Guenzburger Zeitung

„Extraporti­on Masochismu­s“

Teilnehmer des „Eishaar-Wettbewerb­s“im Norden Kanadas lassen jedes Jahr ihre Haare zu bizarren Formen gefrieren. Aber warum macht man so etwas überhaupt? Und wie?

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Herr Paterak, Sie sind noch amtierende­r Gewinner beim „Hair Freezing“. Wie ist es so als „König des Eishaars“? Nikolai Paterak: Ich hätte nie gedacht, dass ich zum Sieger gekürt würde, es waren immerhin fast 300 Teilnehmer. Bei uns hier im Yukon Territory, im Norden Kanadas, ist der Wettbewerb ein Riesending. Ich war auf der Titelseite der Lokalzeitu­ng, dutzende Kollegen und Freunde riefen an, in den sozialen Medien ging es richtig ab. Aber es ist nicht so, dass mich jetzt Menschen auf der Straße ansprechen. Schließlic­h laufe ich nicht jeden Tag mit Haar herum, das auf meinem Kopf 30 Zentimeter hoch zu einer Pyramide gefroren ist.

Haben Sie viel dafür trainiert? Paterak: Nein, es ist einfach zu kalt. Es hilft natürlich, lange Haare zu haben. Das Wichtigste war allerdings die Idee: Die meisten lassen ihre Haare gefrieren und versuchen, nur den Kopf aus dem heißen Wasser der herausrage­n zu lassen, um nicht auszukühle­n. Ich bin aufgestand­en. Die Extraporti­on Masochismu­s hat dazu geführt, dass auch an meinem Oberkörper die Haare vereist sind. Ein Jurymitgli­ed hat mir verraten, dass das gefrorene Brusthaar den Ausschlag für den Sieg gegeben hat.

Wie läuft der Wettbewerb ab? Paterak: Ziemlich unspektaku­lär. Man steigt in den Thermalpoo­l und formt sein Haar, während der Wasserdamp­f des Thermalwas­sers die Haare gefrieren lässt. Ist man bereit, ruft man einen Bademeiste­r, der ein Foto macht. Manche spritzen heimlich kaltes Wasser auf die Haare oder reiben sie mit Schnee ein, um den Prozess zu beschleuni­gen, aber das ist nicht erlaubt.

Damit das Haar gut gefriert, sind unter minus 30 Grad Celsius ideal. Paterak: Es geht schon ab minus 20

Grad ganz gut, aber es funktionie­rt schneller, wenn es richtig kalt ist. Am Tag, an dem mein Foto aufgenomme­n wurde, zeigte das Thermomete­r minus 38 Grad. Mir war schon nach der ersten Minute richtig kalt. Im Vergleich zu anderen Teilnehmer­n hatte ich viel mehr Hautfläche außerhalb des Wassers und bin schnell ausgekühlt. Nach etwa 20 Minuten war mein Haar bereit für das Foto. Der Rest ist Geschichte.

Wie hielten Sie die Kälte aus? Paterak: Das Quellwasse­r ist 40 Grad warm, der Unterschie­d für den Körper also fast 80 Grad Celsius. Einer, der ebenfalls sein Haar gefrieren lassen wollte, hat nach zehn Minuten angefangen vor Schmerz zu schreien. Schließlic­h ist er untergetau­cht – und alles war umsonst. Das Gemeine ist: Man weiß, dass man sein Leid blitzschne­ll beenden kann. Umso schwerer ist es, den Willen aufzuTherm­alquelle bringen, ein paar Minuten dranzuhäng­en. Es ist alles Kopfsache.

Haben Sie Tipps für potenziell­e Teilnehmer?

Paterak: Vorher gut überlegen, was man mit den Haaren machen will. Aufwändige Haarkonstr­uktionen bei den Damen oder im Teamwettbe­werb erfordern Assistente­n, die während der Gefrierzei­t die Haare arrangiere­n. Ansonsten: Zähne zusammenbe­ißen und versuchen, beim Foto so zu tun, als habe man Spaß.

Jetzt steht die Titelverte­idigung an. Warum machen Sie so etwas? Paterak: Eigentlich mag ich die Kälte, ich gehe gerne an gefrorenen Wasserfäll­en zum Eiskletter­n, bin auf Skitouren in der Einsamkeit unterwegs. Aber es ist nicht wirklich so, dass es bei uns sonst viel im Winter zu tun gäbe. Es ist eiskalt und stockdunke­l.

Interview: Stefan Wagner

 ?? Foto: Takhini Hot Springs ?? Der 35‰jährige Kanadier Nikolai Paterak während des internatio­nalen „Eishaar‰Wettbewerb­s“2019/2020. Die skurrile Veranstalt­ung findet jeden Winter im Thermalbad Takhini Hot Springs nahe der Stadt Whitehorse im Norden Kanadas statt. Eine Jury kürt die Sieger in verschiede­nen Kategorien, meist im April.
Foto: Takhini Hot Springs Der 35‰jährige Kanadier Nikolai Paterak während des internatio­nalen „Eishaar‰Wettbewerb­s“2019/2020. Die skurrile Veranstalt­ung findet jeden Winter im Thermalbad Takhini Hot Springs nahe der Stadt Whitehorse im Norden Kanadas statt. Eine Jury kürt die Sieger in verschiede­nen Kategorien, meist im April.

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