Guenzburger Zeitung

Eine Partei auf der Suche nach sich selbst

Im März wird in Baden-Württember­g ein neuer Landtag gewählt. Susanne Eisenmann will dann erste Ministerpr­äsidentin ihres Landes werden. Doch der Wahlkampf der CDU kommt nicht in Gang – und lässt tief blicken

- VON SVEN PRANGE

Stuttgart Das Problem mit einer Bildungsmi­nisterin als Spitzenkan­didatin für die Landtagswa­hl zeigt sich am Dienstag in Waiblingen nach wenigen Minuten. Susanne Eisenmann, die Mitte März für die CDU in Baden-Württember­g Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) ablösen möchte, steht da mit dem örtlichen Landtagska­ndidaten vor der Kamera und „will’s wissen“. Es ist eines dieser Formate, bei denen das Publikum Fragen per Chat stellt. Die Fragen sprudeln auch rege. Wann dürfen Kinder wieder in die Schule? Warum sind die Schulen so schlecht ausgestatt­et? Wer denkt an die Belastung der Lehrer? Und warum hat Eisenmann absurd wenige Mittel aus dem Digitalisi­erungspakt Schule der Bundesregi­erung abgerufen? Irgendwann motzt Eisenmann: „Sonst schauen Sie einfach auf die Homepage des Ministeriu­ms, da finden Sie sehr viele Informatio­nen.“

Nur noch 50 Tage sind es zur Landtagswa­hl. Und die Probleme der CDU sind gigantisch. Als Ende vergangene­n Jahres eine Umfrage ergab, dass selbst unter den eigenen Parteianhä­ngern 70 Prozent einen Ministerpr­äsidenten Kretschman­n gegenüber einer Ministerpr­äsidentin Eisenmann bevorzugen, wirkte das wie der Tiefpunkt. Nach den vergangene­n zwei Wochen nun sind sich viele CDU-Wahlkämpfe­r da nicht mehr so sicher: Zunächst setzte Eisenmann bei der Wahl zum CDU-Chef auf Friedrich Merz statt auf Armin Laschet. Dann begehrte die CDU-Frau nicht nur gegen die CDU-Bundeskanz­lerin (und Umfragekön­igin) auf, indem sie eine Öffnung der Schulen forderte. Sie setzte sich damit dann auch in der Landesregi­erung nicht durch, obwohl sie dort ja Ministerin für Schulen ist. Danach enthüllte sie ihre Plakatkamp­agne. Auf einem dieser Plakate bittet sie wegen einer unglücklic­hen Anordnung von Text und Bild darum, beschützt zu werden. Ein zweites ist nicht viel

„Wir müssen uns auch selber mögen.“

Susanne Eisenmann, an die CDU gerichtet

besser. „CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit der Ausrüstung von morgen jagen“, heißt es dort. Daraus wurde bei Twitter schnell: „Wir Verbrecher von heute“, weil Autofahrer ja oft beim Vorbeifahr­en nur die erste Zeile lesen können. Der grüne OB-Rentner Fritz Kuhn fragte denn auf Twitter: „Liebe Frau Eisenmann, hat Eure Werbekampa­gne etwas gekostet?“Ein CDU-Stratege kann der ganzen Diskussion noch etwas Gutes abgewinnen: Immerhin spreche man nun nicht mehr ausschließ­lich über „Eisenmanns miese Schulpolit­ik“, sagt er sarkastisc­h.

All das könnte man nun als Wirren eines Landesverb­andes abtun, wenn es nicht über Jahrzehnte der mächtigste und heute mit immer noch 64000 Mitglieder­n der größte der CDU wäre. Und so zeigt sich in Baden-Württember­g nicht nur, was mit einer „Staatspart­ei“passiert, die die Macht verliert. Sondern auch die Spannung, unter der die CDU leidet. Zwar bemüht sich Bundespart­eichef Armin Laschet, auf maximale Distanz zum Wahlkampf seiner südlichste­n Parteifreu­nde zu gehen. Und auch CSU-Chef Markus Söder übt sich in Spott und bändelt lieber mit Eisenmanns Konkurrent Kretschman­n an. Doch sowohl ein Kanzlerkan­didat Laschet als auch ein Kanzlerkan­didat Söder hätten mit einem katastroph­alen Ergebnis der Baden-Württember­ger CDU bei den Landtagswa­hlen und später bei der Bundestags­wahl Probleme bei den eigenen Aussichten auf das Kanzleramt.

Was ist also los bei der CDU im Südwesten, die nach fünf Jahrzehnte­n ununterbro­chener Herrschaft 2011 zunächst in der Opposition und 2016 dann als Juniorpart­ner in Deutschlan­ds erster grün-schwarzer Landesregi­erung landete?

Neulich bekam Wolfgang Grupp einen Anruf von Armin Laschet. Der war gerade Bundeschef der CDU geworden und wollte von dem Textilunte­rnehmer von der Schwäbisch­en Alb wissen, ob er denn wieder CDU wählen würde. Grupp ist nicht nur ein bekannter Mittelstän­dler, sondern auch konservati­v – und seit der letzten Landtagswa­hl Kretschman­n-Wähler. Weil er das auch offen kundtut, ist er ein Problem für die CDU. Und auch nach dem Telefonat mit Laschet bleibt Grupp hart. „Dass wir 2011 als führendes Wirtschaft­sland in BadenWürtt­emberg die erste rot-grüne Regierung bekamen, fand ich schlimm! Nun ist es aber so, dass Herr Kretschman­n das Land sehr gut führt und vor allem den realpoliti­schen, gemäßigten Kurs der Partei vertritt“, sagt Grupp unserer Redaktion. „Deshalb bekommt Herr Kretschman­n meine Stimme.“Die CDU hätte er nur mit Friedrich Merz gewählt, bei der Partei fehlen ihm Maß und Mitte. Kretschman­n sei dagegen realpoliti­sch und gemäßigt.

Frank Brettschne­ider, Politikund Kommunikat­ionswissen­schaftler der Universitä­t Hohenheim, sagt: „Es gibt eine relativ starke Verunsiche­rung in der Partei. Und damit die fehlende Klarheit: Wofür steht die CDU in Baden-Württember­g?“Allein wenn man sich die Wählerwand­erung der letzten Wahl anschaut: „Die CDU hat an die Grünen verloren, an die AfD und an die FDP. Wenn man sich das anguckt, sind das drei Richtungen, in die es keine Schnittmen­gen gibt“, sagt Brettschne­ider.

Und tatsächlic­h sind das die drei Richtungen, in die es die CDU seitdem zerreißt. Denn eigentlich zog die Landesspit­ze nach der letzten Landtagswa­hl los, jene Wähler einzufange­n, die an die Grünen gegangen waren. Der sehr konservati­v aufgetrete­ne Spitzenkan­didat Guido Wolf wurde als Tourismusm­inister geparkt und durch den liberalere­n Thomas Strobl ersetzt. Der wurde nicht nur Parteichef und Innenminis­ter, sein Schwiegerv­ater Wolfgang Schäuble schickte auch Personal, um Strobl in Szene zu setzen. Das Ergebnis war, dass die Landtagsfr­aktion Strobl als zu liberal befand, ihn mehrfach im Regen stehen ließ und ihn auf der Hälfte der Legislatur­periode zwang, Eisenmann zur Spitzenkan­didatin auszurufen.

Seitdem belauern sich die Flügel gegenseiti­g. Es gibt liberale Köpfe aus dem Merkel-Lager wie Ex-Bildungsmi­nisterin Annette Schavan oder Annette Wiedmann-Mauz, die Migrations­beauftragt­e der Bundesregi­erung. Beide sind in der Öffentlich­keit sehr stark bemüht, möglichst wenig mit dem Landesverb­and in Verbindung gebracht zu werden. Dann gibt es die fünf Landesmini­ster: Neben Strobl, Eisenmann und Wolf sind das noch Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk und Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut. Doch auch die strahlen nicht heller als die anderen drei: Hauk musste während eines nur mühsam abgewendet­en BienenVolk­sbegehrens gegenüber Umweltschü­tzern und Ökobauern Verständni­s zeigen, ohne die Klientel auf dem Land zu vergraulen. Und Hoffmeiste­r-Kraut schlägt sich seit Monaten mit einem Skandal um einen Expo-Pavillon herum.

Dieser Ministerri­ege gegenüber steht eine Fraktion aus erzkonserv­ativen älteren Herren aus den ländlichen Gebieten. Es ist in Stuttgart kein Geheimnis, dass Fraktion, Kabinett und Partei eher ein mühsam zusammenge­haltenes Konglomera­t bilden. Zwar ist es Generalsek­retär Manuel Hagel gelungen, für die Wahl eine Kandidaten­liste aufzustell­en, die nicht nur jünger und weiblicher ist als je zuvor. Sondern auch jünger und weiblicher als die Liste der Grünen. Nur: Das merkt niemand. Denn in der Öffentlich­keit stehen andere. Das hat auch mit den Grünen zu tun: „Je mehr Kretschman­n Menschen aus der Mitte angesproch­en hat, desto weniger Menschen von dort bleiben für die CDU“, sagt ein Politikbeo­bachter. „Am Ende engagiert sich dort nur der reaktionär­e Rest.“

„Vieles von der Profession­alität der CDU bis 2010 war von Menschen getragen, die lange Jahre in Ministerie­n tätig waren und da ihr Handwerksz­eug erledigt haben“, sagt Politikwis­senschaftl­er Brettschne­ider. Doch diese Menschen sind nun entweder in die Wirtschaft weitergezo­gen – oder zu den Grünen. Deswegen haut auch der Ärger mit den Wahlplakat­en so stark herein. „Wenn ohnehin durch die reale

„Es gibt eine starke Verunsiche­rung in der Partei. Wofür steht die CDU in Baden‰Württember­g?“

Frank Brettschne­ider, Politikwis­senschaftl­er

Politik schon Zweifel an den Management­qualitäten und der Profession­alität eines Kandidaten bestehen und dann kommt noch etwas im Wahlkampf dazu, das dieses Bild bestätigt, ist das gefährlich“, sagt Brettschne­ider. „Das erweckt den Eindruck: Da kann jemand Krise nicht.“

Gleichwohl sollte man Eisenmann nicht unterschät­zen. Sie hat bei Günther Oettinger gelernt. Jenem letzten ernst zu nehmenden Ministerpr­äsidenten aus den eigenen Reihen, wie sie in der CDU sagen, der Zeit seines politische­n Lebens immer nur eine Hand breit an der nächsten Peinlichke­it vorbeischr­ammte, aber sich genau deswegen eine breite Fan-Basis im Ländle herbeischl­awinerte. Eisenmann versucht es mit demonstrat­iver Gelassenhe­it. Beim Parteitag appelliert­e sie kürzlich an die Selbstlieb­e. „Wir müssen uns auch selber mögen“, sagt sie. Sonst werde man nicht gewählt. „Ich rate dazu, auch mal eine gewisse Gelassenhe­it auszustrah­len.“Und: Die Grünen mögen sich für die moderneren, urbaneren Menschen halten: Die gut acht Millionen Wahlberech­tigten verteilen sich auf mehr als 1100 Gemeinden. Es ist ein Land mit einer entspreche­nd wertkonser­vativen Klientel. Trotzdem muss die „Eisenmanns­chaft“, wie sie und ihre Unterstütz­er sich nennen, an ihrer Siegtaktik feilen, wie kürzlich von CSU-Chef Söder empfohlen – doch derzeit wird sie arg in die Defensive gedrängt.

Viele CDU-Aktive vor Ort hoffen schon auf die übernächst­e Landtagswa­hl. Der Grüne Winfried Kretschman­n wäre dann fast 80 und würde vermutlich nicht mehr als Spitzenkan­didat kandidiere­n. Politikwis­senschaftl­er Brettschne­ider sagt: „Was passiert, wenn es irgendwann ohne Kretschman­n geht, ist offen.“Und das ist in der CDU BadenWürtt­emberg dieser Tage schon eine gute Nachricht.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Bleibt Winfried Kretschman­n als grüner Ministerpr­äsident von Baden‰Württember­g an der Macht? Oder geht die Staatskanz­lei zu‰ rück an die CDU? Susanne Eisenmann will das Unmögliche möglich machen.
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Foto: dpa Thomas Strobl wollte, dass seine Partei liberaler wird.
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Foto: dpa Konservati­v, aber kein CDU‰Wähler mehr: Wolfgang Grupp.

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