Mit Twitter gegen die Pandemie?
Schon vor Bekanntwerden der Corona-Pandemie häuften sich auf Twitter Nachrichten mit dem Wort „Lungenentzündung“, einem der wesentlichen Symptome der Covid19-Erkrankung. Die Tweets stammten vor allem aus jenen Regionen, aus denen später die ersten Ausbrüche gemeldet wurden, berichten Wissenschaftler nach einer Datenanalyse aus sieben europäischen Ländern im Fachmagazin Scientific Reports. Soziale Medien könnten als eine Art epidemiologisches Überwachungssystem genutzt werden, um Ansteckungsketten frühzeitig zu entdecken, die sonst womöglich unerkannt blieben.
Das Team um Milena Lopreite von der University of Calabria (Italien) hatte zunächst eine Datenbank mit allen Tweets aus dem Zeitraum Dezember 2014 bis 1. März 2020 erstellt, in der das Wort „Lungenentzündung“in einer der sieben am häufigsten gesprochenen Sprachen der EU auftauchte: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch und Niederländisch. Für den Zeitraum zwischen 31. Dezember 2019, als China die ersten Fälle einer neuen Lungenkrankheit der Weltgesundheitsorganisation meldete, und dem 21. Januar, als die da noch namenlose Erkrankung Covid-19 als ernsthafte meldepflichtige Erkrankung deklariert wurde, korrigierten die Forscher den Datensatz dahingehend, dass Tweets zu Medienberichten über das Virus eliminiert wurden.
Die Analyse der Daten zeigte, dass es in den meisten europäischen Ländern bereits Anfang Januar zu einer Zunahme von Tweets kam, in denen das Wort „Lungenentzündung“auftauchte – ein Hinweis auf die zunehmende Besorgnis über Fälle dieser Erkrankung, so die Forscher. In Italien, wo am 22. Februar 2020 erste Lockdown-Maßnahmen ergriffen wurden, habe es schon in den ersten Wochen des Jahres deutlich mehr entsprechende Tweets als im Vergleichszeitraum des Vorjahres gegeben. In Frankreich zeigte sich ein ähnlicher Verlauf, in Spanien, Polen und Großbritannien kam es mit etwa zweiwöchiger Verzögerung zu einem Tweet-Anstieg.
Für Deutschland fanden die Wissenschaftler keinen bedeutsamen Anstieg der Tweets. Eine Erklärung dafür haben die Wissenschaftler nicht. „Man kann nur spekulieren, dass Unterschiede zwischen den Ländern auf lokale Unterschiede in der Wahrnehmung der Krankheit, Unterschiede in den Covid-19-Verteilungsmustern und den Infektionsraten in ganz Europa zurückzuführen sein könnten“, erläutert Pietro Panzarasa von der Queen Mary University in London.
Die Wissenschaftler wiederholten ihre Analyse noch mit den Worten „trockener Husten“und kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Eine weitere Auswertung zeigte, dass die Tweets vor allem in den Regionen zunahmen, aus denen später die ersten Infektionen berichtet wurden, etwa in der Lombardei in Italien oder in Spaniens Hauptstadt Madrid. „Unsere Studie ergänzt die vorhandenen Beweise dafür, dass soziale Medien ein nützliches Instrument für die epidemiologische Überwachung sein können“, erläutert der Forscher Massimo Riccaboni von der IMT School for Advanced Studies in Lucca (Italien). Sie könnten dazu beitragen, die ersten Anzeichen einer neuen Krankheit zu registrieren oder ihre Ausbreitung zu verfolgen.
Mit diesem Ansatz sei es, so die Forscher, jedoch schwer, die Ausbreitung einer neuartigen Krankheit zu entdecken, solange die damit einhergehenden Symptome nicht bekannt sind. Er eigne sich weniger zur Vorhersage als vielmehr zur Überwachung des Verlaufs und könne helfen, Signale zu entdecken, die sonst unerkannt blieben: plötzliche Häufungen oder wiederkehrende Infektionen.
Soziale Medien könnten also die Überwachung der öffentlichen Gesundheit verbessern, insbesondere in Kombination mit anderen neuartigen Datenströmen wie Suchanfragen im Internet oder Mobiltelefonund Geodaten. Anja Garms