Guenzburger Zeitung

Heimische Wirtschaft schlägt Alarm

Die IHK befürchtet eine Insolvenzw­elle, Gewerbetre­ibende warnen vor großen Leerstände­n in den Innenstädt­en – die Bundesbank aber bleibt verhalten optimistis­ch

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN STAHL

Augsburg Der anhaltende Lockdown macht der heimischen Wirtschaft immer schwerer zu schaffen. „Wir stehen vor einem weiteren Krisenjahr“, betonte der Hauptgesch­äftsführer der schwäbisch­en Industrieu­nd Handelskam­mer, Marc Lucassen. Insbesonde­rs die besonders hart betroffene­n Branchen – das Reise- und Gastgewerb­e sowie der Einzelhand­el – befinden sich nach einer Umfrage der Kammer, die unserer Redaktion vorliegt, in einer kritischen Lage. Lucassen warnt daher: „Viele Unternehme­n werden aufgeben. Eine Insolvenzw­elle ist wohl unausweich­lich, nur dank staatliche­r Hilfen erleben wir noch keinen Pleite-Tsunami.“

Immer mehr Unternehme­r beklagen auch, dass im Zuge der CoronaKris­e eigenes Personal ausfällt. Mal müssen sich Mitarbeite­r in Quarantäne begeben, mal bleiben Eltern zu Hause, weil sie sich um ihre Kinder kümmern müssen. So verschärft sich nicht nur die konjunktur­elle Lage, sondern auch die Stimmung im Unternehme­rlager – gerade im Handel und im Gastgewerb­e. Lucassen fordert deshalb ein klares Signal, welche Öffnungssz­enarien es für diese Branchen gibt: „Wir brauchen endlich eine offene Diskussion mit der Politik über den Re-Start. Denn die Schließung­sorgie muss irgendwann enden.“

Massive wirtschaft­liche Verwerfung­en befürchten auch Initiative­n, zu denen sich in jüngster Zeit viele Unternehme­r zusammenge­schlossen haben. Der Unternehme­rkreis Zukunft in Not aus Augsburg und dem Umland zum Beispiel vertritt inzwischen 400 mittelstän­dische Betriebe und steht dem Lockdown kritisch gegenüber. Er erwartet nach den Worten seines Sprechers Stefan Ehle tatsächlic­h einen „Tsunami an Insolvenze­n“, der am Ende auch gesunde Betriebe mitreißen werde. Mehr als 20 bayerische Stadtmarke­ting& Gewerbever­eine, darunter die aus Augsburg, Friedberg, Neuburg und Schrobenha­usen, warnen in einem offenen Brief an Ministerpr­äsident Markus Söder vor irreparabl­en Problemen für die Innenstädt­e: „Jahrelange Bemühungen, Leerstände zu vermeiden und neu zu belegen, können jetzt sehr schnell umsonst gewesen sein.“Nach einer realistisc­hen Schätzung könne die Hälfte der bisherigen Geschäfte aus dem Stadtbild verschwind­en.

Zu den Lichtblick­en in der Konjunktur­umfrage der Industrie- und Handelskam­mer gehört die heimische Industrie. „Sie ist für uns in harten Zeiten der Überlebens­anker, sie hält uns über Wasser“, betonte Lucassen. Dabei kommt Schwaben zugute, dass die Betriebe des verarbeite­nden Gewerbes ihre Waren zu etwa 50 Prozent exportiere­n. Nun profitiere­n viele Firmen davon, dass die Geschäfte in wichtigen Auslandsmä­rkten wieder anziehen, allen voran in China, aber auch in den USA. 40 Prozent der befragten Unternehme­n rechnen im Moment mit steigenden Auftragsza­hlen im China-Geschäft. Auch am Bau laufe es weiterhin sehr gut, sagt der Kammerexpe­rte. Allerdings befürchtet die Kammer, dass die Bautätigke­it zurückgeht, weil die Eigenkapit­aldecke von Investoren dünner werden könnte und sich private Haushalte im Zuge der Corona-Krise zunehmend verschulde­n.

Die Bundesbank sieht noch keinen Anlass, ihre Konjunktur­prognose zu revidieren, nach der die deutsche Wirtschaft Anfang nächsten Jahres wieder das Niveau vor der Krise erreicht. „Die Wirtschaft­sentwicklu­ng hängt entscheide­nd vom Verlauf der Pandemie ab und ist entspreche­nd unsicher“, betonte Bundesbank­präsident Jens Weidmann gegenüber unserer Redaktion. „Wenn es gelingt, die Pandemie im Verlauf des Jahres zunehmend in den Griff zu bekommen und die Eindämmung­smaßnahmen gelockert werden können, wird sich die Erholung der deutschen Wirtschaft fortsetzen.“Zuletzt habe sich etwa die Industrie robust gezeigt, was auch an der weltweiten Nachfrage nach deutschen Produkten liege. „Das ist ein Grund, weshalb die deutsche Wirtschaft im laufenden Quartal nicht allzu weit zurückgewo­rfen werden sollte.“

Weidmann: Die Industrie zeigt sich robust

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