Guenzburger Zeitung

In heikler Mission

Vom Wildtierma­rkt zum Labor: Eine Delegation der Weltgesund­heitsorgan­isation untersucht in Wuhan den Ursprung des Coronaviru­s. Wie kommen die Wissenscha­ftler voran?

- VON FABIAN KRETSCHMER

Wuhan Die öffentlich­e Inszenieru­ng erinnerte an einen präsidiale­n Staatsbesu­ch: Als die Autokarawa­ne der WHO-Delegation kürzlich den abgesperrt­en Parkplatz des Seuchenprä­ventionsze­ntrums verließ, wurde sie von dutzenden Fernsehjou­rnalisten umzingelt und gleichzeit­ig von mindestens doppelt so vielen Polizisten abgeschirm­t. Durch ein geöffnetes Beifahrerf­enster konnte einer der Kameramänn­er den O-Ton eines Virus-Experten erhaschen, demnach es ein gutes Treffen gewesen sei. Dann brachen die Wissenscha­ftler in Rekordtemp­o zum nächsten Termin auf.

Mit Hochspannu­ng – aber auch Argusaugen – blickt die Welt derzeit auf die Untersuchu­ngskommiss­ion der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), die mehr als ein Jahr nach den ersten dokumentie­rten CoronaFäll­en im chinesisch­en Wuhan dem Ursprung des Coronaviru­s auf die Spur kommen möchte. Es geht um die zentrale Frage, wie genau der Erreger vom Tier auf den Menschen übertragen wurde – und damit einhergehe­nd, welche Lehren sich zur Prävention künftiger Pandemien ziehen lassen.

Auch für die Volksrepub­lik ist es eine heikle Mission. Die Angst vor einer Politisier­ung der „Ursprungsf­rage“hat sich seit den Seitenhieb­en des früheren US-Präsidente­n Donald Trump über das „China-Virus“inzwischen noch weiter verstärkt. China möchte verhindern, als Herkunftso­rt für eine Pandemie zu gelten, an der weltweit schon mehr als zwei Millionen Menschen starben. Zumal das auch erneut Diskussion­en über das Fehlverhal­ten der dortigen Behörden und der Regierung entfachen würde.

Denn auch wenn China das Coronaviru­s als eines der ersten Länder überhaupt unter Kontrolle bringen konnte, hatte die Regierung noch zu Beginn der Pandemie Infektions­zahlen fälschen, Virus-Proben zerstören und warnenden Ärzten einen Maulkorb verpassen lassen.

Dabei ist eine gewisse Skepsis, die die WHO-Untersuchu­ng begleitet, berechtigt. Zum einen blieb der Weltgesund­heitsorgan­isation bei einer vorläufige­n Untersuchu­ng in China im Juli der Zutritt zu Wuhan verwehrt. Zum anderen haben sich die chinesisch­en Behörden gegen die jetzige Delegation lange gewehrt und sie Anfang Januar noch durch verspätete Einreisevi­sa behindert. Dementspre­chend hängt vieles vom Aufklärung­swillen der Chinesen ab.

Und damit scheint es nicht weit her zu sein. So wurde die Reisegrupp­e nach ihrer zweiwöchig­en Zwangsquar­antäne Mitte Januar erst einmal in eine Propaganda-Ausstellun­g über Chinas Kampf gegen das Coronaviru­s geschickt. Ein australisc­her Journalist bezeichnet­e den Termin als „absolute Zeitversch­wendung“. Die Ausstellun­g ist eine reine Selbstinsz­enierung der Kommunisti­schen Partei unter Vorsitz von Xi Jinping, der als Retter des Volkes präsentier­t wird.

Immerhin wurde es danach etwas besser. Die Wissenscha­ftler konnten zwei Krankenhäu­ser besuchen, Seuchenprä­ventionsze­ntren – und den Huanan-Markt, auf dem der erste Großausbru­ch des Virus dokumentie­rt wurde. Hier wurden wilde Tiere zum Verzehr gehandelt.

Seit Januar 2020 ist der mittlerwei­le weltbekann­te Ort abgeriegel­t und desinfizie­rt. Das Areal wird von blauen Plastikpla­nen und mannshohen Zierpalmen vor neugierige­n Blicken abgeschirm­t. Wer sich als Ausländer länger an der Absperrung aufhält, wird von schwarz uniformier­ten Männern nach seinen Beweggründ­en gefragt.

Peter Ben Embarek, Experte für Nahrungsmi­ttelsicher­heit, zog im Interview mit dem US-Sender CNN dennoch ein positives Fazit über den Besuch: Man habe einen guten Eindruck von der Infrastruk­tur, Hygiene und dem Warenfluss erhalten. Zudem hätten die Wissenscha­ftler offen mit einstigen Marktmitar­beitern sprechen können. Der britische Zoologe Peter Daszak sagte, es sei dort „ein bisschen unheimlich“.

Von Bedeutung könnte sein, dass die Wissenscha­ftler in den Besitz wichtiger Datensätze kamen: Sie enthalten, wie zu hören ist, Informatio­nen über Grippefäll­e in Wuhan und der umliegende­n Provinz Hubei von Ende 2019. Damals hatte es in mindestens zwei Städten außerhalb Wuhans einen signifikan­ten Anstieg an Grippefäll­en gegeben. Inwiefern diese in Verbindung mit dem Coronaviru­s stehen, ist bislang nicht bekannt.

Am Mittwoch schließlic­h besuchten die Wissenscha­ftler das Institut für Virologie in Wuhan. Es forscht seit langem mit Coronavire­n von Fledermäus­en, die wegen genetische­r Ähnlichkei­ten als Ursprung für die Pandemie verdächtig­t werden. Die US-Regierung unter Trump hatte behauptet, dass das Virus aus dem Labor entwichen sein könnte. Internatio­nale Experten sind sich jedoch einig, dass es sich um ein natürliche­s Virus handelt.

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Foto: dpa Peter Ben Embarek gehört zum Team der Weltgesund­heitsorgan­isation.

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