische Schriftste­ller Franzobel zuletzt mit dem historisch­en Roman „Das Floß der Medusa“den bislang größten Erfolg seiner nicht eben kurzen Autorenkar­riere gefeiert – da kann man, wo er sonst so vielfältig anderes geschriebe­n hat, nun schon mal sofort im gleichen Feld nachlegen.

Und zweitens: Während sich damals das tatsächlic­he Drama hinter einem berühmten Gemälde als Chiffre in der Zeit der Bootflücht­lingsdrame­n anbot – heute bilden die Debatten um Folgen der einstigen Kolonialis­ierung und der bis heute davon unterschwe­llig bewahrte Duktus das perfekte Umfeld für den neuen Roman. Rassismus, kulturelle­r Chauvinism­us…: Willkommen in der Kampfzone USA. Franzobel schreibt über die Urszene, „Die Eroberung Amerikas“vor bald 500 Jahren, die er betont und von der üblichen, im weißen Weltbild gründenden Pathos-Phrase abweichend eben nicht Entdeckung nennt. Und er hat sich dazu einen ganz besonderen Feldzug ausgesucht: den, der als der erfolglose­ste der Geschichte gilt, geführt vom Spanier Hernando de Soto, in den Jahren 1538 bis 1542.

Der hängt zwar bis heute in der Rotunde des kürzlich von TrumpAnhän­gern angegriffe­nen Kapitols, verewigt zu Pferde auf einem Gemälde bei der „Entdeckung“des Mississipp­i – aber nachdem er zuvor an der Seite Pizarros in Südamerika so verheerend wie erfolgreic­h gehaust hat, wurde seine Tour über

Kuba nach Florida Richtung Mexiko zum Fiasko. Was der ohnehin gerne saftig schildernd­e und frei von aller Verpflicht­ung auf den historisch­en Ton schreibend­e Franzobel nutzt, um eine Groteske der Grausamkei­t und des Versagens zu inszeniere­n. Was ja – wie im mitunter mächtig melodramat­ischen „Floß der Medusa“bereits – schon allein eine Zumutung bedeutet.

Aber Franzobel macht hier noch mehr. Er inszeniert im Gegenschni­tt dazu eine weitere Groteske in der Gegenwart, bei der ein Anwalt namens Trutz Finkelstei­n in einer Sammelklag­e gegen die USA die Rückgabe des gesamten Staatsgebi­ets an die Indigenen fordert. Und dann treibt er auch noch als Erzähler selbst grenzwerti­gen Schabernac­k. Nur zum Beispiel: Als de Soto einer

Szene beiwohnt, bei der Inseleinhe­imische zur Unterhaltu­ng der Eroberer von Kampfhunde­n zerfetzt werden, verzweifel­t er in Gedanken daran, dass er seine Geliebte nicht heiraten darf, weil sie die Tochter des Chefs ist – und nennt das „hundsgemei­n“! Haha? Auweia. Und immer wieder blendet sich auch der Erzähler selbst kommentier­end aus der Jetztzeit ein, wenn er etwa beschreibt, was die damals alles mitschlepp­ten, dagegen: „Im 21. Jahrhunder­t muss man am Flughafen jeden Nagelknips­er abgeben …“

So ist hier vor allem ein Autor zu erleben, der seinem Stoff nicht traut oder sich mit ihm gelangweil­t hat – und darum sein Buch zerstört.

» Franzobel: Die Eroberung Amerikas. Zsolnay, 544 S., 26 ¤

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Foto: Adobe.Stock Hernando de Soto, geboren um 1500, gestorben 1542

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