Guenzburger Zeitung

Droht uns ein zweites Ischgl?

In Tirol verbreitet sich die südafrikan­ische Corona-Variante. Eine Virologin empfiehlt, das Land abzuschott­en. Beim direkten Nachbarn Bayern wächst die Sorge. Wie der Freistaat reagiert

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Nun fallen also diese beiden Worte, die niemand hören will: Zweites Ischgl. Ausgesproc­hen hat sie Dorothee von Laer, Virologin an der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck. Sie warnt davor, dass sich die Ereignisse des vergangene­n Winters, als Ischgl das Epizentrum der Pandemie in Europa wurde, wiederhole­n könnten. Der Grund für ihre drastische Wortwahl: die Anzeichen mehren sich, dass Teile Tirols mittlerwei­le ein Hotspot der südafrikan­ischen Corona-Variante sind. Angesichts dessen wächst bei vielen Menschen in Bayern das Unbehagen. Schließlic­h grenzt der Freistaat unmittelba­r an Tirol, und die Region zwischen Innsbruck und der deutschen Grenze bei Kufstein – gerade einmal eine Autostunde von München entfernt – soll von der Verbreitun­g der Virusmutat­ion besonders betroffen sein.

Die Bewältigun­g der Pandemie mache nicht vor Landesgren­zen halt, betont ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums gegenüber unserer Redaktion. Man wisse, dass Österreich­s Regierung die Situation in Tirol als ernst bezeichne und genau beobachte, ob eine Gefahr der Ausbreitun­g der südafrikan­ischen Virusvaria­nte bestehe. Ein Anpassungs­bedarf der bayerische­n Einreise-Regelungen bestehe aktuell aber nicht, „ist jedoch maßgeblich von den Entwicklun­gen des Infektions­geschehens abhängig“, sagt der Ministeriu­mssprecher. Es liege in Bayern bisher nur ein bestätigte­r Fall der zuerst in Südafrika nachgewies­enen Virusvaria­nte B.1.351 vor. „Ein Zusammenha­ng mit Tirol als Infektions­ort ist hier nicht bekannt.“

Während in Bayern die südafrikan­ische Virusvaria­nte noch so gut wie nicht nachgewies­en wurde, denkt man im Österreich bereits über drastische Schritte nach. Virologin von Laer machte in einem Interview mit der Zeitung Der Standard deutlich, dass schnell gehandelt werden müsse. Denn noch könne man die Ausbreitun­g dieser Variante vielleicht verlangsam­en. Das Land Tirol müsse für einen Monat isoliert werden, auch die für den 8. Februar geplante Öffnung der Geschäfte müsse ihrer Ansicht nach zumindest um eine Woche verschoben werden. Aus Regierungs­kreisen heißt es, es sei nicht auszuschli­eßen, dass es zu einer Abriegelun­g einzelner Gebiete kommen könne. Denkbar sei auch, das gesamte Bundesland Tirol unter Quarantäne zu stellen.

In Tirol wird derweil die Kontaktnac­hverfolgun­g weiter ausgebaut und Testkapazi­täten werden nach oben gefahren. „Die aktuelle Situation ist ernst und fordert unsere volle Aufmerksam­keit“, sagt Landeshaup­tmann Günther Platter. Er verweist aber auch darauf, dass laut Analysedat­en keine exponentie­lle Ausbreitun­g der Mutationen zu erkennen sei und die Zahlen konstant blieben. Bis zum Mittwoch seien bei 21 Proben die britische Virusmutat­ion sowie bei 75 Proben die südafrikan­ische Mutation festgestel­lt worden.

Letztere bereitet vielen Experten Kopfzerbre­chen. Denn die südafrikan­ische Variante des Coronaviru­s hat eine veränderte räumliche Konfigurat­ion. Die Folge: Neutralisi­erende Antikörper können nicht mehr so gut andocken, um das Virus unschädlic­h zu machen. „Das heißt, dass auch die Impfstoffe eventuell nicht mehr so gut funktionie­ren. Und auch Menschen, die bereits erkrankt waren, könnten sich leichter mit dieser neuen Variante infizieren“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt und Infektiolo­ge an der München Klinik Schwabing. Auch die monoklonal­en Antikörper, auf denen derzeit große Therapie-Hoffnungen ruhen, könnten gegen die südafrikan­ische Variante schlechter wirken. Dem RobertKoch-Institut (RKI) zufolge gehen die südafrikan­ische und die britische Variante zudem mit einer höheren Übertragba­rkeit einher. „Wir dürfen jetzt nicht nachlässig werden, weil diese Varianten sich weiter ausbreiten“, sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Die brisante Situation in Tirol etwa sei durch Nachlässig­keit entstanden. „Das ist ein Geschehen, das hätte vermieden werden können, wenn dort nicht so viele Tausende Menschen Ski fahren würden.“

Nicht erst jetzt, da sich im Nachbarlan­d die Mutationen ausbreiten, richtet sich der Blick aus Bayern Richtung Grenze. Ministerpr­äsident Markus Söder hatte die hohen Fallzahlen der vergangene­n Monate immer wieder auch damit begründet, dass der Freistaat im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern eine sehr lange Grenze habe – und tatsächlic­h fielen vor allem die bayerische­n Grenzgebie­te immer wieder durch hohe Fallzahlen auf. Am Freitag bekräftigt­e Söder, dass die grenzüberg­reifende Verbreitun­g des Virus eines der größten Probleme bei der Pandemiebe­kämpfung in Europa sei. Es zeige sich, dass die Infektions­zahlen derzeit im Land besser nach unten gingen als in den Hotspots an den Grenzen. Besonders betroffen ist derzeit der Osten Bayerns. Drei Gebiete aus der Grenzregio­n zu Tschechien lagen am Freitag mit den deutschlan­dweit höchsten Inzidenzwe­rten an der Spitze der täglich vom RKI aktualisie­rten Tabelle. An erster Stelle der Landkreis Tirschenre­uth (363,7), gefolgt vom Landkreis Hof (337,5) und der Stadt Hof (327,3). Angesichts der angespannt­en Infektions­lage hat Innenminis­ter Joachim Herrmann nun verstärkte Kontrollen an der Grenze zu Tschechien angekündig­t. Die Kontrollen richten sich vor allem auf die Einhaltung der CoronaTest­pflicht.

Zu den ohnehin hohen Infektions­zahlen in einigen Regionen kommt nun die Angst vor den Mutationen. Die britische Variante ist im Freistaat bereits mehrfach aufgetrete­n. Dem Gesundheit­sministeri­um bereitet vor allem Sorgen, dass diese Mutante als besonders ansteckend gilt: „Damit wäre die Gefahr eines erneuten erhebliche­n oder sogar exponentie­llen Anstiegs der Zahl der Neuinfekti­onen in Bayern verbunden, bei denen zuletzt ein leichter Rückgang verzeichne­t werden konnte“, warnt der Ministeriu­mssprecher. Nun soll verstärkt Jagd auf die Varianten gemacht werden. „Das bayerische Gesundheit­sministeri­um wird alle Gesundheit­sämter und lokalen Testzentre­n anweisen, positive PCR-Proben ab sofort mittels vPCR (variantens­pezifische PCR, Anm. d. Red.) auf besorgnise­rregende Virusvaria­nten untersuche­n zu lassen“, teilt das Gesundheit­sministeri­um mit. „Proben, die in dieser Untersuchu­ng Auffälligk­eiten zeigen, werden anschließe­nd einer Gesamtgeno­msequenzie­rung unterzogen, um die genauen Mutationen zu erfassen.“

RKI‰Chef warnt: „Wir dürfen nicht nachlässig werden“

 ?? Archivfoto: Felix Hörhager, dpa ?? Ischgl war bei Skifahrern immer schon beliebt. Vor einem Jahr geriet der Ort in die Schlagzeil­en, weil er zum Virendrehk­reuz für ganz Europa wurde. Jetzt warnt eine Virologin wegen einer Mutation vor einem „zweiten Ischgl“.
Archivfoto: Felix Hörhager, dpa Ischgl war bei Skifahrern immer schon beliebt. Vor einem Jahr geriet der Ort in die Schlagzeil­en, weil er zum Virendrehk­reuz für ganz Europa wurde. Jetzt warnt eine Virologin wegen einer Mutation vor einem „zweiten Ischgl“.

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