Droht uns ein zweites Ischgl?
In Tirol verbreitet sich die südafrikanische Corona-Variante. Eine Virologin empfiehlt, das Land abzuschotten. Beim direkten Nachbarn Bayern wächst die Sorge. Wie der Freistaat reagiert
Augsburg Nun fallen also diese beiden Worte, die niemand hören will: Zweites Ischgl. Ausgesprochen hat sie Dorothee von Laer, Virologin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie warnt davor, dass sich die Ereignisse des vergangenen Winters, als Ischgl das Epizentrum der Pandemie in Europa wurde, wiederholen könnten. Der Grund für ihre drastische Wortwahl: die Anzeichen mehren sich, dass Teile Tirols mittlerweile ein Hotspot der südafrikanischen Corona-Variante sind. Angesichts dessen wächst bei vielen Menschen in Bayern das Unbehagen. Schließlich grenzt der Freistaat unmittelbar an Tirol, und die Region zwischen Innsbruck und der deutschen Grenze bei Kufstein – gerade einmal eine Autostunde von München entfernt – soll von der Verbreitung der Virusmutation besonders betroffen sein.
Die Bewältigung der Pandemie mache nicht vor Landesgrenzen halt, betont ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums gegenüber unserer Redaktion. Man wisse, dass Österreichs Regierung die Situation in Tirol als ernst bezeichne und genau beobachte, ob eine Gefahr der Ausbreitung der südafrikanischen Virusvariante bestehe. Ein Anpassungsbedarf der bayerischen Einreise-Regelungen bestehe aktuell aber nicht, „ist jedoch maßgeblich von den Entwicklungen des Infektionsgeschehens abhängig“, sagt der Ministeriumssprecher. Es liege in Bayern bisher nur ein bestätigter Fall der zuerst in Südafrika nachgewiesenen Virusvariante B.1.351 vor. „Ein Zusammenhang mit Tirol als Infektionsort ist hier nicht bekannt.“
Während in Bayern die südafrikanische Virusvariante noch so gut wie nicht nachgewiesen wurde, denkt man im Österreich bereits über drastische Schritte nach. Virologin von Laer machte in einem Interview mit der Zeitung Der Standard deutlich, dass schnell gehandelt werden müsse. Denn noch könne man die Ausbreitung dieser Variante vielleicht verlangsamen. Das Land Tirol müsse für einen Monat isoliert werden, auch die für den 8. Februar geplante Öffnung der Geschäfte müsse ihrer Ansicht nach zumindest um eine Woche verschoben werden. Aus Regierungskreisen heißt es, es sei nicht auszuschließen, dass es zu einer Abriegelung einzelner Gebiete kommen könne. Denkbar sei auch, das gesamte Bundesland Tirol unter Quarantäne zu stellen.
In Tirol wird derweil die Kontaktnachverfolgung weiter ausgebaut und Testkapazitäten werden nach oben gefahren. „Die aktuelle Situation ist ernst und fordert unsere volle Aufmerksamkeit“, sagt Landeshauptmann Günther Platter. Er verweist aber auch darauf, dass laut Analysedaten keine exponentielle Ausbreitung der Mutationen zu erkennen sei und die Zahlen konstant blieben. Bis zum Mittwoch seien bei 21 Proben die britische Virusmutation sowie bei 75 Proben die südafrikanische Mutation festgestellt worden.
Letztere bereitet vielen Experten Kopfzerbrechen. Denn die südafrikanische Variante des Coronavirus hat eine veränderte räumliche Konfiguration. Die Folge: Neutralisierende Antikörper können nicht mehr so gut andocken, um das Virus unschädlich zu machen. „Das heißt, dass auch die Impfstoffe eventuell nicht mehr so gut funktionieren. Und auch Menschen, die bereits erkrankt waren, könnten sich leichter mit dieser neuen Variante infizieren“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt und Infektiologe an der München Klinik Schwabing. Auch die monoklonalen Antikörper, auf denen derzeit große Therapie-Hoffnungen ruhen, könnten gegen die südafrikanische Variante schlechter wirken. Dem RobertKoch-Institut (RKI) zufolge gehen die südafrikanische und die britische Variante zudem mit einer höheren Übertragbarkeit einher. „Wir dürfen jetzt nicht nachlässig werden, weil diese Varianten sich weiter ausbreiten“, sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Die brisante Situation in Tirol etwa sei durch Nachlässigkeit entstanden. „Das ist ein Geschehen, das hätte vermieden werden können, wenn dort nicht so viele Tausende Menschen Ski fahren würden.“
Nicht erst jetzt, da sich im Nachbarland die Mutationen ausbreiten, richtet sich der Blick aus Bayern Richtung Grenze. Ministerpräsident Markus Söder hatte die hohen Fallzahlen der vergangenen Monate immer wieder auch damit begründet, dass der Freistaat im Vergleich zu anderen Bundesländern eine sehr lange Grenze habe – und tatsächlich fielen vor allem die bayerischen Grenzgebiete immer wieder durch hohe Fallzahlen auf. Am Freitag bekräftigte Söder, dass die grenzübergreifende Verbreitung des Virus eines der größten Probleme bei der Pandemiebekämpfung in Europa sei. Es zeige sich, dass die Infektionszahlen derzeit im Land besser nach unten gingen als in den Hotspots an den Grenzen. Besonders betroffen ist derzeit der Osten Bayerns. Drei Gebiete aus der Grenzregion zu Tschechien lagen am Freitag mit den deutschlandweit höchsten Inzidenzwerten an der Spitze der täglich vom RKI aktualisierten Tabelle. An erster Stelle der Landkreis Tirschenreuth (363,7), gefolgt vom Landkreis Hof (337,5) und der Stadt Hof (327,3). Angesichts der angespannten Infektionslage hat Innenminister Joachim Herrmann nun verstärkte Kontrollen an der Grenze zu Tschechien angekündigt. Die Kontrollen richten sich vor allem auf die Einhaltung der CoronaTestpflicht.
Zu den ohnehin hohen Infektionszahlen in einigen Regionen kommt nun die Angst vor den Mutationen. Die britische Variante ist im Freistaat bereits mehrfach aufgetreten. Dem Gesundheitsministerium bereitet vor allem Sorgen, dass diese Mutante als besonders ansteckend gilt: „Damit wäre die Gefahr eines erneuten erheblichen oder sogar exponentiellen Anstiegs der Zahl der Neuinfektionen in Bayern verbunden, bei denen zuletzt ein leichter Rückgang verzeichnet werden konnte“, warnt der Ministeriumssprecher. Nun soll verstärkt Jagd auf die Varianten gemacht werden. „Das bayerische Gesundheitsministerium wird alle Gesundheitsämter und lokalen Testzentren anweisen, positive PCR-Proben ab sofort mittels vPCR (variantenspezifische PCR, Anm. d. Red.) auf besorgniserregende Virusvarianten untersuchen zu lassen“, teilt das Gesundheitsministerium mit. „Proben, die in dieser Untersuchung Auffälligkeiten zeigen, werden anschließend einer Gesamtgenomsequenzierung unterzogen, um die genauen Mutationen zu erfassen.“
RKIChef warnt: „Wir dürfen nicht nachlässig werden“