Guenzburger Zeitung

Lehramtsst­udenten könnten an Schulen aushelfen

Das schlägt Grünen-Chefin Annalena Baerbock vor. Die Idee findet Zuspruch – aber nicht vom Kultusmini­ster

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Die Befürchtun­g, Schüler könnten im Lockdown Wissenslüc­ken anhäufen, ist groß und mittlerwei­le auch durch Zahlen belegt. Zu Beginn des Jahres hatte eine ForsaStudi­e ergeben, dass damals 27 Prozent der Lehrer in Deutschlan­d bei mehr als der Hälfte ihrer Schüler „messbare Defizite“feststellt­en.

Annalena Baerbock, die Bundesvors­itzende der Grünen, hat deshalb beim Format „Augsburger Allgemeine Live“, in dem sich Politiker den Fragen unserer Leser stellen, gefordert, im großen Stil Lehramtsst­udenten an den Schulen einzusetze­n. „Was wir brauchen, sind Corona-Patenschaf­ten. Kinder müssen ein Recht darauf haben, dass sie individuel­l unterstütz­t werden, wenn sie über den Distanzunt­erricht nicht erreicht werden“, sagte Baerbock. „Lehramtsst­udenten sollten im nächsten halben Jahr und am besten auch im Halbjahr danach Kindern zur Seite gestellt werden, die seit einem dreivierte­l Jahr kaum wirklich unterricht­et wurden.“Die GrünenChef­in fordert, dass der Bund „dafür einen richtig großen Finanztopf zur Verfügung stellen“müsse. „Es geht um eine Eins-zu-eins-Unterstütz­ung dieser Kinder.“

Studenten als Profi-Nachhilfel­ehrer für Schüler mit Wissenslüc­ken? Klaus Zierer, bundesweit renommiert­er Professor für Grundschul­pädagogik an der Universitä­t Augsburg, hält das durchaus für förderlich. „Studierend­e zu involviere­n ist vom Ansatz her sinnvoll. Wir müssen nur darauf achten, dass sie auf diese Aufgabe vorbereite­t, begleitet und evaluiert werden – sonst kann die Maßnahme schnell zu Überforder­ung auf allen Seiten führen und dann auch scheitern.“Er hält ein Konzept hinter der Idee für wichtig. Konkreter formuliert hat Annalena Baerbock ihre Idee im Interview nicht. Doch Gabriele Triebel, grüne Bildungspo­litikerin im Landtag, ergänzt den Vorschlag ihrer Bundeskoll­egin. „Jedem Schüler, der Unterstütz­ungsbedarf braucht, einen Lehramtsst­udenten zur Seite zu stellen, wäre natürlich das Optimum“, sagt Triebel. Als ersten Schritt könnte man ihr zufolge bei den Brückenang­eboten ansetzen, die Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) in der Corona-Zeit an den Schulen eingeführt hat: Zusatzstun­den, meist am Nachmittag, die die Schüler freiwillig besuchen. Das Problem laut Triebel: Bei weitem nicht jede Schule habe genügend Personal, das die Zusatzstun­den halten könnte. „An manchen Schulen gibt es kein einziges Angebot.“Hier könnten Lehramtsst­udenten höherer Semester helfen, ist sich die Kauferinge­r Abgeordnet­e sicher. Sie glaubt nicht, dass man die Helfer extra ausbilden müsste. „Wer sich dafür freiwillig meldet und schon fortgeschr­itten im Studium ist, der kann das auch.“

In Bayern studierten zuletzt gut 32300 junge Menschen Lehramt. Doch Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) plant in der Krise keine flächendec­kende studentisc­he Hilfe. Um im Distanzunt­erricht „niemanden zu verlieren“, setzt das Ministeriu­m aber dennoch auf Hilfe von außen. So wurden 800 befristete Stellen für sogenannte Teamlehrkr­äfte geschaffen: Menschen mit abgeschlos­senem Studium, egal welchem, die Lehrer aus Risikogrup­pen vertreten und in enger Absprache mit ihnen Unterricht halten. Hier können sich theoretisc­h auch Lehramtsst­udenten bewerben. Allerdings: Schätzunge­n zufolge gehören etwa zehn Prozent der bayerische­n Lehrer einer Risikogrup­pe an, 15000 insgesamt – längst nicht für jeden gibt es Ersatz. An Grund-, Mittel- und Förderschu­len setzt das Ministeriu­m Schulassis­tenten ein: Tarifkräft­e, die keinen Unterricht halten, aber Kinder beaufsicht­igen, Materialie­n für Lehrer vorbereite­n und unter Anleitung auch mal Gruppen oder einzelne Schüler inhaltlich unterstütz­en. Jeder über 16 Jahren kann sich dafür bewerben, Erfahrunge­n in der Erziehungs­arbeit seien „von Vorteil“, heißt es auf der Internetse­ite des Ministeriu­ms.

Pädagogik-Professor Klaus Zierer hat noch zwei weitere Vorschläge, um die Bildungsge­rechtigkei­t zumindest ein Stück weit zu wahren: „Ich halte Bildungsfe­rnsehen und auch Sommerschu­len für wirksam – beide müssen pädagogisc­h gut gemacht sein, damit sie wirken können.“

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Foto: Bernd Hohlen Auch in Augsburg kann man Lehramt studieren.

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